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wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Martin Walser gestorben

Beitrag vom 31. Juli 2023

„Martin Walser war zeitlebens ein Beirrbarer. Daraus zog er seine enorme literarische Kraft“ , schreibt der Spiegel. Er war einer, der sich „störrisch einfachen Antworten verweigerte.“ In seinem Menschenbild kämpft der Mensch mit sich, „er macht es sich nicht leicht, und es ist nie leicht mit ihm.“

Mann beim Boule

Jetzt bloß nicht Mitdenken! (Bild: © Baer)

Das geschah in einer Sprache, die alles möglich macht, auch ihn falsch zu verstehen. Aber man muss sich mit Literatur eben ein bisschen bemühen. „Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird“, reagierte er auf Vorwürfe über die mangelnde Weitsicht seiner Romanfiguren im Nationalsozialismus. In besonderer Erinnerung geblieben ist der Eklat bei seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche am 11.Oktober 1998. Ihm wurde „geistige Brandstiftung“ attestiert und, dass er einer „Schlussstrichmentalität“ das Wort geredet habe. So gründlich missverstehen darf man jemanden nur absichtlich. Seine Dankesrede kann man nachlesen, und die Parallele zwischen dem Unverstand vor 25 Jahren und heute entdecken, da auf stichhaltige Argumente gar nicht erst eingegangen wird. Der kommunikative Widerwille verschmilzt zu einem Syndrom aus erstens nicht hinhören können (mit eigenen Gedankenfetzen beschäftigt), zweitens nicht hinhören wollen (den Kerl womöglich noch verstehen), drittens Deutsch nicht hinlänglich beherrschen (da muss man ja mitdenken), viertens es nur nicht mit den Meinungsführern verderben. Für Walser war „recht zu haben ein minderer Bewusstseinszustand.“

Oliver Baer @ 17:46
Rubrik: Gesellschaft
Gendern ist nicht gleich Gendern

Beitrag vom 24. Juli 2023

Geschlechterforschung, auch als gender studies bekannt, betrifft nicht nur das Gendern von Sprache. Neben allerlei Aktivismus, der als Wissenschaft gelten soll, gibt es Nachholbedarf für Forschung in Naturwissenschaften und Technik. Das Gendern und das Sprachgendern sind zweierlei Problemfelder, das wird deutlich an medizinischen Beispielen.

Hinweis auf Schelle

Es soll Frauen geben, die an männlich dosierter Medikation eingehen … (Bild: © Baer)

Männer haben sich schneller mit Covid infiziert als Frauen, das ist erwiesen, auch, dass Frauen mit Herzinfarkt im Durchschnitt eine Stunde später in der Notaufnahme landen als Männer. Der Infarkt wird zu spät diagnostiziert, weil Frauen oft nicht die vertrauten, anscheinend typischen Symptome wie Schmerzen in der Brust oder Kribbeln im Arm aufweisen, sondern zu Übelkeit und Rückenschmerzen neigen. Medikamente werden fast ausschließlich an Männern getestet; dadurch sind sie für Frauen häufig unwirksam oder gefährlich. Ein Maß an Nüchternheit im Genderstreit wäre also gerechtfertigt, damit wissenschaftliche Sorgfalt auch mit Bezug auf Geschlechtersensibilität geschätzt wird.

Den Zorn der Frauen kann man verstehen. Warum hat bei der Auswertung des Datenmaterials aus Tausenden Studien keiner hinterfragt, ob diese oder jene Datencluster vielleicht mit dem biologischen Geschlecht begründbar wären? Was ist aus dem ganzheitlichen Denken geworden? Findet ernsthaftes Bemühen in der Geschlechterforschung statt? Offenbar ja und nein. Aufgeben kann man die Versuche, das Sprachgendern wissenschaftlich zu rechtfertigen. Alle Liebesmüh ist umsonst, denn dort geht es um etwas, das es nicht gibt und daher nicht beweisbar ist: gerechte Sprache. Wie oft muss man es noch erklären? Sprache ist zur Gerechtigkeit so fähig wie zum Schneeschaufeln; Sprache ist kein Lebewesen, dem man die Vorurteile austreiben könnte. Sprache kommt uns ungerecht vor, das mag sein, aber nur, weil wir das, worum es wirklich geht, nicht durchsetzen. Zur Erinnerung: Gerechtigkeit, nicht Sichtbarkeit! Hören wir auf, den Tisch zu belehren, weil wir uns daran gestoßen haben.

