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wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Staatsbürgerkunde für Kabinettsmitglieder

Beitrag vom 24. Februar 2024

In der ZEIT zerrupft der Literaturkritiker und Autor Ijoma Mangold die Regierungspläne für das Demokratiefördergesetz, welches der Gestaltung gesellschaftlicher Vielfalt und der Extremismusprävention dienen soll.

Skulpturen im Garten

Wer hat da „Starrsinn“ gesagt? (Bild: © Baer)

Innenminister Nancy Faeser hatte sich zu einer Warnung wie aus Budapest oder Ankara hinreißen lassen: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Dass Hass und Häme ungut sind, bezweifelt auch Mangold nicht. Er fragt aber, was die Regierung damit zu tun haben solle. Sie würde also entscheiden, welche Vereine und Organisationen in diesem Zusammenhang Steuergelder bekommen. „Das treibt den Schulterschluss zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisationen stärker voran, als es für die urliberale Trennung von Staat und Gesellschaft bekömmlich ist“, meint Mangold. Es sei nämlich nicht Aufgabe der Regierung zu organisieren, welche ideologische Meinungsbildung aktuell willkommen sei. Schon jetzt beziehen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Steuermittel aus Töpfen wie „Demokratie leben“, darunter Correctiv, das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismuspräven­tion und die Amadeu Antonio Stiftung. Für Mangold sieht das „nach einem weltanschaulich geschlossenen System aus, in dem NGOs und Regierung wie ein eingespieltes Team zusammenarbeiten.“

Nach welchen Kriterien werde dann bekämpft, was Hass, was Sexismus und was Rassismus sei? „Ein skeptischer Blick auf die Migrationsströme wird vielerorts bereits als Rassismus, ein freundliches Wort über das Glück der Mutterschaft als Sexismus gewertet.“ Einseitig orientiert dürfe eine Nichtregierungsorganisation sein, staatliche Organe dürften es ausdrücklich nicht. „Der Staat soll das Recht durchsetzen, nicht über Einstellungen wachen“, betont Mangold. Der Rechtsstaat sei für Straftaten zuständig, nicht für hässliche Gesinnungsäußerungen. Wohlgemerkt, es geht um Sprache.
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, warnt vor Denk- und Sprachmustern, und man müsse dafür sorgen, dass sich diese „nicht in unserer Sprache einnisten.“ Es gehöre aber nicht zur Aufgabe des Verfassungsschutzes, semantische Prüfsiegel zu verleihen, korrigiert ihn Mangold und erinnert daran, dass die freiheitliche Demokratie von einer grundsätzlichen Unterscheidung lebt: Staat und Gesellschaft sind zweierlei. Der Regierung fehle dafür zurzeit das Feingespür.

Mangold empfiehlt im Rahmen des Demokratiefördergesetzes „ein paar Lektionen Staatsbürgerkunde für Kabinettsmitglieder.“ Kurzum, der demokratische Staat habe den Pluralismus der Gesellschaft zu ermöglichen, er habe ihn nicht vorzuschreiben. „Nur totalitäre politische Systeme streben die Identität von Staat und Gesellschaft an. Dann regiert die Überzeugung, der Staat verfüge über eine die Wohlfahrt aller befördernde Wahrheit.“

Oliver Baer @ 15:23
Rubrik: Gesellschaft
Gesetzentwurf gegen das Verhöhnen

Beitrag vom 24. Februar 2024

In der ZEIT zerrupft der Literaturkritiker und Autor Ijoma Mangold die Regierungspläne für das Demokratiefördergesetz, welches der Gestaltung gesellschaftlicher Vielfalt und der Extremismusprävention dienen soll.

