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Sprache in Gesellschaft und Geschäftsleben
Problemzonen des Sprachgenderns

Beitrag vom 14. September 2023

Was bringt’s?

Gendern muss sein, etwa in der Medizin. Fragwürdig ist das Sprachgendern. Den Frauen bringt die sprachliche Sichtbarmachung rein gar nichts, den LGBTQ+ noch weniger; sie macht die Sprache sperrig, sie erschwert die Verständigung, und Literatur wäre damit kaum noch möglich. Für Laien sind sprachwissenschaftliche Einwände schwer zugänglich, und von Genderbewegten werden sie gar nicht erst wahrgenommen. Sie kommen hier nur spärlich vor. 

1  Gerechte Sprache gibt es nicht

Sprache soll gerecht sein und sensibel. Das leuchtet ein, aber kann sie das? Sprache versteht nicht, was da von ihr verlangt wird, sie ist kein Mensch. Sie meint nichts, kann auch nicht mit­mei­nen. Gerechtigkeit bringen nur wir Menschen fertig, wenn wir dabei versagen, nützt auch gegenderte Sprache nichts.

Manche finden es anmaßend, wenn Gen­der­beweg­te trotzdem glauben, sie schüfen so eine gerechtere Welt. Solche Illusionen unterstützen eine Lüge, statt zu nützen.

2  Sprache verändert „sich“ nicht

Das sagt sich so leicht, es liegt einem gerade­zu auf der Zunge. Aber die Wortwahl verändert sich führt in die Irre. In Wirklichkeit wird Sprache verändert: von uns allen, von der Sprachgemeinschaft. So entsteht Sprache seit jeher. Sprache kann keine Ärmel hochkrempeln  und verkünden: „Ich will nur noch gut sein!“

3  Angestrengtes Steuern

Sprache wird von allen Bürgern gebildet, verbildet, umgebildet. Das geschieht seit Jahrhunderten geradezu basisdemokratisch und unangestrengt. Gezielte Eingriffe von oben gelangen stets nur ausnahmsweise und auch dann nur im Einklang mit der Sprachgemeinschaft (Perron wurde zum Bahnsteig, als und weil die Leute das Ober­schich­ten-Fran­zö­sisch satt waren).

4  Gendern schützt vor Bosheit nicht

Angenommen es stimmte, dass Sprache Frauen unsichtbar mache, und Sprachgendern würde das heilen: Wieso sind finnische Frauen besser dran als türkische, wo es doch in beiden Sprachen ein gender (grammatisches Geschlecht) gar nicht gibt? Als eine Ursache für Diskriminierung ist Sprache daher so wenig beweisbar wie die Zahl der Storchennester die Geburtenrate erklärt.

5  Mitleid und Häme – unnötig

Alle Versuche, eine Sprachweise zu erzwingen, ernten wie die Jahresendfiguren und die Winkelemente aus der DDR ein mattes Lächeln. Häme hat die Sache der Frauen nicht verdient.

Übereifer beim Sprachgendern lähmt das Gehirn: Mit Prostata­patient*innen blamiert man sich, auch mit der Witwerin. Woanders wurden Braunbären zu Veganer:innen, und Islamist*innen zählten zu den Taliban. Sorry, aber solche Blüten gelingen nur mit ausgeknipster Birne. Denken bleibt unverzichtbar.

6  Knappe Haltwertszeit

Die Leute reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Was ihnen zu lang, zu umständlich ist, lassen sie sein, das geschieht ganz von alleine. Sprachgendern ist sperrig, verschwindet wieder. Erinnern wird man sich an das Vergängliche, an eine Mode – die allerdings einigen Schaden hinterließ.

7  „Sprache schafft Wirklichkeit“

Genau! Sie wird den Ukrainekrieg beenden, so wie das schon im Jemen und in Syrien gelungen ist. Sprache wird Drogen vernichten, die Prostitution, also alles Böse. Derlei Gerede lenkt ab und bewirkt, dass Sprache weniger ernst genommen wird.

8  „Sprache macht selbstbewusst“

Klar kann Sprache dazu beitragen, aber welches Bewusstsein entsteht, wenn Mitmacher die Gendersignale nur so herunterbeten wie ein eiliges Ave Maria und die Signale abgenutzt werden wie in den Schlagern die Liebe? Oder sollen alle so pointieren wie Petra Gerster – das hielte dann länger? Wirklich?

9  Frauenrechte gelten weltweit, oder?

Diskriminierung von Frauen und LGBTQ+ muss weltweit enden, auch in Sprachen, deren Grammatik kein Genderproblem kennt. Zum Beispiel Englisch und Chinesisch kommen ohne aus und bringen das meiste Gewicht auf die Waage, gegen sie ist nichts durchsetzbar. Der Welt fehlt ein deutscher Sonderweg wie dem Bäcker eine Kreissäge.

10  Genderzwang gibt es nicht?

Es werde „keiner zum Gendern gezwungen“, heißt es in goldiger Scheinheiligkeit. Ganz Ähnliches gilt für die Pflege gewisser Körperteile: Es besteht kein Waschzwang. Aber wer nicht mitgendert, dessen Jüngste bleiben zum Kindergeburtstag ausgeladen.

11  Apropos Taktgefühl

Während auf dem Fußweg nach Dschidda äthiopische Frauen von saudischen Grenzern niedergemetzelt werden und Tausende ukrainischer Kinder von den Russen verschleppt bleiben, kann einem schon mal peinlich vorkommen, wie wir echte Probleme hierzulande mit faden­schei­ni­gen Lösungen überkleben.

12  Genuschelte Gendersprache

Man muss Olaf Scholz nur zuhören, wenn er die Bürer und Bürer beschwört, aber Bürger und Bürger:Innen meint. Kein Vorwurf, so reden viele ohne Absicht, auch Katarina Barley klingt so. Im normalen Sprachgebrauch werden Laute verschliffen, deshalb geht Sprachgendern zum einen Ohr herein, zum anderen hinaus, und es hinterlässt kaum Spuren – außer Gleichgültigkeit.

13  Eine Pein für Auge und Ohr

Dagegen sorgen Eifrige durch me-ga-deut-li-che Be-to-nung, dafür, dass „Genossinnen und Genossen“ im Radio und Fernsehen unterscheidbar bleiben. Das ist gut gemeint, aber es erfreut nur die Ohren und Augen der sowieso schon Überzeugten, alle Übrigen schreckt es ab, die man für gerechteres Handeln noch gewinnen könnte.

14  Abgehobenes Gendern

Sprachgendern ist den Bürgern zu akademisch und es gilt – wenn sie es überhaupt wahrnehmen – als Nötigung durch „die da oben“. Wie klug ist es, Frauen- und Minderheitenrechte gegen die Alltagswahrnehmung auszuspielen, statt Verbündete zu gewinnen? Rechthaberei ist jedenfalls respektlos.

15  Böse beschimpfen Böse als Böse

Sprachpolizisten beschimpfen Sprachpolizisten als Sprachpolizisten. Und Recht hat, wer es zuerst schreit?

16 Unter dem Deckmantel munkeln

Diskriminierung lässt sich unter dem Deckmantel des Sprachgenderns bequem und tüchtiger fortsetzen: „Was wollen Sie denn: Wir gendern doch!“ Dass Sprachgendern oft nur Lippenbekenntnis ist, lässt sich eigentlich am Tonfall erkennen – sofern man überhaupt noch hinhört.

17  Auf die Knie die Männer!

In der Sprachgemeinschaft hält sich der – natürlich total abwegige – Verdacht, dass es nicht um Gerechtigkeit ginge, sondern um eine Geste der Unterwerfung, um den Kotau der Männer vor den Frauen. Wie Wilhelm Tell den Hut des Geßler zu grüßen hatte.

18  Um des lieben Friedens willen

Sprachgendern aus Taktgefühl wäre z.B. die Beid­nennung wie Liebe Österreicherinnen und Österreicher, aber liebe Deutsche und Deutschinnen? Man könnte Damen und Herren! durch Menschen! ersetzen. Mancher wäre bereit zum Femininum (die Arzt) oder zum Neutrum (das Arzt). Oder für ein generisches Femininum. Viele Ideen, alles Kopfgeburten. Denn so funktioniert Sprache nicht: Die Leute machen mit, oder auch nicht, in diesem Fall tut es die Mehrheit genau: nicht. Darunter Millionen Frauen.

19  Symbole verheizen

Wenigstens wegen der Symbolik solle man mitmachen! Aber die Sym­bolik wird in den Medien rund um die Uhr plattgebügelt. So verramscht man Symbole, denen man wohl selber nicht traut. So zerstören die Genderbe­weg­ten eigenhändig Chance, die das Sprachgendern vielleicht noch gehabt hätte.

20  Wem das Sprachgendern schadet

Sprachgendern diskriminiert Behinderte, Flüchtlinge, Grundschüler, Legastheniker, Analphabeten – so darf man sie selbstver­ständ­lich nicht nennen, aber sie mit Sprachgendern zu piesacken geht in Ordnung?

21  Sprich weiter, ich hör eh nicht hin

Alte Weisheit guter Redner: Je sperriger die Rede, desto eher schwindet die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Zu vermeiden sind Fremdwörter, Bandwurmsätze und Sprach­gendern. Oder soll keiner genau hinhören?