Die Geschlechterforschung ist, wo sie wissenschaftlich betrieben wird, ein Feld, das nicht mit der Gleichstellungspolitik verschränkt werden darf, warnt der Wissenschaftsrat. Leider drückt er sich davor, den Ideologen in der Frauenforschung die gelbrote Karte zu zeigen. Zwar habe der Rat über das Spannungsfeld „zwischen Aktivismus und Forschung“ diskutiert, konnte die Frage inhaltlich aber nicht vertiefen, berichtet die ZEIT; daher die ängstliche Formulierung: „Ein emanzipatorisch-aufklärerisches Ziel zu verfolgen, steht nicht im Widerspruch zum Status als Wissenschaft.“ Moment mal. Nicht die Geschlechterforschung soll plausibel machen, wozu sie gut ist, sondern alle Fakultäten sollen erst einmal die Richtigkeit ihrer Gesinnung darlegen? Das ist Beweisumkehr, sie kommt nicht infrage. Die Diszipliniertheit, ohne die wissenschaftliches Arbeiten wertlos ist, ist selbstverständlich. Keiner soll sich dafür rechtfertigen müssen. Wir sind hier nicht in wilhelminischer Justiz: Angeklagter, Sie haben die Reinheit Ihrer Gedanken zu beweisen!

Warum diese Feigheit vor dem Furor eines übel verstandenen Feminismus? Den Sprachgenderbewegten geht es um Aufmerksamkeit, denn mehr ist für sie nicht drin, und das wissen sie. So fallen sie auf die digitale Scheinwelt herein, Hauptsache viele Klicks: Gucken, die Leute sollen gucken und ein schlechtes Gewissen bekommen! Dem fehlt aber der Sinn, dagegen haben sämtliche Geschlechter ein gemeinsames Interesse. Wenn wir die Gier nach Aufmerksamkeit mit Fortschritt verwechseln, vergeuden wir Energie, die zur Lösung der echten Probleme fehlt. Oder sind die Sprachgenderisten als U-Boote gegen legitime feministische Anliegen unterwegs, ohne es zu merken? Und was nützt das ganze Theater den „Diversen“? Mal sehen, wie lange es dauert, bis sich herumspricht, dass uns Sprechhülsen als Fortschritt angedreht werden. Bis dahin sollten wir Sprachfreunde uns korrigieren: Gendern ist wichtig, Unfug ist nur das Sprachgendern.

Oliver Baer @ 17:43
Rubrik: Gesellschaft
Vorsicht, Sie nähern sich einer Lösung

Beitrag vom 11. Juli 2023

Man nähert sich einer Lösung

Intelligente Lösung wirft Schatten

Gegen das Gendern gibt es viele gute, darunter eine Handvoll unschlagbarer Argumente, aber gerade diese nützen nichts. Weil sie von den Freunden des Sprachgenderns ignoriert werden, etwa nach dem Motto: „Wenn ich nicht hingucke, sieht er mich nicht.“ Der Gegner. Macht nichts, der Genderkrieg geht trotzdem verloren.

Was steht auf dem Spiel? Geht’s um das Symbol männlicher Dominanz schlechthin, das generische Maskulinum? Dann wäre das eine Sache der Grammatik. Aber da weiß keiner Bescheid, und ob Wörter mit der Endung „er“ männlich und die Frauen „bloß mitgemeint“ seien, geht den meisten am Toches vorbei. Viele andere haben von dem Gendergedöns noch gar nichts mitbekommen und ganz andere Sorgen. Derweil fordern Feministen, dass Frauen in der Sprache sichtbar gemacht werden. Das klingt, als könnte etwas dran sein, und es gehört sich, darüber nachzudenken.