Innenminister Nancy Faeser hatte sich zu einer Warnung wie aus Budapest oder Ankara hinreißen lassen: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Dass Hass und Häme ungut sind, bezweifelt auch Mangold nicht. Er fragt aber, was die Regierung damit zu tun haben solle. Sie würde also entscheiden, welche Vereine und Organisationen in diesem Zusammenhang Steuergelder bekommen. „Das treibt den Schulterschluss zwischen Regierung und Nichtregierungsorganisationen stärker voran, als es für die urliberale Trennung von Staat und Gesellschaft bekömmlich ist“, meint Mangold. Es sei nämlich nicht Aufgabe der Regierung zu organisieren, welche ideologische Meinungsbildung aktuell willkommen sei. Schon jetzt beziehen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Steuermittel aus Töpfen wie „Demokratie leben“, darunter Correctiv, das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismuspräven­tion und die Amadeu Antonio Stiftung. Für Mangold sieht das „nach einem weltanschaulich geschlossenen System aus, in dem NGOs und Regierung wie ein eingespieltes Team zusammenarbeiten.“

Nach welchen Kriterien werde dann bekämpft, was Hass, was Sexismus und was Rassismus sei? „Ein skeptischer Blick auf die Migrationsströme wird vielerorts bereits als Rassismus, ein freundliches Wort über das Glück der Mutterschaft als Sexismus gewertet.“ Einseitig orientiert dürfe eine Nichtregierungsorganisation sein, staatliche Organe dürften es ausdrücklich nicht. „Der Staat soll das Recht durchsetzen, nicht über Einstellungen wachen“, betont Mangold. Der Rechtsstaat sei für Straftaten zuständig, nicht für hässliche Gesinnungsäußerungen. Wohlgemerkt, es geht um Sprache.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, warnt vor Denk- und Sprachmustern, und man müsse dafür sorgen, dass sich diese „nicht in unserer Sprache einnisten.“ Es gehöre aber nicht zur Aufgabe des Verfassungsschutzes, semantische Prüfsiegel zu verleihen, korrigiert ihn Mangold und erinnert daran, dass die freiheitliche Demokratie von einer grundsätzlichen Unterscheidung lebt: Staat und Gesellschaft sind zweierlei. Der Regierung fehle dafür zurzeit das Feingespür. Mangold empfiehlt im Rahmen des Demokratiefördergesetzes „ein paar Lektionen Staatsbürgerkunde für Kabinettsmitglieder.“ Kurzum, der demokratische Staat habe den Pluralismus der Gesellschaft zu ermöglichen, er habe ihn nicht vorzuschreiben. „Nur totalitäre politische Systeme streben die Identität von Staat und Gesellschaft an. Dann regiert die Überzeugung, der Staat verfüge über eine die Wohlfahrt aller befördernde Wahrheit.“

https://www.zeit.de/2024/09/demokratiefoerdergesetz-nancy-faeser-lisa-paus-rechtsextremismus (Bezahlschranke)

Oliver Baer @ 12:21
Rubrik: Gesellschaft
2026 beginnt der globale Inzest

Beitrag vom 18. Februar 2024

Ballon

Voneinander abschreiben war noch nichts dagegen (® Fotolia)

Unter dieser hübschen Überschrift gibt es im Spiegel vom 9. Februar ein Interview mit der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel.

Was generative künstliche Intelligenz (GKI) fertigbringt, nennt sie „bloße Statistik“. Um das zu verstehen, muss man bedenken: Die Sprachmodelle, mit denen GKI-Anwendungen trainiert werden – womit ihr Wissenshorizont gebildet und erweitert wird – dürften in drei Jahren alles aufgesogen haben, was im Internet zur Verfügung steht. Von dann ab ist das meiste, was neu in die Modelle eingefüttert wird, nur eine neue Mischung dessen, was es bereits gibt.

„Textlich betrachtet beginnt also 2026 der globale Inzest“, sagt Meckel, „wir werden ein permanentes Wiederkäuen von Bestehendem erleben. Und wir wissen, dass das die Modelle schlechter macht. Der Wert von Anwendungen der generativen künstlichen Intelligenz wird davon abhängen, wie Menschen Originalität in die Datensätze einführen.“

Der Kampf zur Verhütung von Blödsinn, also für Wahrheit und für die Beachtung von Tatsachen im Netz wird auch algorithmisch spannend, denn die künstliche Intelligenz könnte zunehmende Bestätigung für all das finden, was sie schon „weiß“ und immer weniger Anlässe wahrnehmen, Neues als valides Wissen zu erkennen. Mit anderen Worten, der Anteil des bullshit content (blödsinniger Inhalt) im Wissensreservoir der GKI wächst zwangsläufig.