22  Futter für den Amtsschimmel

In Ämtern und Behörden wird Sprache besonders pflichtbewusst gegendert. Dabei ist der Schimmel schon schlimm genug zu verstehen. Das erleben Steuerzahler als Überheblichkeit, und Ausländer verstehen kein Wort. Aber die spielen keine Rolle?

23  Sprachwissenschaft, gibt’s die?

Genderbewegte widerlegen die ausführlichen Einwände renom­mierter Sprachwissenschaftler nicht, sie hören sie gar nicht erst. So arrogant kann man sein, aber es zeigt, auf welch schwachen Füßen die Sprachgenderfreunde herum stolpern. Nebenbei zeugt es vom mangelnden Respekt, den umgekehrt sie aber einfordern.

24  Studien ohne Beweiskraft

95 % der Grundschullehrer sind zwar Frauen, aber die Kinder denken bei „Lehrer“ nur an Männer? Ist das wahr? Mit so viel Übereifer manipulierte Studien der Psycholinguistik halten aber keiner Überprüfung nach wissenschaftlichen Kriterien stand: Sie sind nicht repräsentativ, sie enthalten Vermutungen statt Beweise. Die Psycholinguistik gegen die Sprach­wissen­schaften auszuspielen, kann man getrost den Wissenschaftsleugnern überlassen.

25  Es wimmelt von alten Männern

Gegner des Sprachgenderns seien vorwiegend ältere Herrschaften, die ihre Sprachgewohnheiten verletzt sehen, wahlweise auch: … die um ihre Dominanz über die Frauen fürchten. Das klingt ja so schlüssig, es kann nur stimmen! Wenn einem nichts Intelligenteres einfällt. Auch wenn es, nebenbei gesagt, die Alten diskriminiert. Nach dieser Logik hätte auch Arthrose, wer dreimal niest. Oder Recht hätte, wer am lautesten telefoniert. Sagt mal, geht’s noch?

26  Homophob, frauenfeindlich usw.

Auch Wer nicht gendert, ist frauenfeindlich ist kein Argument, sondern eine Unterstellung aus der untersten Schublade. Dem­nach wäre gegen Gemüse, wer Sauerkraut ablehnt. Kann man in der Debatte tiefer sinken? Verleumdung musst du oft betreiben, es wird dann auch was hängen bleiben.

27  Karl Marx rechtsradikal

Wer sich für Deutsch einsetzt, ist ein Nazi. Das ist zwar kein Argument, aber hinläng­lich bewiesen: Es galt bereits für Bertolt Brecht, Erich Kästner, Heinrich Böll, Max Frisch, schon vorher für Heinrich Heine, Karl Marx, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin – alles rechtsextremes Gesocks, und von Sprache keine Ahnung…

28  Sprache ist im Wandel

Stimmt, aber wer wandelt da? Die Sprachgemeinschaft, oder einige Wenige? Dass es schon immer Eliten gewesen sein sollen, ist eine Annahme, und zwar eine falsche. Schon immer war es das Volk. Das Wort deutsch ist abgeleitet vom althochdeutschen thiutisk, das bedeutete zum Volk gehörig, also nicht zu einer Minderheit, die sich für besser hält. Auch das ist eine Tatsache.

29  Beifall ändert keinen Sachverhalt

Dass auch Braune das Sprachgendern ablehnen, ist als Killerargument zu dürftig. Sonst müsste man die Demokratie ablehnen, weil im Bundestag die AfD vertreten ist; diesen Gefallen muss man ihr nicht tun.

30  „Neutral“ bleiben

Neutral sind Gegner des Sprachgenderns: Sie verteidigen die Landessprache gegen Sprach­missbrauch rechts- und linksaußen.

31  Verlogenheit

Klimaleugnende gibt es keine, nur Klimaleugner. Da wird selektiv gegendert, wie schon bei den Nationalsozialistinnen und Terroristinnen – unter Verzicht auf Genderkorrektheit. Absicht? Aber nein, nichts weiter als Sprachgebrauch ohne Hirn und Verstand.

32  Jeder gegen alle

Ein Beispiel für viele: Jeder/jede/jedes soll wegen der Endung /er/ wegfallen und statt­dessen soll alle gesagt werden. Ein feiner, wichtiger Unterschied. Wer diesen nicht erkennt, leidet bereits an Sprachverarmung, die durch Sprachgendern schlimmer wird.

33  Warum gendern so wenige Frauen?

Warum wohl? Nele Pollatschek, Svenja Flaßpöhler, Elke Heidenreich und Millionen andere möchten nicht auf ihr Frausein beschränkt werden. Übrigens möchten auch Männer nicht pausenlos an Sex denken müssen. Nele Pollatschek nennt das Sprachgendern eine „sexistische Praxis, deren Ziel es ist, Sexis­mus zu bekämpfen.“


Das Wort gender ist englisch, es kommt aus dem Lateinischen genus = Typ, Rasse. Es hat dieselbe Wurzel wie genre. Das Geschlecht der Habsburger hat mit dem biologischen Geschlecht (lateinisch sexus) nichts zu schaffen. Gender bezeichnet das grammatische Geschlecht. Auch die Musik hat zwei Geschlechter: dur und moll.

Verwechslungen mit dem biologischen Geschlecht sind verständlich, aber man muss sich dabei nicht erwischen lassen. Auch wenn die Biologie nur zwei zulässt, können „gefühlt“ doch viel mehr Geschlechter existieren, kein Problem  – sie aber auch sprachlich unterzubringen, ist zu viel verlangt. Sicherlich hätte es mehr genützt, den gram­matischen Geschlechtern Farben zuzuweisen.

Was der Genderdebatte fehlt, ist der gute Wille, den es bei Don Camillo und Peppone auch unter ideologischen Gegnern noch gab.

 ©Oliver Baer 2023

Problemzonen des Sprachgenderns v6

Oliver Baer @ 15:22
Rubrik: Gesellschaft
So ersetzbar wie Energie

Beitrag vom 11. August 2022

Zwei der aktuell besonders eifrig diskutierten Dinge sind die Energie und die Gerechtigkeit. Sie haben etwas gemeinsam: den leichtfertigen Gebrauch der Sprache. In erstaunlicher Furchtlosigkeit wird da mit der Sprache umgesprungen, als gäbe es darauf nicht einmal ein Dosenpfand. Dabei gehen uns nicht nur Vokabeln flöten. Das kann teuer kommen, unbequem werden und die Nächstenliebe trüben.

Entdeckt wurde vor Jahren das Klimaproblem, und bald waren die dafür benötigten Wörter ausgelutscht. Es wurde die Energiewende ausgerufen, sie war aber nur eine Stromwende, und auch aus dieser ist nicht viel geworden. Nicht nur blieb das Problem verzwickt, auch das Vertrauen der Bürger wurde gestresst. Und zwar

Irgendwie peinlich (Bild: Fotolia)

gründlich und nicht etwa: nachhaltig. Dass ein kluger Gedanke mit Wörtern platt geschlagen wird, kann man an der „Nachhaltigkeit“ beobachten. Ihre Bedeutung war einmal positiv: Nicht mehr Holz schlagen als zugleich nachwächst! Heute kann man sogar „nachhaltig geschädigt“ werden. Auch „Energiewende“ sagt man am besten nicht mehr, solche Wörter rauschen zum einen Ohr hinein, zum anderen heraus, ohne auf dem Weg durchs Gehirn mehr zu bewirken als Unwillen.

Nun geschieht, aktuell wegen des Krieges, auf einmal viel Konkretes, und es wird mitunter sogar von kluger Sprache begleitet – aber auch von der vertrauten Effekthascherei der Lautdaherredner, die eben deshalb in den Medien häufiger vorkommen. Hauptsache man punktet, gerne auch mit verbalen Tiefschlägen. Im Bauch der Hörer und Leser bleibt übles Gefühl zurück. Kein Wunder, dass zu viele die Lust verlieren. Vielleicht haben wir Glück, und die Bürger halten trotzdem zusammen, wenn es dicke kommt. Teuer wird die Sache allemal. Der Mensch mag Veränderung erst einmal nicht, aber unsere Sprache sollte, wenn’s geht, für das Machen, für das Lösen von Problemen funktionsfähig bleiben.

Ähnlich unrund läuft es bei der Gerechtigkeit: für Geschlechter, für Minderheiten, für Verfolgte. Da werden hohe Ansprüche gestellt, einander widersprechende Forderungen gestellt. Es macht sich halt jeder seinen eigenen Begriff davon, was „gerecht“ sei: ein Wort für mehrere Begriffe. Darüber muss man reden können, sich verständigen, und dazu brauchen wir die Sprache. Diese aber wird vernebelt durch den Versuch, Gerechtigkeit zu erzwingen, indem Wörter tabuisiert werden, und wer sie trotzdem verwendet, gilt als „umstritten“, als homophob, als Rassist und sowieso als alter weißer Mann! Den muss man von der Bühne pfeifen. Geht uns das Sprachgefühl verloren, seit jeder digital mitreden kann? Eher nicht, verleumdet wurde schon immer, aber ein Hass lässt sich heute wirkstärker verbreiten. Ein behutsamer Umgang mit der Sprache täte jetzt gut.