Nun wünschen jedoch Engländerinnen, die was auf sich halten, die maskuline Berufsbezeichung: „I am an actor“, (nicht actress, also nicht Schauspieler:in). Eine bedenkenswerte Variante, während unsereins überdeutlich und dauernd auf Frauen hingewiesen werden muss. Was, wenn wir keine Lust haben, den ganzen Tag an Sex zu denken? In Wirklichkeit stört aber nicht die Grammatik. Alle seriösen Linguisten haben es erklärt, und man muss schon ziemlich blasiert sein, so zu tun, als gäbe es sie nicht. Was nämlich nicht stimmt, ist die Behauptung, dass Frauen seit jeher durch sprachliche Unsichtbarkeit unterdrückt werden. Das mögen manche subjektiv so empfinden – und Männer dürfen das getrost zur Kenntnis nehmen –, objektiv bleibt es ein Schmarren. Leider berufen sich die Genderer auf eine Forschungsrichtung in der Psycholinguistik, die nicht davon ausgeht, was ist, sondern wie es sein soll. Das aber ist Wunschdenken, es widerspricht dem Auftrag von Wissenschaft. Im Übrigen fehlen belastbare Nachweise für die These, dass ein nachhaltiger (!) Wandel der Gesellschaft durch Veränderung der Sprache erzielbar wäre.

Somit befasst sich die Gesellschaft mit einer Idee, die nichts bringt. Das Gendern als Ausdruck blasser Hoffnung? Die Sprache kann sich gegen das Bemühen nicht wehren, das Gendern trotzdem zu erzwingen. Nicht so ganz nebenbei bemerkt, bleibt vage, wie unseren Mitmenschen unter LGBTQ+ am besten gedient wäre. Hat jemand die trans Männer und trans Frauen gefragt, ob sie Offenheit vorziehen oder Diskretion? Nicht jeder möchte nächtens auf der Straße verprügelt werden. Die Schwulen sind da schon weiter, sie verwenden das einst verpönte Wort mit dem freudigen Bekenntnis: „… und das ist gut so.“

Der Autor erlebte weibliche Chefs schon vor vierzig Jahren nicht mehr als Sensation. Er genießt, wie es für Frauen vorangeht, ohne Gendern. Werden den Bürgern die „streikenden Arbeitenden“ dargebracht und die „Mütter“ durch „gebärende Personen“ersetzt, wird es allerdings peinlich. Obendrein gendern Mitläufer in Medien, Politik und Wirtschaft auf Teufel komm heraus, aber cringe: Etwa dem Spiegel, den er abonniert, glaubt er nicht, dass es vom Herzen kommt. Es riecht nach genderwashing: Seht her, wie wir für die Frauen kämpfen! Also echt toll. Derweil werden selbst unverdächtige Freunde des Genderns ertappt, wie sie beim Reden die Laute verschleifen: „Soldatn und Soldat‘n“. Denn so geschieht es nun mal mit Sprache. Was zu umständlich ist, wird gekürzt, und damit setzt sich der Volksmund durch, immer! Wenn dann vor lauter Eifer noch die „Prostatapatienten und -patientinnen“ angesprochen werden, müssten überall die Groschen fallen: Scheiße, Gendern legt das Gehirn lahm! Sollten wir es vorsichtshalber sein lassen?

Die Sprachen der Türken und der Finnen kennen kein Genus, stehen dort die Frauen besser da? In Finnland: ja. Norwegisch hat drei grammatische Genera, wie das Deutsche. Nun ist Gerechtigkeit unter den Geschlechtern nirgends so weit gediehen wie in Norwegen. Gibt uns das zu denken? Außerdem kann man jeden verpönten Begriff durch einen taktvolleren ersetzen, auch dieser wird missliebig, er wird ersetzt, der fällt dann ebenfalls in Ungnade, und so geht das weiter: Der Behinderte bleibt behindert, auch wenn ich ihn Superman nenne oder physisch beeinträchtigt. Wie man den Spieß umdreht, haben nur die Schwulen kapiert. Für die Engländer war Mrs Thatcher Mrs Prime Minister,  dem entspräche „Frau Bundeskanzler!“ Das ist praktisch und zielführend. Ist nicht die Eroberung männlicher Domänen der Clou des Feminismus!