Miriam Meckel betont, dass zu eben diesen Problemen nur der Mensch Lösungen erfinden, entwickeln und in die GKI-Anwendungen einbauen könne. Das hört man gerne, aber Voraussetzung dafür wird eine gesteigerte und verfeinerte Beherrschung intelligenter und präziser Sprache sein. Schon gar nicht zu gebrauchen ist künftig eine Sprache, die man – und sei sie noch so gut gemeint – mit verkopften Begriffen, Wörtern, Endungen, Sonderzeichen, mit rücksichtsloser Verdrehung der Grammatik und mit erzieherischen Stilverkrampfungen verstopft. Derlei Manipulationen erschweren, was viele heute schon nicht fertigbringen: das Echte vom Geschwindelten zu unterscheiden. Bei Texten ist das oft am Stil zu erkennen.

Oliver Baer @ 11:12
Rubrik: Gesellschaft
Der vergessene Aufstand

Beitrag vom 15. Februar 2024

Muss man im Ruhrgebiet geboren worden sein, um „Salz & Eisen“ lesen zu wollen? Nein, das können auch alle anderen. Aber worum geht es bei dem Roman? Wen immer ich zum Thema bewaffnete Kämpfe im Ruhrgebiet befragte: die meisten sagten: „Ja, da war was!“ – und verwechselten die Ruhrbesetzung (durch französische und belgische Truppen 1923) mit dem Ruhrkampf im Frühjahr 1920. Dem Autor Horst Hensel verdanken wir aus einem ähnlichen Themenkreis „Die Sehnsucht der Rosa Luxemburg“ (1987) und „Stauffenbergs Asche“ (2001). Ruhrkampf, das waren die vier heißen Wochen nach dem Kapp-Putsch, als im Revier die Revolution von 1918 fortgeführt werden sollte. Daher das knallige Rot des Schubers mit den drei Bänden. Darin erzählt Hensel von Menschen der damaligen Zeitgeschichte, einer Geschichte, die man kennen sollte, um die weitere Entwicklung hin zum Dritten Reich besser zu verstehen. Aus gutem Grund zitiert Hensel das „Kampflied“ der Brigade Ehrhardt im Jahr 1920:

Hakenkreuz am Stahlhelm/schwarz-weiß-rotes Band/die Brigade Ehrhardt/werden wir genannt/Die Brigade Ehrhardt schlägt alles kurz und klein/wehe dir, wehe dir, du Arbeiterschwein.

Auf den Angriff der Putschisten reagieren die Bergleute und Stahlarbeiter mit Aufstand. Gleich zu Beginn der Lektüre staune ich darüber, dass die Putschtruppen nichts von Arbeit wussten, nichts davon, dass  z. B. die Patronen der Soldaten von denjenigen hergestellt wurden, denen sie letztlich galten, den Arbeitern. Ähnliche gegen das moderne Wahrnehmen und Denken gebürstete Entdeckungen kommen beim Lesen immer wieder vor. Eine dabei auftauchende Frage ist: Was darf man seinen Lesern heute noch zumuten? Ein Roman über Arbeiter und Revolution, über Klassenkampf und Bürgerkrieg sei nicht cool, den könne er sein lassen, wurde Hensel geraten. Seine Antwort erinnert an George Mallory. Gefragt in einem Interview, warum er – das war 1923 – den Mount Everest besteigen wolle, soll er gesagt haben: „Weil es ihn gibt!“ So dürfte auch Hensel vor 20 Jahren mit dem Basislager für sein 1000seitiges Epos über den Bürgerkrieg im Frühling 1920 begonnen haben: „Weil es ihn gegeben hat!“ Als die Betrogenen nicht länger ertrugen, was schneidige Weltkriegsoffiziere nicht lassen konnten: die junge Republik in die kaiserliche Vorzeit zurück zu schießen. Nach einem Stellungskrieg, den diese Militärs noch bis Ende 1918 fortgeführt hatten, als sie längst wussten, dass er nicht mehr zu gewinnen war. Militärs, denen auch 16 Monate später das Leben eines Menschen ohne ihren Stallgeruch keine Kartoffel wert war.