Peinlich, nein unaufrichtig an den Gesprächen ist, wie das Ziel mit dem Werkzeug verwechselt wird, womit das hehre Ziel zu erreichen wäre. Das sieht so grotesk aus, als wollte man die Abseitsregel aus dem Fußball auch für gesundes Essen durchsetzen, und wer das nicht einsieht, gilt als Tierquäler. So sieht der Streit um Gerechtigkeit aus: ganz schön konfus. Denken und Sprache haben miteinander zu tun, sie wirken in beide Richtungen aufeinander ein, und manchmal muss man erst denken, dann reden. Oder die Klappe halten. Wie wäre es, wenn wir unser Sprachgefühl wiederentdecken, im sorgsamen Gebrauch pflegen und immer erst einmal klären: Welches Problem wollen wir jetzt bereden, wie halten wir die Dinge auseinander, bevor wir die Kategorien durcheinander werfen? Wir blamieren uns doch bis auf die Knochen, wenn wir die Sprache behandeln wie Plastikmüll: bis zur Wertlosigkeit wiederverwerten und am Ende den Mist doch noch verbrennen. Fangen wir schon mal an, mit unserer schönen Sprache Begeisterung zu wecken. Vielleicht überzeugen wir Sprachfreunde durch vorbildlichen Gebrauch unserer Landessprachen, unserer Muttersprachen, aller Sprachen – denn: Ähnliches gilt für unsere Nachbarn weltweit.

Halten wir fest: Was wir einander mit der Sprache Schönes oder Hässliches antun, reicht von der Energieknappheit bis zur Gerechtigkeitslücke. Da sind wir alle betroffen, auch wer mit der Schulter zuckt: „Dazu fehlt mir das sprachpatriotische Gen.“ Nein, dazu braucht es kein Gen, es braucht die Energie zur aufrichtigen Verständigung. Und wer darf sich jetzt an die Nase fassen? Politiker und Journalisten sind die üblichen Verdächtigen, na klar, aber wie verhalten wir uns, wir Sprachfreunde? Wir könnten unserer sprachkulturellen Verantwortung gerecht werden. Eigentlich müssten Umweltschützer unsere besten Freunde sein, denn Sprache ist eine Ressource des Geisteslebens, so endlich wie die Ressourcen der Natur und der Umgang damit so folgenschwer wie die Gewinnung und der Verbrauch von Energie.
© Oliver Baer, Juli 2022


Dieser Beitrag wurde im Sommer 2022 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (III/2022) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 17:47
Rubrik: Gesellschaft
Sprachfreunde am Tellerrand

Beitrag vom 4. Mai 2022

Sprache als Werkzeug (Bild: © Behland)

Anlässlich der Vorstandswahlen konnte man fragen, was im aktuellen Krisentheater wir zu bieten hätten, wir der Verein Deutsche Sprache. Tun wir etwas Nützliches, oder stehen wir im Weg, da es heikle Fragen zu behandeln gilt, dringender noch als Sprachkritik, Anglizismen, sogar das Gendern? Sollten wir nicht bei Aufgaben mit anpacken, die den Bürgern auf den Nägeln brennen oder bald brennen werden? Hier sind, unvollständig und in willkürlicher Folge, Themen zu denen wir Nützliches beitragen können.

Handwerksbetriebe brauchen Lehrlinge, die deutsche Sätze zu Ende bringen, auch schriftlich; künftige Gesellen und Meister, die einmal den Laden übernehmen sollen. Wohlgemerkt, zu den sprachlich Unbedarften zählen nicht nur junge Leute fremder Muttersprachen! Wie können wir uns einbringen, dass den Schulen, aber auch den Betrieben mehr Bildung und Ausbildung gelingt, etwa durch mehr Deutsch im Lehrplan? Die Muttersprache bleibt ja unersetzbar, um Dreisatzaufgaben zu verstehen, um Physik, Bionik, künstliche Intelligenz, auch um ein brauchbares Englisch zu erwerben!

Wie holen wir die vielen in die Wahllokale, die unserer Demokratie offenbar nichts abgewinnen können? Wie erleichtern wir ihnen die Einsicht, dass engere Systeme nicht nur unter den Armen kneifen? Wie bekommen wir von Politikern Klartext, nicht nur versehentlich? Wie geben wir den Ämtern zu verstehen (wirksam, also mit Herz), dass ihr Bemühen um gerechte Ausdrucksweise den Respekt der Bürger aufs Spiel setzt?

Wie überzeugen wir unsere Hochschulen, dass sie mit Cambridge nie gleichziehen werden, solange sie auf Englisch lehren? Wie verhelfen wir ihnen zu der Courage, zweckmäßig mit Muttersprache und Weltsprache zugleich umzugehen? Wie soll die das Volk der Steuerzahler – die „breite Masse“ – den Wissenschaftlern vertrauen, wenn sie die Komplexität der Dinge nicht im feinst verständlichen Deutsch zu erklären suchen? Wie nehmen wir den medialen Meinungsführern den Drang zur Dauerbelehrung der bockigen Mehrheit, die beispielsweise Gendern partout nicht mitmacht. Apropos, wie gelingt uns der Umgang mit Gesundheit im Staate wie etwa den Dänen: wirkungsvoll und weniger laut? Wie verhelfen wir den Mitbürgern zur Trennung von Tatsachen und Meinungen?

Wie setzen wir Propaganda schachmatt, wie legen wir die Kniffe offen, mit denen organisierte Chaoten die sozialen Medien durchsetzen? Wie finden wir zu einer Verständigung mit Wärme und Witz, statt Hass und Häme, angefangen bei uns selber? Wie verhelfen wir zu der Einsicht: Es gibt Probleme, bei deren Lösung wir uns schuldig machen, so oder so; sündenfreies Handeln gibt es nun mal nicht, nicht auf diesem Planeten. Wie kommen wir zu Respekt vor den Ursachen anderer Standpunkte? Damit wir morgen noch miteinander reden? Meinungsaustausch setzt ja voraus, dass ein Austausch immerhin möglich sei.

Das heißeste Thema, abgesehen vom Klima, ist aktuell die Globalisierung. Schon werden die meisten Lieferketten neu geschaffen, die alten in Teilen bereits rückgängig gemacht. Wie verhelfen wir den Mitbürgern zum Verständnis, dass vieles zunächst noch komplizierter wird als es schon war? Ach ja, und wird es bei Englisch als Weltsprache bleiben, oder kommen unsere Nachbarsprachen wieder ins Spiel? Sind wir grenzüberschreitend dabei?

Unsere Lieblingsärgernisse können wir inzwischen aufs Eis legen, zum Beispiel das Sprachgendern. Alles ist gesagt, bald auch von jedem, und mehr Aufmerksamkeit ist das Thema nicht wert. Zum einen, weil Frauen („die nützliche Hälfte der Gesellschaft“) längst ohne sprachliche Klimmzüge in Positionen rücken, wo sie hingehören, schon weil sie eben nicht Männer sind. In Männerrunden entsteht ein gedeihliches Arbeitsklima schon durch Aufnahme weniger Frauen, das weiß, wer es erfahren hat. Also entspannen wir uns, paritätisch wird es von selbst! Zum anderen läuft das Sprachgendern von allein in die Leere, denn die meisten Mitbürger mögen es nicht und schon gar nicht mögen sie belehrt werden. Handfeste sprachliche Formen, die stärker sind als der unterwürfige Gebrauch von Sprechhülsen, finden wir umso schneller, wenn wir nicht mehr zum Gendern genötigt werden.

Sprache und Denken sind unser geistiges Rohmaterial und unser Werkzeug, eine endliche Ressource, mit Bedacht, Behutsamkeit und mit Humor zu gebrauchen. Nicht „interessant“, sondern „interessiert“ zu sein, wäre ein brauchbarer Einstieg. Neugier auf die anderen jenseits des Tellerrandes hat mit Sprache unendlich viel zu tun.

© Oliver Baer im Mai 2022


Dieser Beitrag wurde im Frühjahr 2022 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (II/2022) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 17:44
Rubrik: Gesellschaft
Spiel mir das Lied

Beitrag vom 1. Februar 2022

Total kein Gendern mehr, wie abgeschnitten. (Bild © Oliver Baer)

Aus dem Sprachgendern wird auf die Dauer nichts, man kann dem Scheitern bereits zusehen. Ähnlich geht es zu beim Sprachkampf gegen Rassismus.

Während ein von faschistischen, total durchgedrehten Drogendealern regiertes Land die Panzer und Raketen seiner friedlichen Nachbarn ins Land lockt, um sie dort sogleich zu überfallen, befassen wir uns weiterhin mit dem Thema Sprache. Muss sein, es gibt nun mal, bevor wir uns den handfesten Zeitfragen zuwenden, ein paar Dinge abzuhaken – ein für allemal. Übrigens, wer diesen Beitrag liest, bestätigt durch konkludente Handlung, dass er/sie/es darin keinen Beweis für Frauenfeindlichkeit oder Vorbehalte gegenüber LGBTQ+ vorfindet. Feministen und Antirassisten dürfen also weiterlesen, es geht nicht gegen ihre Sache, es geht gegen die Art und Weise, wie sie ihre Ziele durchboxen.