Zurück zur blassen Hoffnung. Medial sichtbar sind die überlasteten Pfleger, die überforderten Lehrer, die digital abgehängten Alten, das Klima sowieso; mit eigenen Augen sichtbar sind die Obdachlosen; unsichtbar sind Autisten, Gehörgeschädigte. Offenbar nützt Sichtbarkeit nur in dem Maße, wie die Sache den Bürgern auf den Nägeln brennt. „Antidiskriminierung lässt sich von der Politik nicht verordnen, sondern muss von den Menschen selbst kommen“, meinen 86 Prozent. Drei Viertel der Gesellschaft lehnen das Gendern ab. Für die Amadeu Antonio Stiftung sind diese sechzig Millionen Bundesbürger Rechtsradikale und müssen denunziert werden. Vermutlich wird allein dieser Mangel an demokratischem Takt das Gendern abwürgen.

Genauer hingeschaut geht es um Gerechtigkeit, also Gleichberechtigung, oder Gleichstellung? Was könnte Sprache dafür leisten? Was wenn Sprachsteuerung zum Vorteil der Bürger so gut gelingt wie die Rechtschreibreform? Selbstverständlich kann in Sternstunden Sprache Anstöße geben, aber „der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe wie zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen“, sagte Mark Twain. Wirklich praktisch ist nur Nele Pollatscheks ideologieferner Ansatz: Verändern wir die Gesellschaft, und füllen wir vorhandene Sprachformen mit dem auf, was in der Realität geschieht!

Genau so hat sich Bedeutungswandel in der Sprache schon immer ergeben, von unten nach oben, selten durch Druck von oben. Das als Gegenbeispiel vielzitierte „Fräulein“ musste nicht verboten werden, es war fällig wie die Blätter im Herbst. Nur leider ist das Gendern nicht wirkungslos, es verdünnt und es verzerrt die Sprache. So geht man mit einem Werkzeug zum Denken nicht um. Und als Werkzeug zur Teilnahme brauchen die Flüchtlinge, die Einwanderer, die Bürger im Umgang mit Behörden eine klare Sprache, die so schon schwer genug ist.

Zusammenfinden können Freunde und Gegner des Genderns trotzdem, denn dieses ist erwiesen: Nicht nur ist die Mehrheit gegen das Gendern, sie ist auch für Gerechtigkeit der Geschlechter. Wir können mit Problemen umgehen, statt sie umzubenennen. Und akzeptieren, dass es noch Dringenderes gibt, zum Beispiel Millionen Alte und ihre Pfleger in Not. Oder das Klima…


Veröffentlicht in den Sprachnachrichten des VDS im Sommer: II/2023

Oliver Baer @ 09:48
Rubrik: Gesellschaft
Dasselbe Vokabular für alle

Beitrag vom 23. April 2023

Winterbild

Total falsche Farbe, alles weiß, und pink, o Gott! (bild © Baer)