Heute würden wir die Männer testosteronübersteuert nennen, die sich da in von der Auflösung bedrohten Freikorps im Reich herumtrieben. 1920 putschten sie mit der Reichswehr gegen die gewählte Regierung, erklärten Wolfgang Kapp zum Reichskanzler, aber die Ministerialbürokratie machte nicht mit, und zwölf Millionen Arbeiter und Angestellte nahmen den Generalstreik auf – den größten der deutschen Geschichte. Sogleich war der Putsch erledigt: ein Ruhmesblatt für die damaligen deutschen Werkeltagsmenschen mit ihrem Bekenntnis zur Demokratie. Auch der Streik wurde beendet, aber schon waren mordende Trupps im Ruhr-Revier unterwegs, den Pöbel auf Vordermann zu bringen. Gegen sie erhoben sich die Arbeiterschweine, gegen die nämlichen Offiziere, denen sie als Kanonenfutter gedient hatten. Womit die Fronterfahrung der Aufständischen erklärt ist. Zentral organisiert war ihr Widerstand nicht, es gab keine Kommandozentrale, kein gemeinsames politisches Programm der Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschafter. Spontan gebildete lokale Vollzugsräte übernahmen die politische Gewalt, 50.000 bewaffnete Putsch-Gegner bildeten die „Rote Ruhrarmee“.

Über diese politischen Kenntnisse sollte man umrisshaft schon verfügen, denn im Mittelpunkt des Romans stehen die normalen Menschen vor Ort. Kohle musste unter allen Umständen gefördert werden, für die Reichsregierung war das wichtig, denn die Reparationslieferungen wegen des verlorenen Kriegs waren auch in Kohle zu leisten, sonst drohte der Einmarsch der Siegertruppen (drei Jahre später war es dann doch so weit). Aber in Kontrolle war die Regierung nicht, auch nicht Generalmajor Oskar von Watter, Chef des Wehrkreises VI in Münster – die Aufständischen und die Freikorps schon gar nicht. Es gab Verhandlungen, die in ein „Bielefelder Abkommen“ mündeten, aber beteiligt waren nur die Reichsregierung und Teile der Aufständischen, niemand von der Roten Ruhrarmee, keine Vertreter der radikalen Arbeiterräte und des Militärs. Eine Handvoll Gedenkstätten im Revier, meist nur den Heimatpflegern vertraut, erinnert an Verlauf und Ende der Geschichte. Ich war überrascht, mehr sei hier nicht verraten.

Nebenbei erspüre ich als Leser bisher Unverstandenes über das Zusammenleben der Alteingesessenen und der Zuwanderer in den Bergbaugebieten. Hier die Bauern, bei der harten Arbeit dem Wetter ausgeliefert wie schon immer; dort die Mineure, von weither angelockt, die ihre Arbeitszeit unterhalb der Scholle verbrachten, ganz andere Auffassungen vom Leben mitbrachten, sehr Fremdes kochten und komisches Deutsch sprachen, wenn überhaupt – das musste ja Spannungen provozieren, die in „Salz & Eisen“ im Hintergrund knistern.

Was macht Hensels Geschichte so lesenswert, auch in ihrem epischen Umfang? Meist sind ja wir Leser schlauer als die Personen im Getümmel des Romans. Im Ruhrkampf gab es weder für Freund noch Feind einen Überblick. Das Vorantasten der Leute, die nicht klagen, aber ihrem Schicksal folgen, macht den Reiz des Romans aus. Auch als Leser suchen wir nach einem Geländer durch die Ungewissheit. Gelegentlich und überraschend nimmt uns der Autor als erzählender Zeitzeuge an die Hand. Wir lernen eine ganze Welt kennen: Zechen und Hütten, Hochzeiten und Kneipenversammlungen,  Feldzüge und Schlachten, Vorlesungen über Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und Liebesgeflüster, wir gehen auf die Wochenmärkte, befinden uns im Reichskanzleramt und beim Reichspräsidenten, auch in der Reichsbank und auf einem Industriellentreffen, die Orte sind neben dem Ruhrgebiet mehrmals Berlin, ist Koblenz mit dem Headquarter der US-Truppen, ist Moskau mit Lenin, ist sogar Barcelona – und es gibt, bei aller Realistik, auch nächtliche Surrealismen, wenn nämlich Heinrich Heine auftaucht. Der Roman bietet eine ganze Welt. In aller Breite. Und von oben nach unten und umgekehrt. Das ist heute selten. „Salz & Eisen“ nenne ich deshalb lesenswert.