  1. Ihr Sprachkampf gegen die alten weißen Männer (AWM) steht auf dünnstem Eis. Ob im Marketing oder im Krieg, als erstes gilt es die gegebenen Mehrheiten zu würdigen. Außer den AWM sind nämlich auch Frauen mehrheitlich gegen das Gendern, sogar die tendenziell links-grünen Wählerinnen sind bestenfalls zur Hälfte beim Gendern dabei. Erkenntnis: Offenbar gibt es einige Millionen Mitläufer:innen, sie sind mit Dingen befasst, die mehr pressieren (bezahlbarer Wohnraum, Heimbeschulung der Kinder?) als Straßendemos gegen Gendersternchen zu bevölkern. Vorsicht: Wehe, wenn diese Damen (und ihre Männer) mal aufmucken!
  2. Propaganda mit Symbolen kann gelingen, wenn man sie sparsam, nämlich gezielt ins Spiel bringt. Beispiel einer Spitzenpeinlichkeit: Die taz veröffentlichte in einem Beitrag 23 mal „:innen“, drei sogar im Schleppzug: „Linguist:innen“, „Ak­ti­vis­t:in­nen“ und „Dokumentarist:innen.“ Das ist trotzig, mutig, heldenhaft, und es versenkt das eigene Schiff – na gut, kann mal passieren. Auch Anbieter im Markt beweisen mit Genderwashing Ihren Kampfesmut: Seht her, wie geschlechtsneutral wir sind!
  3. Die Bilderstürmerei der Puritaner war dagegen harmlos. Da schnauzen zwei Antirassisten im Kieler Restaurant „Zum Mohren“ den kaffeefarbigen Mitarbeiter an: Wie er als Schwarzer für so einen Rassisten arbeiten könne? Sie wünschen sofort den Chef zu sprechen. Das jedoch ist der soeben Angeschnauzte; die Antirassisten können es nicht glauben. Sie glauben auch nicht, dass er als Chef das Recht hätte, seinen Laden zu nennen wie es ihm behagt. Aber man kann sogar Kunstmenschen gendern: „Roboter:innen“, kein Witz! Derweil wird in Leitfäden für gendersensible Sprache vor der Endung „er“ gewarnt. „Jeder“ muss durch „alle“ ersetzt werden, denn „bei Pronomen schleicht sich oft die männliche Form ein“. Gott, wie eklig, und das geht schon seit Jahrhunderten so!
  4. Offenbar teilt sich die Menschheit in Realos und Fundis. Alles gut, so lange sie um Kompromisse ringen, aber wenn zuerst die Gesinnung zu bedienen ist, bevor man die Vernunft in Gang setzen darf, kommt es auch zu Bücherverbrennungen. 1933 hat sich die akademische Jugend daran gerne beteiligt. Der Vergleich tut weh, das soll er und vor der Teilnahme an Massenbewegungen warnen. Ein unfairer Vergleich? Wirklich?
  5. Der Sprachkampf befasst sich mit Abstrakta. Der Mord neben dem Polizeiauto war griffig, real. Die Antwort „Südseekönig“ statt „Negerkönig“ ist irreal, ausgedacht, sogar kontraproduktiv. Eine der wirkstärksten Geschichten gegen Rassismus war und ist noch immer Mark Twains „Huckleberry Finn“, darin wurde das Wort „Nigger“ über 200 mal gefunden.
  6. Ausgerechnet Frauen sind es, die den Kampf um korrekte Sprache anführen. Das ist für die besagten Millionen der vielleicht weniger emanzipierten (aber selbstverständlich mitgemeinten) Frauen und ihre beflissenen Männer fragwürdig. Was ihre Vorkämpfer:innen da anrichten, ist im Porzellanladen zu sehen: ein Haufen Kollateralschaden, null Nützliches. Keinen Millimeter Geländegewinn bringt der Sprachkampf um die Gerechtigkeit unter den Geschlechtern, den Ethnien und so weiter. Aber er befeuert den Gegenschlag der rachsüchtigen Unbelehrbaren, beispielsweise gegen LGBTIQ+ in Russland, in Ungarn, in Polen. Die Einzigen, denen der Sprachkampf etwas nützt – Geltung und sichere Arbeitsplätze – sind die in Gender Studies untergekommenen Akademikerinnen und in den Gemeinden die Gleichstellungsbeauftragten.
  7. Wie kommen sie, wie kommen wir aus der Nummer wieder heraus? Mit den Vorkämpfer:innen wird es zu keiner Exitstrategie kommen. Zwar könnten die Sprachpuristen zur Lösung beitragen, indem sie sich mäßigen, aber sie werden es nicht fertigbringen. Die Lösung formuliert Navid Kermani so: „Da ich mich nicht dazu entschließen kann, das üblich gewordene, semantisch jedoch falsche und dazu unschöne Partizip ,Studierende‘ zu verwenden, ist es also notwendig, beide Geschlechter zu nennen.“ Nämlich fallweise, wo das Taktgefühl funktioniert. Man nennt das die „moderate Beidnennung“, wo wir Sprachempfindsamen das sachlich Falsche ausnahmsweise zulassen, indem wir es in unserem Bewusstsein als Falsches erinnern – um des lieben Friedens willen!
  8. Übrig bleibt die Begrenzung des Schadens an den Kindern. In allen Punkten, sofern sie sich nicht wie die Sternchen von alleine erübrigen, muss zurückgerudert werden. „Alle“ ist nun wirklich kein Ersatz für „Jeder“; Partizipien brauchen wir für Klarheit der Ausdrucksweise; Passivkonstruktionen zählen zum Grausamsten, was man mit Sprache anstellen kann.

Mit anderen Worten, wir können die Hysterie auch sein lassen, konzentrieren uns lieber auf Taten für die tägliche, die greifbare Gerechtigkeit, zum Beispiel die gleiche Bezahlung. In der DDR war mit „Dreher“ jeder Dreher gemeint, ob Mann oder Frau. Als „bester Biathlet aller Zeiten“ gilt aktuell Marte Olsbu Røiseland, zuvor war das Ole Einar Björndalen. Jeder Versuch dieses generische Maskulinum zu gendern, würde Frau Røiselands wie auch Herrn Björndalens Leistung schmälern. Spielen wir lieber das Lied vom Ende des Genderns!


Dieser Beitrag wurde im Winter 2022 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (I/2022) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 17:03
Rubrik: Gesellschaft
Tote Sprachen gibt es keine

Beitrag vom 12. August 2021

Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn (Bild: Behland)

Sein Lieblingswort sei „einander“, wissen wir von Bastian Sick, dafür hat er sogar die Patenschaft übernommen. Eine gute Wahl, denn „einander“ wird kaum noch verwendet, es stirbt aus, wie man so sagt. Dabei ist es unersetzbar, oder sollte es sein, denn „sie liebten sich“ ist nicht dasselbe wie „sie liebten einander“.

Da widerspricht der Volksmund, gemeint sei genau dasselbe. Womit er recht hat, denn kein anderer als der Volksmund, genauer: die Sprachgemeinschaft macht die Sprache. Das sind wir alle, die wir uns der Sprache bedienen, sie gebrauchen und missbrauchen, dass es eine Freude und eine Schande ist. Streng genommen hat der Volksmund nicht recht, oft redet er Stuss, aber er behält recht – was die Sprache angeht. Insofern stimmt es, wenn von Zweien die Rede ist und sie sich liebten, da gibt es keinen Zweifel, wer da wen liebte: der Eine den Anderen, und umgekehrt. Oder neuerdings: der/die Eine den/die Andere. Wobei, wenn man es so sagt, etwas verloren geht, aber so redet man nicht, schon gar nicht der Volksmund.

Nicht erst neuerdings verlieren wir etwas anderes, den angemessenen Gebrauch des Wörtchens „sich“, wenn es nur um einen Teilnehmer am Geschehen geht und dieser keine Person ist. Der Mensch entwickelt sich, die Gesellschaft tut es, auch der Feminismus verändert sich über die Jahre. Die Person ist sich sicher, manche wissen sich im Besitz der Wahrheit, Mütter versichern sich der Hilfe durch ihre Partner. Aber die Sprache, ist sie verunsichert, entwickelt sie sich? Um das zu können, müsste sie sich ihrer selbst bewusst sein. Sie müsste irgendwann ahnen, bald wissen und schließlich die Ärmel hochkrempeln und verkünden: Von nun ab soll alles Neue auf Englisch benannt werden, von nun ab gibt es keine Väter und Mütter (nur noch Teile von Eltern) und Frauen sind Personen mit Menstruationshintergrund. So einfach geht das: Die Sprache entschließt sich zur Entwicklung, zu ihrer eigenen Weiterentwicklung und schreitet voran, ein fröhlich Lied auf den Lippen, womöglich auf dem Rücken eines Pferdes in Richtung Sonnenuntergang.

Das macht sich immer gut, stimmt aber nicht, denn all das könnte die Sprache nur unter einer Voraussetzung: Sie müsste ein Lebewesen sein. Das ist keine Sprache, und was nicht lebt, kann nicht sterben. Dennoch wird der Volksmund weiter reden, wie ihm zumute ist. Nicht nur er, sogar Sprachwissenschaftler sagen: „Die Sprache lebt, sie verändert sich.“ Na gut, einverstanden! Dann aber bitte unter einer Voraussetzung: Redet, wie ihr wollt, aber seid euch bewusst, was ihr sagt und werft nicht mit Wörtern wie mit Lehm. Oder haltet auch mal die Klappe.