Die gängige, vorzugsweise anstoßlose Kunst biete auch eine Chance. Nämlich den Weg aus der Enge heraus neu zu entdecken. Dafür plädiert Ijoma Mangold in „Alles so schön keimfrei hier“, dem Beitrag zum Titelthema in der Zeit vom 20. April. Unter dem Zauberwort Diversity werde die Kunst zusehends in den Dienst der Repräsentation genommen. Alle seien zufrieden, wenn nur „genügend PoCs (People of Color)“ vorkommen und alle zuvor noch gefundenen Neger gestrichen wurden. Dann dürfe mit dem „Segen des Antirassismusbeauftragten und den Sponsorengeldern des Diversity-Verantwortlichen der Konzerne gemeinschaftlich gefeiert werden.“ Mangold nennt es eine „Hasenfüßigkeit, die für den Konformismus sorgt.“ Woher das Bedürfnis nach formierter Moral stamme, fragt Mangold. Aus „der tiefen Befriedigung, die es auslöst, wenn alle dasselbe Vokabular verwenden und durch den Gebrauch bestimmter Schlüsselwörter ihre Gesinnung ins Schaufenster stellen?“ Es sei fast so, als hätten wir uns die Aufgabe gestellt, die globale Verschiedenheit durch ein „sprachsymbolisches Pädagogikprogramm“ zu zähmen. „Als hätten die Funktionseliten Angst, dass ihnen sonst alles um die Ohren fliegt.“ Nun erst recht, ermutigt Mangold die Künstler, gehe es darum zu schockieren. Das, und nicht Gekusche vor der gängiger Meinung, sei Aufgabe der Kunst.

 

 

Oliver Baer @ 17:38
Rubrik: Gesellschaft
Ein falsch genutztes Wort genügt

Beitrag vom 23. April 2023

Der heutige Feminismus sei ein einziges Gemetzel, sagt Stevie Schmiedel. Tobias Becker schreibt über sie im Spiegel anlässlich der Veröffentlichung ihres Buches „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne“.
Dornen im Park

Wenn die Männer als Feinde der Frauen gelten, das wird uns weiter bringen.

Frauen werden gegen Männer als deren schlimmste Feinde aufgewiegelt, dann zerfleischen einander die Feministen. Im Ausgleich der Interessen könne aber mehr Sinnstiftendes geschehen als in Kontroversen, meint Schmiedel. Hier nur ein Zitat aus dem Spiegel-Beitrag. Schmiedel stört sich daran, „dass im Internet ein falsch genutztes Wort ausreiche, um ‚arrogant abgekanzelt‘ zu werden. ‚Warum so böse?‘ fragt sie. Es gebe doch immer auch eine wohlwollende Art jemanden darauf hinzuweisen, dass empathischere Formulierungen möglich sind: ‚Bevormundung bringt uns nicht so schnell vorwärts wie gute Kommunikation.‘ Wer sich Höflichkeit wünscht, so ihre Logik, der wird sie am ehesten bekommen, wenn er selbst höflich agiert.“ Schmiedel suche „nach Wegen, Feminismus an die Frau und an den Mann zu bringen“, also sein Marktpotenzial auszuschöpfen, sagt Becker, Schmiedel sei gewissermaßen die Vertrieblerin des deutschen Feminismus.
Oliver Baer @ 17:37
Rubrik: Gesellschaft
Alle Schlüsselwörter auf Englisch

Beitrag vom 23. April 2023

Audi Plakatwand

Deutscher Werbetext in anglophonen Ländern? Ob sich das auszahlt? (Bild © Baer)

Also ob Deutsch schlecht für das Image wäre

Der Verein Deutsche Sprache entstand dereinst aus Verwunderung darüber, dass die Plakatwerbung eines deutschen Weltkonzerns zwar in jedem Land des Globus in der Landessprache stattfand, nur nicht in Deutschland: Hier wurden die Sprüche auf Englisch geklopft. Irgendwie peinlich. Bald erhärtete sich der Verdacht: Wer nichts zu sagen hat, sagt es auf Englisch. Zumindest dient Englisch fast immer als Hinweis, dass wenig durchdacht ist, was da gesagt wird. Seit sich maßloses Gendern verbreitet, wird der Verdacht bestätigt: Der Gebrauch gewisser Schlüsselwörter geschieht vorzugsweise – auf Englisch. Seltsam. Vielleicht ist das wie bei Texten der Popmusik. Was man nicht versteht, hört sich gut an. Oder belegt es weiterhin das pubertäre Bemühen, der deutschen Geschichte zu entkommen, indem man die deutsche Sprache für sie verantwortlich macht?