Und der Stil? Er ist ironisch. Heldengesänge stimmt dieser Autor nicht an. Sein Deutsch ist reich und sehr genau, so reich und so genau, dass es gelegentlich Anstrengung abverlangt. Dann wünscht man sich als Leser nicht mehr ständig auf eine Höhenwanderung mitgenommen zu werden, sondern eine Weile Rolltreppe  fahren zu dürfen. Hensel erzählt mit Absicht so, dass das Tempo der Geschichte in den Horizont passt, den die Menschen im Roman erleben, und mit dem wachsenden Einblick steigt der Lesegenuss. Wie von selbst vergleichen wir: Heutzutage würden uns die neuen Medien pausenlos mit – zumeist falschen – Informationen bombardieren.

Lesen Sie, entschleunigen Sie Ihr Leben, tauchen Sie in die wortkarge Wärme der Hauptpersonen ein, in die Not und Nähe der Kumpel, der Mütter und Frauen. Besonders diesen widmet Hensel viel Aufmerksamkeit. Da gibt es die beiden jungen Köchinnen Henriette und Auguste, das gibt es die königinnenhafte Frau Katharina, da gibt es Krankenschwestern an der Front und am Ende sogar Kämpferinnen – und da gibt es die fast schon sagenhafte „olle Kalinna“ aus den Wäldern südlich der Ruhr. Und schließlich Amalie Schaumann mit ihrem bewegenden Aufruf zur Niederlegung der Waffen. (Schaumann und viele andere Personen sind historisch verbürgt.) Begegnen Sie dem Lokführer und Heizer, die gegen ihren Willen einen Zug voll Militär ins Revier bringen. Oder dem jungen Kerl auf dem Motorrad, dem stillen Helden der Geschichte, Sie werden nicht vergessen, was aus seinem Krad wird. Der Personen sind so viele, dass Hensel ihre Namen und Funktionen in einem Beiblatt aufführt. „Salz & Eisen“ ist damit besser zu lesen als „Krieg und Frieden“. Bekommen Sie eine gute Lektüre für das Nachtkästchen? Auf meinem lag es. Auch das Format in drei Bänden erleichtert die Lektüre im Liegen.

Oliver Baer am 15. Februar 2024:  Horst Hensel, „Salz & Eisen“, IFB Verlag Deutsche Sprache, 1.Auflage 2024, 1080 Seiten (gebunden), 69,40 €, ISBN 978-3-949233-14-2

 

Oliver Baer @ 12:25
Rubrik: Gesellschaft
Sprachgewaltige Zuschauer

Beitrag vom 13. Februar 2024

Schöpferischer Umgang mit Sprache ist in den Fankurven der Bundesligen zu beobachten. Da werden zum Protest gewaltige Banner entfaltet, neuerdings wird vor allem der Deutsche Fußballbund (DFB) auf den Arm genommen.

Großer Garten Dresden

Von einem wirklich intelligenten Gendern verstehen die Grünen vielleicht nicht so viel (Bild: © Baer)

Vereine, die solches zulassen, müssen mit Bestrafung „wegen diskriminierenden unsportlichen Verhaltens“ ihrer Anhänger rechnen, wenn sie Aussagen machen wie: „Es gibt viele Musikrichtungen, aber nur zwei Geschlechter.“ Eine der vielen Reaktionen der Fans auf die angedrohten Strafen lautet: „Es gibt nur 2 Geschlechter – Beide verachten den DFB“. Nun kommen an jedem Wochenende neue „Zwei-Geschlechter“-Plakate hinzu.