Es gäbe auch die umgekehrte Lösung des Problems: Wäre Sprache tatsächlich ein Organismus und zu allem Genannten fähig (Bewusstsein, Entschlussfähigkeit und Tatendrang), bliebe dem Schreiber dieser Zeilen nur diese Bitte: Dann lasst uns nicht nur netter mit der Sprache umgehen, sondern unsere Pflicht und Schuldigkeit erkennen! Wie beim Schutz der Tiere, der Kinder, der Frauen, der Natur, der Erde, also auch der Sprachen. Und dabei bedenken: Zum Denken, also zum folgerichtigen Denken, zu diesem Kopfschmerzen schaffenden Vorgang im Gehirn brauchen wir die Sprache. Je bewusster wir damit umgehen, desto eher dürfen wir auch mal Stuss reden. Denn wir wissen, was wir tun. Und kommen miteinander aus.


Dieser Beitrag wurde im Herbst 2021 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (IV/2021) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 16:48
Rubrik: Gesellschaft
Weg ist weg

Beitrag vom 13. Juli 2021

Böse Wörter sind abzuschaffen. Dagegen kann keiner etwas haben, denn sie verletzen, und was wehtut, muss weg. Am besten, man verbietet sie.

Das hat beim Klimawandel geklappt, na ja, nun ist der Rassismus dran. Das fällige Sprachverbot beginnt bei dem Wort „Rasse“. Da es Rassen nicht gibt, kann das Wort aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Was da nicht drin steht, gibt es nicht, zum Beispiel die deutsche Sprache, etwa nach dem Motto: Wenn ich nicht hingucke, sieht es mich nicht. Aber falls die Leute darauf nicht mehr hereinfallen, verspricht ein Verbot mehr Wirkung.

„…dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ (sagte Tucholsky in Was darf die Satire?).(Bild © Zangs)

Dabei wird jedoch ein neues Problem sichtbar, es hat mit der Klarheit des Denkens zu tun: Was zu verbieten ist, muss man nämlich bezeichnen, damit klar ist, was es nicht mehr geben darf. Etwa so: Liebe Leute, Rassismus wollen wir nicht, deshalb streichen wir das Wort Rasse aus dem Wortschatz. Übergangsweise ersetzen wir es durch das „R-Wort“.

Da es, streng genommen, sogar das R-Wort nicht geben kann, wird auch „Rassismus“ zu einem R-Wort. Nun haben wir zwei von der Sorte, nennen wir sie R1 und R2. Sie wurden zu dem Zweck fabriziert, dass ihr Inhalt spontan verschwindet. Ganz einfach: Da es R1 nicht gibt, kann R2 gar nicht sein. Das ist wie in der Quantenphysik, sobald du das Ding anschaust, ist es nicht mehr da. Da werden ein paar Leute am Dienstag nachsitzen müssen. Noch einmal zum Mitschreiben: Wir erklären mit einem nicht existenten Ding ein nicht mehr existieren zu habendes Ding – zu dem Zweck, dass dieses aus unseren Gehirnen restlos entsorgt wird. Das nennt man Gehirnwäsche, dagegen ist Quantenphysik ein Kinderpicknick.

Es gibt aber Nachzügler, die das Nachsitzen schwänzen, die sogenannte „breite Masse“. Deshalb muss man die bösen Wörter für weitere Belehrungen aufbewahren. Das tun Fachkräfte für uns, sie stecken böse Wörter (auch solche mit M oder N) in den Giftschrank. Nur sie dürfen Gift entnehmen und wegsperren. Gibt es diese Fachkräfte? Aber sicher, Leute die wissen, was gut und was böse ist, gibt es haufenweise. Wir erkennen sie an ihrem Sendungsbewusstsein, womit sie die Dummen umerziehen und zur Einsicht notfalls nötigen. Sie sind beliebt wie ehemalige Raucher, aber da müssen sie durch. Die Fachkräftigen brauchen unser Vertrauen. Das Vertrauen, dass ihre Fachlichkeit unserer Fähigkeit zum eigenen Denken überlegen ist. Diese Bedingung ist offenbar längst erfüllt, sonst würde, was sie und ihre Gegner behaupten, rückstandsfrei verpuffen.

In Mark Twains Abenteuer des Huckleberry Finn kommt das total böseste aller Wörter 200 mal vor – den ersten Buchstaben wollen wir hier gar nicht erst nennen –, mit dem Huckleberrys Begleiter bezeichnet wird, ein der Sklaverei Entlaufender namens Jim. In uns lesenden Buben – mittlerweile alte weiße Männer (AWM) – entfachte die Geschichte einen bleibenden Widerwillen gegen R2. Warum? Weil der Autor durch wohl platzierte, häufige Verwendung des N-Wortes (jetzt ist es heraus!) Vorurteile unübersehbar machte. Das beflügelte in uns Buben die eigenständige Entfaltung einer Gesinnung. Nebenbei erwähnt: Das Buch ist in den USA so gut wie verboten, auch hierzulande ist es verpönt.

Das ist kein Beweis, bloß ein Beispiel, noch dazu aus dem Erfahrungsschatz eines AWM, der nichts dagegen hätte, dass man dem Blutdruck durch Verbot beikäme. Das wird wohl nichts. Auch aus dem Kitsch, der aus Onkel Toms Hütte gemacht wurde, gewinnt man zwar Gesinnung, aber keine eigenständig erworbene. Jede Steuerung des Sprachgebrauchs ist nun mal widersinnig, denn sie erstickt die Freiheit der Dummen (siehe oben: die zu belehrende breite Masse), also die Freiheit der Mehrheit, eine Tugend der gerechten Gesinnung aus sich heraus zu entwickeln. Unersetzbar ist dafür die Fähigkeit zum Anfertigen und Äußern EIGENER Gedanken. Erzwungene Tugend ist einen Dreck wert, also Finger weg von der Sprache!


Dieser Beitrag wurde im Sommer 2021 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (3/2021) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 18:29
Rubrik: Gesellschaft
Sprache der Unterdrücker

Beitrag vom 16. Mai 2021

Ganz Südafrika ist schwarz. Ganz Südafrika? (Bild Fotolia)

Was aus den Muttersprachen wird, ist im südafrikanischen Kapland möglicherweise bereits zu beobachten. Englisch ist Lingua franca und Medium der Eliten, von Afrikaans gibt es bereits mindestens einen Jargon.

Nachvollziehbar ist das im Original der weltweit gelesenen Krimis des Kapstädters Deon Meyer. Geradezu liebevoll bringt er uns die Mischung der Ethnien nahe, wobei er den gängigen Versöhnungskitsch weitgehend vermeidet. Statt in der Weltsprache schreibt er in seiner afrikaansen Muttersprache, in der Sprache der Buren, aller Welt bekannt als Instrument der Unterdrücker. Seine Mutter- statt der Weltsprache verwendet Meyer mit offenbar hintersinniger Freude. So kann er eine Farbenvielfalt darstellen, die in den Übersetzungen verblasst. Urwüchsig ist der Jargon der Kapstädter „Braunen“. Dazu muss man wissen, für zwanzig Millionen ist Afrikaans die zweite Lingua franca Südafrikas, für sechs Millionen ist es die Muttersprache, davon zählen mehr als die Hälfte zu den Unterdrückten.

Zumal im Kapland nennen sich die Farbigen (coloureds) selber bruin. Waren sie früher nicht genügend wit, sind sie im Regenbogen-Südafrika nicht swart genug, stets stehen sie zwischen besetzten Stühlen. Ihnen, den Meistbetrogenen der Wende, gilt Meyers besondere Sympathie, aber auch die Übrigen im Polizeiapparat kommen gut weg: die Gewinner, zumal die Zulu und Xhosa, aber auch die Verlierer, die sogar als alte Hasen ihres Faches der sogenannten positiven Diskriminierung unterliegen. Meyer erzählt von dennoch wachsendem Respekt, sogar Zuneigung unter den gemischten Kollegen im Polizeialltag, und von ihren Begegnungen mit so manchem Verdächtigen oder Zeugen, dem das Regenbogensüdafrika nicht in den Kram passt. Mitunter idealisiert Meyer, trotzdem stimmen seine Bilder, man muss ihn nur zu Ende lesen – am besten im Original.

Eine Zumutung? Aber Neugierige werden mit herrlichen Dialogen belohnt. Typisch für die schwarzen Polizisten ist ihr bemühter Gebrauch eines gewählten Englisch, welches er bewusst unübersetzt lässt. Die Braunen im Kapland bewegen sich, je nach Milieu, zwischen einem wildwüchsigen bis hin zu einem gebildeten Afrikaans. Ihre Rede strotzt vor englischen Redensarten, zwischen zwei Satzzeichen wechseln sie auch mehrmals die Sprache. Das ist komisch, saftig, echt. Man genießt das Einfühlungsvermögen des Autors in das ethnische Gemisch seiner Heimat, wo zur gleichen Zeit die nicht mehr Aparten zusammenfinden, und andere ihre Vorurteile weiter pflegen.