Oliver Baer @ 17:35
Rubrik: Gesellschaft
Sprache ab in den Knast

Beitrag vom 8. Januar 2023

Die Duma rettet die russische Sprache vor ausländischem Einfluss. Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) geht es darum, „dass Fremdwörter in staatlichen Behörden,

Gebäude

Hinter Mauern ist freie Sprache am besten aufgehoben (Bild © Oliver Baer)

Gerichten, auch in Medien, Kinos und in der Werbung nicht mehr verwendet werden dürfen.“ Die russische Sprache solle nicht von ausländischen Sprachen „verunstaltet und übernommen werden“, zitiert die SZ den Fraktionschef der Partei Gerechtes Russland.

Eine bemerkenswert staatstragende Umsicht, wenn man die Sorgfalt bedenkt, mit der die russische Staatsführung in der Ukraine dafür sorgt, dass alles, was aus Russland kommt, fragwürdig wird, nicht nur die Sprache. Der Überfall auf die Ukraine führte bereits im März 2022 zur spontanen Abstrafung, etwa in dem Berliner Restaurant Datscha Kreuzberg, wo man sich unmissverständlich mit der Ukraine solidarisierte. Dennoch berichteten die Mitarbeiter dem rbb bereits im März 2022: „Es arbeiten auch Ukrainer, Russen, Moldawier und Belarussen hier, aber weil wir hier alle Russisch sprechen, werden wir alle boykottiert.“

Da liegt eine Verwechslung vor. Wenn man Sprache für ein Lebewesen hält, ist sie auch strafmündig und muss für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen werden. Wir können sie dann im Knast besuchen.

Oliver Baer @ 12:01
Rubrik: Gesellschaft
Angenommen, es stimmte

Beitrag vom 18. Dezember 2022

Bekanntlich dient das generische Maskulinum den Männern, und zwar gegen die Frauen. Das haben sich die Kerle so ausgedacht.

Auto

So zartfühlend die Männer sind (Bild © Oliver Baer)

Es wurde überhaupt zu diesem präzisen Zweck erfunden, und zwar, so zitiert die Berliner Zeitung die Sinologin und Journalistin Dagmar Lorenz, von einem „fiktiven Kollektivum, genannt ,die Männer‘, die von alters her vorsätzlich darum bemüht seien, den weiblichen Teil der Gesellschaft durch entsprechende Sprachregelungen zu unterdrücken.“ Tief durchatmen, Jungs, und noch einmal lesen.

Also, wie darf man sich das vorstellen? Wie die Mönche und die Ritter zusammenhocken und brüten: Wie kriegen wir die Weiber klein? Jungs, wir müssen sie packen, wo es weh tut, an ihrer spitzen Zunge! Wir bauen Falltüren in die Sprache ein, zum Beispiel Mittelwörter, insbesondere das Partizip der Gegenwart (ja ja, gute Idee, so werden sie das nennen!), und Endungen müssen wir bilden, die nennen wir dann „männlich“. Das macht die alle! Und wir nennen das Ganze „die Muttersprache.“ Das müsste für ein paar Jahrhunderte reichen. Darauf gab es großes Schenkelklopfen und die Männer waren es zufrieden.

Die Macht der Frauen muss ja infernalisch gewesen sein, dass sie die Männer zu so krimineller Energie provozierten, wo die doch viel lieber aufeinander eingeschlagen und gesoffen hätten. An die grammatische Untat der Männer glauben heutzutage viele, na ja, nicht wirklich, aber man plappert mit, was so dahergeredet wird, um so zu tun, als befände man sich auf der Seite der Braven. Auch wenn die Mehrheit mit den nicht so Braven läuft. Schwamm drüber. Dabei muss man nur mal den Spieß umdrehen und sagen: Na gut, nehmen wir an, wir alten weißen Männer hätten tatsächlich und böswillig das generische Maskulinum verzapft, und wir wollten endlich Ruhe in der Kiste haben:

Wie viel würde es den Frauen nützen, wenn wir alle Schuld auf uns nähmen und nur noch gegendert sprechen und schreiben? Wohlgemerkt, die Frage lautet: wie viel?