Wie ntv.de berichtet, will der DFB solche Fans als „menschenverachtende Gender-Leugner“ strafgerichtlich verfolgt sehen. Sie hätten gegen die „Rechts- und Verfahrensordnung in Bezug auf die geschlechtliche bzw. sexuelle Identität“ verstoßen. Die Sportsprecherin der Grünen, Tina Winklmann, sprang dem DFB bei: Das Plakat sei „menschenverachtend und diskriminierend“. Den Widerstand gegen die DFB-Sprachpolizei kommentiert ntv.de „weniger mit der fehlenden Toleranz gegenüber queeren Fußballern als vielmehr mit der Frage, was man öffentlich sagen darf und was nicht.“ Würde der Satz „Es gibt zwei Geschlechter“ wirklich öffentlich stigmatisiert, dann würden „tiefe Freiheitsreflexe der offenen Gesellschaft verletzt“, denn auch die Genderdebatte unterliege der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit.

ntv.de zitiert sicherheitshalber die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard: „Natürlich gibt es beim Gender, dem sozialen Geschlecht, eine Bandbreite, während es beim biologischen Geschlecht nur weiblich oder männlich gibt. Aus. Ende.“ Sollte die Nobelpreisträgerin so etwas im Fußballstadion kundtun, meint ntv.de, würde ihr der DFB eine Strafzahlung aufbrummen.

 

Oliver Baer @ 11:08
Rubrik: Gesellschaft
Wieder mal nett gemeint

Beitrag vom 11. Februar 2024

Feuchtbiotop

Angesichts dieses Feuchtbiotops des reinen Geistes sei gefragt: Haben wir mal wieder ganz kühn bei Facebook geklickt? (Bild: © Baer)

Dass wir mit „mauscheln“ ein Wort, besetzt mit antijüdischen Ressentiments, verwenden und diese unbewusst dadurch verewigen, leuchtet zunächst ein. Belastete Wörter, auch Redewendungen wie „vom Saulus zum Paulus“ sollten wir sein lassen, auch wenn uns das enthaltene Böse nie bewusst war.

Nun gehört es zur gängigen Auffassung in bemüht aufgeklärten Kreisen, Sprache müsse desinfiziert werden. Die Jagd auf Unwörter fühlt sich gut an. Aber selbst wenn ihre Vernichtung eine gute Idee wäre, sie bleibt ein Unfug, denn ihr Verschwinden ist nicht erzwingbar. Genau so gut könnte man Adler zum Wandern überreden. Fragwürdig ist solcher Eifer, weil er bereits den Keim des Gegenteiligen – ebenfalls im Unbewussten – enthält. Die Reaktion, die unweigerlich folgt, fällt womöglich umso schlimmer aus, je gründlicher man das Böse zuvor verfolgt hat. Die Tat – dem überfallenen Berliner Juden beistehen – ist nicht ersetzbar durch Gequatsche; davon wird keiner tapfer. Aber man hat mal wieder an der Sprache gezeigt, welch reinen Geistes man ist. Gerade noch rechtzeitig ist jetzt im Bundestag aufgefallen, dass man den Gebrauch eines Wortes nur verbieten kann, indem man präzise nennt, was man verbietet: Rasse. Das Bewusstsein reift, das Sein wird verändert – und mit ihm die Sprache. Beim Klimawandel, nur als Beispiel, wird es nur so funktionieren.

Oliver Baer @ 17:54
Rubrik: Gesellschaft
à propos: Was ist mit der Brandmauer los?

Beitrag vom 4. Februar 2024

Wärmediagramm

Wärmebedarf in Gesprächen (Bild: Fotolia)

Nichts, außer der Frage, auf welcher Seite der Brandmauer sich die zwei Drittel der Wähler aufhalten, die den Wahlschein als Denkzettel verwenden. Die daran erinnern wollen, dass sie seit Jahrzehnten schlecht, aber überheblich regiert werden. Wollte man diese zwei Drittel diesseits der Mauer begrüßen, dürfte man sie nicht verteufeln, für blöde halten und nie wieder mit ihnen reden wollen.

 

Einen Sprachverein treiben in dieser Aktualität, wenn er gerade nichts Besseres vorhat, zwei Fragen um. Da ist das Kräftespiel beim Umgang mit kriegerischen Wörtern und Begriffen. Also auch mit der Gewalt, die aus pubertären Träumen über Baseballschläger und Fremdlinge erwächst. Kann man den Phantasten mit sprachlichen Mitteln aus ihrem Loch heraushelfen? Zum anderen: Wie bringt man mit zivilisierter Sprache die Gewählten („die da oben“) dazu, klüger und vor allem couragierter zu führen und zu verwalten – aber bitte bei überschaubarer Fehlerquote von nun ab? Anders gesagt: Wie lassen sich nützliche Gespräche erwachsener Bürger sprachlich voranbringen?