Zur Echtheit des Ambientes zählt, wie unbefangen Meyer vor keinem der – auch in Südafrika schon immer – verpönten Wörter zurückschreckt. Wie sonst soll man Chauvinisten darstellen, jene die am liebsten unter sich bleiben, als in ihrer authentischen Wortwahl? Ein Bonus für beharrliche Sprachfreunde sind die Funde an Wörtern, die uns altertümlich vorkommen: misdaad für Verbrechen, die Verzweiflung ist wanhoop, die Begeisterung geesdrif. Wie mag sich hierzulande das einfache Volk ausgedrückt haben, als Entlehnungen aus dem Lateinischen und Französischen nur den Gebildeten geläufig waren?

So bebildert Meyer Umgebungen, in denen sich Wandel tatsächlich vollzieht, bevor er die Sprache prägt, die der Unterdrücker wie der Unterdrückten. Wie sprachlicher Zwang Trotz gebiert. Im neuen Südafrika tummeln sich die Eliten und Aufsteiger in der Weltsprache der Kolonialisten. Vielleicht ahnen sie, was ihnen entgeht, denn menschliche Wärme liegt in den Dialekten, in den Jargons, wo die Leute reden, wie der Schnabel gewachsen ist, was sie sich zu eigen machen, und was sie am Aufstieg auch zu behindern droht. Deutsch ist auf einem ähnlichen Weg wie Afrikaans, von anglophilen Eliten verpönt, im Prekariat immer weniger geschätzt und Neuankömmlinge zweifeln, wozu sie es überhaupt noch lernen sollten. Es gäbe einigen Anlass beizeiten zu vermitteln, statt mit forcierter Redeweise die Gesellschaft bekehren zu wollen. Insofern dienen ausgerechnet Krimis aus Afrika als Fingerzeig und Warnung zugleich.


Dieser Beitrag wurde im Frühjahr 2021 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (2/2021) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 17:02
Rubrik: Von Babylon nach Globylon
Im Tunnel der Horizont

Beitrag vom 16. April 2021

(ausnahmsweise ein etwas längerer Beitrag)

Wissenschaftler sorgen selbst dafür, dass ihre Leistung wenig gewürdigt wird. Sie veröffentlichen gleich auf Englisch, ohne den vermeintlichen Umweg über die eigene Sprache.

Words fail me (Bild Fotolia)

Ob Wissenschaftler miteinander auf Deutsch, Englisch oder Mandarin verkehren, geht nur sie an, sollte man meinen. Sie wissen, was sie tun, in ihrem Fachgebiet. Beim Umgang mit der Sprache jedoch irren sie. Auf Englisch müssen sie nicht nur veröffentlichen, sie wollen auch wahrgenommen werden, das ist nicht dasselbe. Die englische als die Weltsprache der Wissenschaft zu preisen, soll wie ein Trumpf alle Bedenken stechen. Zwei Kardinalfehler bleiben unbeachtet: Der eine fußt auf einem Missverständnis, der andere auf einer Missachtung.

Das Missverständnis ist so leicht erklärt, wie es schwer auszuräumen ist. In aller Regel beherrschen Wissenschaftler keine Fremdsprache wie ihre eigene. Bis auf die mehrsprachigen Könner; um diese winzige Minderheit geht es hier nicht. Den Übrigen gelingt schöpferisches Denken in der fremden Sprache so, als müssten sie zum Sprint in Wanderstiefeln antreten. Das gilt auch für die Darstellung ihrer Arbeit. Sogar Mathematiker benötigen die Bilder und vor allem das Bildende einer reichhaltigen Sprache, und das will geübt sein. Selbst die größten Geiger proben täglich. Die Musik vom Blatt zu fiedeln, ist Virtuosität, keine Kunst.

Überschätzte Englischkenntnis

Woher beziehen die Wissenschaftler den Traum, man könne Englisch beherrschen? Wäre der sprachlich hilflose Stephen Hawking etwa ein Experte minderer Klasse? Unsere Englischkenntnisse überschätzen wir hierzulande nicht nur ein bisschen, sondern maßlos. Wissenschaftler belegen das mit ihrem Stummelenglisch. Der Mediziner Eckhart Hahn meint, deutsche Forscher wirkten mit Englisch „unbeholfen im Diskurs mit englischen Muttersprachlern wie Babys“. Woher auch sollten sie es besser können? Von Biologen ein geschliffenes Englisch zu verlangen, damit sie sich in ihrem Fach qualifizieren, ähnelte einer Rechtschreibprüfung für Marathonläufer.

„Der unter deutschen Gebildeten am weitesten verbreitete Aberglaube ist, dass sie Englisch können“, meinte der Publizist Johannes Gross; er kannte sich aus. Engländer und Deutsche verstehen schon unter angeblich identischen Begriffen nicht dasselbe. Unsere Milliarde ist in den USA eine Billion, in England nicht immer – ein schlichtes Beispiel. Schwerer wiegt dieses: Justice gilt als die richtige Übersetzung für Gerechtigkeit. Im Englischen steht mit justice meistens die Gerechtigkeit vor Gericht im Brennpunkt. „Wenn wir Deutschen von Gerechtigkeit sprechen, meinen wir eher Aspekte, die sich mit fairness oder equality übersetzen lassen“, sagt die Indogermanistin Rosemarie Lühr. Da lässt sich erahnen, wie sich Wissenschaftskulturen schon an der Sprache scheiden.

Außerdem unterschätzen wir das rhetorische Werkzeug, mit dem der native speaker den Nichtmuttersprachler schachmatt setzt. Für die Wissenschaften ist Eloquenz jedoch kein brauchbarer Maßstab. Da geht es um Substanz und darum, wie man sie vermittelt. Für beides sind die Experten mit der Muttersprache besser gerüstet. Englisch anstelle der Muttersprache kann daher nicht genügen, die Weltsprache ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung.

Unterschätzte Übersetzer

Der Irrtum deutscher Wissenschaftler, dass ihr Englisch genüge, ist verständlich. Wer einen Fachartikel aus The Lancet versteht, mag sich in dem Glauben wiegen, Gleiches zu schreiben bringe auch er fertig. Irrtum, verstehendes Lesen ist eine rezeptive Sprachfähigkeit. Die produktive Fähigkeit, auf hohem Niveau zu schreiben, verlangt hingegen Sprachkunst. Auf C2, der höchsten Stufe des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER), begegnet man Muttersprachlern in einem nach oben offenen Raum. Sprachkenner wissen, dass sogar ein Jahrzehnt an der University Wisconsin nicht genügt, um mit native speakers auf gleicher Augenhöhe mitzuhalten.

Sinngemäß trifft auf Wissenschaftler zu, worum die Brüsseler Dolmetscher immer wieder bitten: Bleiben Sie in Ihrer Muttersprache, dann können wir sagen, was Sie ausdrücken möchten! Woran sich Wolfgang Schäuble nicht hält, aber er glaubt sich richtig verstanden. Am Arlberg wären wir skeptisch, würde einer zum Bergretter berufen, weil er im Pulverschnee eine gute Figur macht. Engländer und Amerikaner, zumeist keine Experten fremder Sprachen, sind da gnadenlos. Sie setzen den souveränen Umgang mit ihren Redensarten und Redewendungen voraus; als Fremder verwendet man sie oft glücklos, man blamiert sich, man „gehört nicht dazu“. Kurzum, es gibt keinen guten Grund, auf die Dienste hervorragender Übersetzer zu verzichten – außer einer guten Frage: Gibt es sie in ausreichender Zahl? Wenn nicht, müssen wir sie ausbilden, schätzen und gut bezahlen. Sie bilden die Infrastruktur des wissenschaftlichen Austauschs.

Des Problems zweiter Teil

Offen ist das zweite Problem, die Missachtung eines wesentlichen Unterschiedes, den wir im gängigen Glauben an die Gleichheit aller Menschen nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Da sie in ihren Sprachen verschiedene Wege des Denkens gewohnt sind, kommen Chinesen zu abweichenden, vielleicht besseren Lösungen als Franzosen oder Deutsche. Das beflügelt den Wettstreit der Ideen, es verhindert den Tunnelblick auf den Horizont. Lassen sich alle auf nur eine Sprache ein, werden sie zu den gleichen Denkroutinen neigen und auf Lösungswege durch anders gebildete Denkwelten zunehmend verzichten. Die Weltsprache dient nun mal zu vielen Herren und verliert dabei an Genauigkeit. Um sich dennoch bildhaft auszudrücken, zugleich präzise zu bleiben, muss man sich im Englischen viel mehr bemühen – und das Werkzeug dafür kennen. Das ist zu schaffen, aber es lenkt ab von der eigentlichen, der wissenschaftlichen Arbeit.

Der Glaube, dass sich das Beste von allein durchsetzen werde, ist eine scheinbar darwinistische Auffassung, an der Charles Darwin verzweifeln würde. Dieser Glaube ist eine blasse Hoffnung. Die Bedeutung des Englischen entfaltet sich entlang einer historischen Linie, die weniger dem klaren Denken als der wirtschaftlichen Verdrängung verpflichtet war und weiterhin ist. Dieses zu beklagen, ist hier nicht der Ort. Wo aber Innovationen gar nicht erst zum Zuge kommen, weil sie sprachlich quer liegen, da blockiert sich die Weltgemeinschaft derer, die Wissen schaffen und lehren.