In der radikalen Mitte sitzt man unbequem, zwischen den Stühlen. Während man sich linksaußen wie rechtsaußen fläzt in der Gewissheit zu wissen, was wissenswert ist, muss sich die radikale Mitte fortwährend rechtfertigen, warum sie nicht mitpöbelt. Ein brauchbarer Anfang für uns Mittige könnte sein, dass wir die gängigen Schlüsselwörter zu meiden versuchen. Das Wort Brandmauer war hier unvermeidbar, aber zu den vergifteten Suchbegriffen Remigration, Potsdam und Geheimtreffen finden Sie, liebe Leser, hier nichts außer meiner Auslegung des aktuellen semantischen Kampfbegriffs (so nennt das die Sprachwissenschaft): „Remigration ist die Rückwanderung der in der Wüste Ausgesetzten in das Land ihrer Aussetzer.“ Die kommen wieder, schon deshalb wäre Gewalt keine Politik, sondern Blödheit. Selbst wenn man kein Herz hätte. Aber wie gesagt: Für Sprachfreunde gibt es Aufgaben, bei denen sie sich auf die Sprache konzentrieren.

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Zum Thema:

Im SPIEGEL Simon Meier-Vieracker:Vom Geheimplan zum Geh-heim-Plan
Ein Zweidrittler wird interviewt in der ZEIT: „Lasst sie mal machen!“
In der ZEIT über völkisches Denken: Der rechte Traum vom Volk
In der ZEIT: Was AfD und Identitäre selber sagen: Was die neue Rechte liest

Oliver Baer @ 16:08
Rubrik: à propos
Gendern etwa am Ende

Beitrag vom 4. Februar 2024

Holzpielzeug

Die Sonderzeichen entfallen von ganz alleine, übrig bleibt, was beim Sprachgendern besonders übel ist (Bild: © Natasha Franklin)

Siegesfreude über das bevorstehende Ende des Sprachgenderns wäre verfrüht, denn nur für die Sonderzeichen ist das Ende in Sicht. Dass diese sowieso verschwinden würden, sage ich schon länger. Sie passen zum Sprachgefühl der meisten Sprecher wie eine schlecht geschnittene Jacke, noch dazu in allzu greller Farbe. 

Unversehens verrät der in der WAZ zitierte Schülersprecher Fabricius den Denkfehler, der in den Genderstreit mit Absicht injiziert wurde: „Wer bewusst das Wort ‚alle‘ statt ‚jeder‘ verwende, habe bereits einen Denkprozess hinter sich, der über das Gendern hinausgehe“.

Nanu? Das Wort alle betrachtet alle Elemente einer Gruppe zusammengefasst als ein Ganzes; jeder betrachtet die Elemente jeweils (!) einzeln. Beispiel: „Alle Menschen sind gleich. Und doch geht jeder Mensch seinen eigenen Weg.“ Andere Sprachen kennzeichnen so einen Unterschied auf eigene Weise, und das ist nicht nur gut so, sondern auch ganz spannend zu beobachten.

Derweil wimmelt es in den Genderleitfäden unseres Sprachraumes von heißen Tipps zur Entsorgung unserer Sprache. Dazu zählen Krampfwörter (Elternteil), irreführende Partizipien (Taxifahrende), Ausmerzen der Endung /er/ (sag niemand, sag nicht keiner!), zwanghafte Beidnennung (Blindenhundentrainer und -trainerinnen), Abstraktion (freiwillige Hilfe ersetzt die freiwilligen Helfer), die in Ämtern so beliebten Passivformen (keine Person erstellt die Liste, sie wird erstellt) und ungezählte Blähwörter (Mitarbeitendengespräche, Radfahrende).

Auf diese Weise verschwindet der Mensch hinter gekünstelten Verrenkungen, und in seiner geistigen Vereinsamung schöpft er Samenspenderinnen und merkt schon nicht mehr, wie er sich zum Affen macht. Dabei ist dieser ganze Aufwand für die Gerechtigkeit vergebens, denn „es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

Also, ihr Aktivist:innen, fordert Taten ein, tut etwas, statt euch mit Doppelpunkten zu schmücken! Die Sonderzeichen waren eine Ablenkung, die Leute haben es bemerkt und wenden sich ab. Nun geht es um die Sprache. Und für die Sprachwächter beginnt die eigentliche Arbeit erst jetzt.

Oliver Baer @ 11:24
Rubrik: Gesellschaft
VDS: Mitglied des Vorstandes Oliver Baer

Beitrag vom 31. Januar 2024

Oliver Baer

Oliver Baer, Mann der radikalen Mitte (Bild: © Natasha Franklin)

Mein politischer Standort (der Verein ist ja parteipolitisch neutral) passt nicht auf eine Wäscheleine zwischen links und rechts. Ich bin um die Freiheit des Geistes besorgt, da stehe ich Liberalen wie Hildegard Hamm-Brücher und Gerhart Baum nahe.

Antisemitismus kommt nicht infrage.

Dass viele Protestwähler einer Partei vertrauen, die stinkt, kann ich aber verstehen: Sie vermissen, dass Politik hinhört, nicht nur zuhört. Jedenfalls brauchen wir zur Lösung der akuten Probleme den globalen vor dem nationalen Blickwinkel. Ich verzichte auf jeden Zuspruch seitens völkisch-nationaler Parteien und Gruppierungen, denn mein Weltbild ist christlich, humanistisch, weit entfernt von der Welt der AfD. Im Grunde wären mir die Grünen sympathisch, hätten sie nicht den naiven Glauben, die Welt würde gerechter, wenn wir die Sprache verändern. Ich habe meine Muttersprache im Ausland schätzen gelernt, daher meine Offenheit für viele Kulturen und ihre Sprachen.

Worin sehe ich meine Aufgabe im Vorstand? Es reicht nicht, dass die Öffentlichkeit weiß, wogegen der Verein ist. Den Bürgern soll angeboten werden, wofür der VDS steht. Wir müssen sichtbarer werden mit Initiativen und Projekten, die etwas Nützliches bewirken: in der Schule, im Handwerk, im Büro, für die Schwächeren in unserer Gesellschaft, für den Umgang mit Hass, Lynchjustiz und kriegsbedingten Überlegenheitsgefühlen; schließlich wäre es nützlich, wenn wir zur Enttarnung von charmanten Unterdrückern (Psychopathen) sprachliche Hilfen zu bieten hätten. Nützlich ist auch der behutsame Umgang mit unserer vielfältigen und schönen Sprache in Literatur, Satire, Humor, sowie der Respekt für die Sprachen unserer Nachbarn.


(Nachtrag am 1.2.2024: Das Wort „stinkt“ darf ich in diesem Zusammenhang auf der Website des VDS nicht verwenden. Da es für ein Drittel der Partei zutrifft, bleibt es hier stehen. Schade ist, dass zwei Drittel dem einen Drittel auf den Leim gehen.)

Oliver Baer @ 11:23
Rubrik: Gesellschaft
Silke Schröder zurückgetreten

Beitrag vom 15. Januar 2024

Nun ist Frau Schröder aus dem Vorstand des Vereins Deutsche Sprache zurückgetreten; damit ist sie dem Rauswurf zuvorgekommen.

Noch einmal zum Mitschreiben: Wenn sich jemand mit den pubertären Gewaltfantasien der Identitären Bewegung befassen möchte, ist das seine Privatangelegenheit, sie geht den Verein nichts an, denn das Interessengebiet des Vereins ist die Sprache, und sonst nichts. Betonung auf: sonst nichts!

Wenn jemand glaubt, er könne seine privaten Anliegen zur Sache des VDS machen, dann disqualifiziert er sich für Ämter im VDS. Da muss der Privatmensch die Konsequenz ziehen und sich aus Vereinsangelegenheiten heraushalten. Warum? Weil er als VDS-Vorstand weltweit 37.000 Mitglieder vertritt, da kann er sich hinter dem Status als „Privatperson“ eben nicht verstecken; da muss er sich entscheiden: Zur gleichen Zeit links und rechts abbiegen, was soll der Quatsch? Schon der Versuch ist entweder saublöd oder eine Bösartigkeit gegen den Verein.

Dies als Nachtrag zu meinem Beitrag hier in der baerentatze: Apropos Geheimtreffen in Potsdam.

Oliver Baer @ 14:07
Rubrik: Gesellschaft