Argumentative Routinen

Verfasser von Fachbeiträgen müssen endlich einsehen, dass die Wahrnehmungsfähigkeit der Leser für die mutmaßliche Logik von Sprache zu Sprache variiert. Es gibt anerkannte argumentative Routinen, die in wissenschaftlichen Aufsätzen obwalten. Beiträge werden leicht ignoriert, wenn ihre Form den Lesern als unangemessen vorkommt. Hat ein Schüler das Thema verfehlt, quält sich sein Lehrer trotzdem durch den Aufsatz, er möchte eine gerechte Note geben. Angesichts eines deutschen Fachaufsatzes verhalten sich anglophone Kollegen vielleicht ebenso fair, sie müssen es nicht. Selbst wenn es in vorzüglichem Englisch vorläge, würden sie manches Papier nicht lesen, wenn sie sich an „dieser typisch deutschen“ Eigenart unserer Argumentationsweise stören. So kann schon die Einleitung eines wissenschaftlichen Papiers bewirken, dass es kaum gelesen wird.

Deutsche Wissenschaftler verkennen, dass ihre Darstellung bei den englischen Muttersprachlern als nicht üblich gilt. Unstrittig ist das Übliche, es wird vorgezogen. Das geht Experten nicht anders. Sie sorgen sich um ihre akademische Reichweite: Welche Publikationen werden wo zitiert? Die Deutungshoheit über das Zitierbare und das Ignorierbare liegt bei den Zitierindizes (der wichtigste ist der amerikanische Science Citation Index, SCI). Zitierkartelle gab es schon vorher – Netzbürger kennen ähnliche Meinungsblasen aus den sozialen Medien; was nicht passt, bleibt ausgeblendet. Neu ist, dass Unternehmen darüber befinden, welche Fachmagazine, welche Netzseiten in die Indizes aufgenommen werden und welche nicht. Unabhängig vom Inhalt bleibt jedenfalls außen vor, was nicht auf Englisch erschienen ist. Allein das müsste Zweifel an dieser amerikanisch geführten Wissenschaftskultur wecken.

Was nicht mehr rückgängig zu machen ist: Wissenschaftler müssen auf Englisch verkehren, und die Leistung der Hochschulen muss gesehen werden. Das gelingt umso besser, je mehr Ansehen die Wissenschaftler erwerben, wie Eichhörnchen die Nüsse sammeln. Aus den Zählungen der Indizes entstehen Ranglisten des Ansehens. Wer oben steht, kann Sponsoren und Fördermittel einwerben. Die Menge der Nüsse und ihre Sortierung müssen nur dem entsprechen, was die Amerikaner als üblich ansehen.

Begriffslogik gegen Plädoyer

Diese Einschränkung kann man nicht ernst genug nehmen. Deshalb erlernen klugerweise die deutschen, spanischen, japanischen Autoren als Zusatzqualifikation die „am besten zitierbare“ Form. Sie nehmen lernend zur Kenntnis, wie im Englischen bereits auf der Schule in den Debattierklubs typische Routinen des Denkens eingeübt werden. Peter Ustinov berichtet, wie er als Schüler gezwungen wurde, nicht seinen Standpunkt, sondern den der Gegenseite zu vertreten. Auf diese Weise lernt zu gewinnen, wer den anderen rhetorisch aufs Kreuz legt. Das könnte als Sport durchgehen, einem Austausch von Erkenntnis nützt es nicht.

Im Wörterbuch finden wir die Konjunktion weil. Anscheinend ein klarer Fall: weil entspricht because, es geht um Begründung. Dictleo.org im Internet bietet an: because, by reason that, due to the fact that, in that, since. Daraus geht aber nicht hervor, dass weil und because im Diskurs den Einstieg in zweierlei Wissenschaftskulturen darstellen. „Deutsche Autoren entfalten an dieser Stelle mit Vorliebe die Logik eines Begriffs, während englische Überzeugungsarbeit leisten und ein Plädoyer halten“, führt der Lateindozent Burkhard Müller aus. In der Tradition englischer Universitäten werden die Dinge, wie vor einem Gerichtshof, durch einen formalisierten Streit geklärt. „Heißt es because, darf man sich darauf gefasst machen, nunmehr die unterstellten Motive des Gegners zu hören.“ Wir kennen so etwas aus verfilmten Verhandlungen vor englischen Gerichten. Sie sind unterhaltsamer als die Szenen in deutschen. Ob sie gerechter sind – nach unserem Rechtsempfinden – tut nichts zur Sache, im Englischen zählt die Kunst der Debatte.

Problemlos ignorierte Texte

Die Wissenskulturen sind in ihren Muttersprachen zu Hause. Beschränkten wir uns auf Englisch, käme das dem Verzicht auf vier Fünftel des weltweit erzielbaren Erkenntnisgewinns gleich. In jeder Fachgemeinschaft hat sich eine Erwartungshaltung herausgebildet, welche Darstellungsform sie als wissenschaftlich anerkennt. Aus deutscher Feder liest sich schon die Einleitung zu einem wissenschaftlichen Papier grundlegend anders als die eines englischen Autors, sagt der Linguist Winfried Thielmann, „mit dem fatalen Ergebnis, dass bei einfacher Übersetzung des Textes in ansonsten makelloses Englisch dennoch Verwirrung und Unmut resultieren.“ Der erste Eindruck bestimmt, ob man weiterliest. Deutsche Einleitungen würden bei Engländern auf „blankes Unverständnis“ stoßen, sagt Thielmann: „Es ist davon auszugehen, dass Wissenschaftler, die das Englische für … einfach und problemlos hantierbar erachten, Texte produzieren, die im angelsächsischen Sprachraum … ebenso problemlos ignoriert werden können.“ Sein Rat: Die Einleitung nicht übersetzen, sondern völlig neu aufbauen! Gar nicht so einfach, denn um im Rahmen englischer Traditionen zu denken, müsste man in ihnen aufgewachsen sein.

Lösung in vier Stufen

Verteidiger der englischen Lingua franca berufen sich auf die Rolle des Lateinischen im Mittelalter: Da habe sich die akademische Welt auf eine Sprache beschränkt. Das stimmt nur zum Teil: Während und nach der Renaissance ging die plötzliche Fülle der wissenschaftlichen Erkenntnisse einher mit dem Niedergang des Lateins. Galilei, Leibniz, Newton hätten noch mit lateinischer Disziplin, aber bereits in italienischen, deutschen, englischen Gedankenflüssen gedacht, rückt der Sprachwissenschaftler Helmut Glück das Argument ins Licht. Sie unterschieden zwischen der Denkleistung in der Muttersprache und ihrer Veröffentlichung in der Weltsprache.

Würde das verstanden, sähe die Reihenfolge heute ähnlich aus: erst die logischen Routinen, in denen Beiträge entwickelt werden, dann die Sprachen ihrer Veröffentlichung. Vier Stufen der Lösung bieten sich an:

    (1) Man schreibt und veröffentlicht in Fachmedien der Muttersprache
    (2) Noch in der Muttersprache verfasst man das Papier neu für anglophone Lesegewohnheiten: zumindest die Einleitung
    (3) Professionelle Fachübersetzer schaffen aus Fassung (2) die englische Version
    (4) Auf Englisch veröffentlicht wird das Produkt aus (3)

Was wie ein teurer Aufwand aussieht, eröffnet die beste, vielleicht einzige Chance auf sicheren Eingang in die Zitierindizes. Dazu müssen verloren gegangene deutsche Fachmedien, zumindest digital, neu gegründet werden. Für Übersetzer müssen Planstellen entstehen. Ein Übersetzer, der sein Können täglich stundenlang probt wie der Primgeiger seine Etüden, ist durch keinen Amateur ersetzbar. Auch künstliche Intelligenz kann Übersetzer und Dolmetscher auf dem hier geforderten Niveau nicht ersetzen, denn wo Neues, bisher nicht Gedachtes entsteht, scheitern Algorithmen; sie kombinieren nur, was bereits da ist, das ist vielleicht originell, aber nicht kreativ.

Wissenschaftler und Politiker sollten sich auf die Muttersprache besinnen und den Umgang mit der Weltsprache neu begreifen. Die Frage stellt sich auch geopolitisch: Haben etwa die Araber, oder Chinesen – dem Abendland jahrhundertelang überlegen – der Welt nichts Wichtiges zu bieten? Müssten wir, wenn schon unterwürfig, nicht besser Mandarin lernen, schon in der Kita? Oder entdecken wir spätestens an dieser Wegmarke, dass jede vernünftige Überlegung in und mit der Muttersprache beginnt?


Langfassung des Beitrags in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache vom Frühjahr 2021 (Nr. 2/2021).

Oliver Baer @ 16:59
Rubrik: Von Babylon nach Globylon
Der Unterschied zwischen weil und obwohl

Beitrag vom 16. Januar 2021

Wilhelm Tell vor dem Gesslerhut. Stahlstich von Christian Hoffmeister (1818–1871) (aus Wikipedia)


Es gilt Probleme zu lösen, sie stellen uns wichtige, dringende, auch verschiebbare Aufgaben. Bei allen kann nützen oder schaden, wie wir uns ausdrücken. Darüber hinaus gibt es aufgebauschte Probleme, zum Beispiel das Gendern, da steht die Sprache im Mittelpunkt. Wo sie nicht hingehört.

Die Sprache dient als Boxring für einen Kampf, der mit sprachlichen Mitteln nur verlängerbar, nicht zu beenden ist. In Wirklichkeit wird die Sprache gegendert, weil sie grammatisch falsch ist. Nicht obwohl. Diese überraschende Erkenntnis bot Professor Marietta Auer dieser Tage in einem Leserbrief der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das Bild des Hutes auf einem Pfahl (den in Schillers Wilhelm Tell der Untertan des Landvogtes Gessler zu grüßen hat) lässt uns die Widersinnigkeit verstehen: Das Gendern ist ein Fetisch. Es geht nicht um den Hut, der fungiert als Platzhalter. Es geht um die Unterwerfung. Wer nicht grüßt, ist aufmüpfig. Wer nicht gendert, dem wird die Nase gerümpft, oder beispielsweise die Bachelorarbeit verrissen, jedenfalls sind seine Kinder zum Geburtstag nicht willkommen.

Alle sprachwissenschaftlichen Argumente gegen die Beliebigkeit und die grammatische Regelwidrigkeit des Genderns verfangen nicht. Sämtliche Erläuterungen sind so beliebig wie unerheblich, sie verfehlen das Thema. Mit Absicht auf der einen Seite, aus Versehen auf der anderen. Nach der Logik der Genderbewegten sind Sprachbesorgte kulturell rückständig, nämlich Männer. Frauen, die ihnen zustimmen, sind offenbar Unterdrückte, die es zu befreien gilt.

Hier wird ein Kniff der PR-Experten angewandt, er wurde von Errol Flynn, seinerzeit ein sogenannter Weiberheld (W-Wort!), so formuliert: „Schreiben Sie, was Sie wollen – Hauptsache mein Name ist richtig geschrieben.“ Jede, aber auch jede Äußerung dient der weiteren Aufblähung des Themas, sie nützt dem, der öffentlich meistgenannt ist. Möglicherweise war Flynn in Wahrheit ein netter Kerl, ein Frauenversteher und Schattenparker. Seiner Karriere diente der üble Ruf, den ihm die Medien gratis besorgten.

Das Schema hat etwas teuflisch Geniales. Es fördert ins Unermessliche die Geltung derer, die an diesem Rad mitdrehen. Wer noch N-, M- oder Z-Wörter verwendet, und sei es in Zitaten, ist zweifellos ein R-Mensch. So wie in anderen Milieus Wörter mit A oder K, mit C oder P mit höhnischem Grinsen quittiert werden. Sogar das schöne Wort Querdenken wird man bald kaum noch äußern wollen. Aber der ach so böse Volksmund erfindet immer neue Wörter, die darf man dann auch verpönen.

Ganze Scharen von überforderten Bürgern lassen sich vom Kern des jeweils Wichtigen ablenken, etwa beim Rassismus. Für welches Land der Erde ist nachweisbar, dass er nachgelassen hätte, seit es ihn sprachlich nicht mehr geben darf? In den USA, aus denen wir uns hierzulande besonders gern belehren lassen, blüht der Rassismus. Abgesehen davon, dass wir die Probleme so nicht lösen: Wem ist damit gedient, dass wir die Sprache opfern? Dass wir sie noch abstrakter, noch zäher verständlich machen, weil wir sie mit unterschwelligen Bedeutungen aufladen, die zu vermeiden immer schwieriger wird?

Zurück zum Eingangsbeispiel, dem Gendern. Nele Pollatschek schrieb kürzlich, ihr komme es vor, als sei Deutschland besessen von Genitalien. Dass jemand das Amt des Kanzlers innehat, ist offenbar untrennbar mit dem Hinweis auf das Geschlecht der Person verknüpft – was ungefähr so bedeutsam ist wie ihre Frisur. Pollatschek hat recht: Wer Gleichheit will, muss sie herstellen, nicht nur darüber reden. Das gilt für alle Fragen, bei denen die Sprache für Ersatzlösungen herhalten muss, die nichts Brauchbares bewirken.

(siehe auch Spielwiese der Bewegten)


Dieser Beitrag erschien im Winter 2021 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (1/2021).

Oliver Baer @ 16:30
Rubrik: Gesellschaft
Sprechautomaten ohne Zuhörer

Beitrag vom 1. November 2020

Das Sprachgendern wird durchgesetzt – und sein Ziel verfehlen. Dabei gäbe es eine einfache Lösung, aber frau wird sie kaum mögen. Oder doch?

Hinter allem kann sich ein Geschlecht verbergen (Bild Fotolia)

Shakespeares König Richard der Dritte nennt sich „lahm und verkrüppelt“, auf der Bühne sieht man ihn hinken. Für die Anmutung genüge es jedoch, notierte Max Frisch, wenn der Mime das Bein nur dann und wann nachzieht. Tut er das bei jedem Schritt, wird sein Hinken zum Gekasper. Es lenkt ab vom mörderischen Treiben des Königs.

Die Wahrheit solle man „dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann – nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen“, empfahl Frisch. So auch beim Umgang mit der Sprache. Man muss kein Sohn einer alleinerziehenden Selbständigen in den Fünfzigern gewesen sein, um der Sache der Frauen Erfolg zu wünschen, aber bitte greifbaren Erfolg: die Gleichwertigkeit der Geschlechter im Alltag. Dagegen spielen die grammatischen Geschlechter (der/die/das) nur die Rolle, die man ihnen beimisst. Das aber geschieht meistens falsch, zu häufig und ohne Rücksicht auf die Folgen.

Gutmeinende, wenn sie in Scharen vorkommen, haben unweigerlich etwas Peinliches. Wo Ausländer zu „Einwohnenden ohne deutsche Staatsbürgerschaft“ werden, machen nur Pedanten mit. Gewonnen werden mit all den belehrenden Floskeln nur die bereits Überzeugten, und die wollen dauernd darüber reden. Wie einer, der nicht mehr raucht. Langweilig. Die anderen – die Mehrheit der Erwachsenen, auch der Grünen – lehnen das Sprachgendern ab: Sie finden es übertrieben. Mehr als Lippenbekenntnisse leistet der Volksmund nicht. Das – nur scheinbar männliche – „Gegenüber“ soll nun durch die „Gegenüberin“ ergänzt werden. Da feixt der Fan, fehlt nur noch die „Fäninn“.

Will man bei dieser wesentlichen Sache so ungerecht verspottet werden? Nützt es den Frauen, wenn Wörter wichtiger erscheinen als Wege zu gleichen Chancen, gleicher Bezahlung? Wenn sogar Genderbewegte die Silben verschleifen: „Wie sollen das die Kollehn und Kollehn einsehen?“ Wenn die „Ärzte und Ärztinnen“ sowie die „Patientinnen und Patienten“ in einem Atemzug gleich dreimal beschworen werden, generiert das Groll, aber keine Bereitschaft, vielleicht doch noch bekehrt zu werden.

Wer plappert wie ein Sprechautomat, verliert seine Zuhörer. Die Leute lassen sich das Maul nicht verbieten, und wenn doch, verlegen sie ihren Widerstand in den Untergrund. Dabei täte es allen gut, nicht nur bei der Geschlechtergerechtigkeit, wenn wir sensibel, wenn wir taktvoll mit der Sprache umgingen. Zum „Zuhören statt Schreien“ ermuntert Svenja Flaßpöhler. Sie erinnerte kürzlich in Hart aber fair daran: In der DDR waren die Dreher Frauen wie Männer, das konnte jeder sehen, mithin war das Wort „Dreherin“ überflüssig.

Sprachlich gibt es keinen stärkeren Beweis der Gleichwertigkeit als Frauen, die das generische Maskulinum ganz selbstverständlich als ihres beanspruchen und besetzen. Keine Alphamänner haben es erfunden, sondern es wurde im Volksmund herausgebildet – dann von Linguisten dummerweise als „Geschlecht“ bezeichnet. Es gehört allen, es bezeichnet alle. Unterdessen rücken Frauen endlich in Stellen und Funktionen, die ihnen verschlossen blieben. In Funktionen, nicht in Wortkonstrukte. Auch die Macho-Riegen in den Vorständen werden noch begreifen, was sie versäumen: Frauen auf sämtlichen Managementebenen. Mit ihnen läuft es besser, mal einen Blick auf Norwegen riskieren.

Derweil borgen wir die Lösung unseres Genderproblems bei den Briten: Der Chef war „Mrs Prime Minister Margaret Thatcher“; dem entspricht bei uns „Frau Bundeskanzler Angela Merkel“. Das ist so einfach, es ist genial, nicht wahr Frau Verfassungsrichter, Frau Abteilungsleiter? Sollte jedoch feststehen, dass Frauen, weil sie die besseren Menschen seien, über der Grammatik stehen, dann legen wir alten, weißen Männer („Behinderte“) die Füße hoch: Freuen wir uns, dass wir so einer Erwartungshaltung nicht entsprechen müssen.


Dieser Beitrag erschien im Herbst 2020 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (4/2020).

Oliver Baer @ 18:37
Rubrik: Gesellschaft