Oliver Baer @ 13:58
Rubrik: Gesellschaft
Kann Spuren von Information enthalten

Beitrag vom 1. November 2022

Spuren von Information sind zu erahnen

Spuren von Information sind zu erahnen

Die Sprache versagt. Einfachste Information misslingt, die Leute reden aneinander vorbei. Könnte man sich das Gerede sogar sparen? Was läuft da schief, und ist die Sprache daran schuld?

Nichts ist so leicht wie andere zu informieren, sollte man meinen. Da jedoch hat Wolf Schneider die Latte hoch gelegt: „Information heißt aber nicht: Ich will etwas mitteilen, nicht einmal: Ich will mich bemühen, etwas verständlich mitzuteilen, sondern: Ich bin verstanden worden.“ Diesen letzten Satz dürfen wir getrost noch einmal lesen, ganz langsam, denn er stört so schön. Da steht: verstanden worden, nicht etwa: Ich werde verstanden, vielleicht, irgendwann, wenn alles gutgeht: „Die sollen halt rückfragen!“ Mit anderen Worten: Wurde ich nicht verstanden, hat Information nicht stattgefunden. Das tut weh. Dann würde vieles, womit wir einander in den Ohren liegen, wenig nützen. Oder schaden, falls wir glauben, wir hätten zur Verständigung etwas geleistet.

Keine Information ist zum Beispiel: „Bis 2030 werden 3000 Kilometer Radwege gebaut!“ Der Wunsch wird zwar verstanden, aber als das, was er ist: Ach ja, eine der üblichen Versprechungen, daraus wird eh nichts! Was also ist eine Information? In der Alltagssprache ist sie zunächst eine Nachricht oder eine Mitteilung, dazu zählt die Auskunft: „ICE 1711 hat 25 min. Verspätung“. Daran ist, nun ja, erst einmal nichts auszusetzen: Wenigstens sind wir informiert.

Information kann auch Unterweisung bedeuten: „Bis Freitag steht der Anschluss, sorgen Sie dafür!“ Da genügt es nicht, etwas geäußert zu haben, nur damit wir im Recht sind: „Das hatte ich Ihnen aber so gesagt!“ Wir müssen auch dafür sorgen, dass unsere Worte unter die Haut gehen: Da soll sich jemand verhalten – gegebenenfalls wehren, und zwar gleich: „Chef, schaffe ich nicht, wird erst in zwei Wochen fertig.“ Bei wem liegt nun die Pflicht zur Vergewisserung: Verstehen wir einander wirklich?

Schließlich kann Information Belehrung bedeuten: „Beim Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt machen wir eine Sprechpause, denn das gehört sich so.“ So wird die freundliche Frau im Fernsehen zu einem Teil von jener Kraft, die stets das Gute will, aber das Böse schafft, denn wenn die Leute eines nicht mögen, dann ist es ein Gouvernanten-Gehabe beim Gendern. Zwar versteht jeder, was gemeint ist – mithin wäre es gelungene Information – aber mit welcher Folge? Die nette TV-Person müsste ihrerseits etwas verstehen, nämlich dass sie zumeist nicht „richtig“ verstanden wird. Sie möchte, dass wir mitmachen beim Zeigen von Symbolen, zum Beispiel neu zu benennen, was anderen wehtut. Dem liegt der Irrtum zugrunde, die Belehrung müsse nur genügend kommuniziert werden, damit sich die Sprache zum Guten wandle und die Welt gerecht werde. Das aber ist falsch: Kommunikation findet statt, sobald zwischen Sender und Empfänger ein Austausch entsteht, nicht bloß als ein Abnicken: Hab’s kapiert! Symbole zu bedienen beruhigt: Ich gehöre zu den Guten und so möchte ich auch gesehen werden.

Aber Symbole wirken, wenn sparsam verwendet, am stärksten. Wolf Schneiders Bedingung wäre daher etwas hinzuzufügen, damit wir, Leser und Autor, über das Gleiche sprechen. Dass dir meine Worte unter die Haut gehen, bedeutet noch nicht, du hättest sie in meinem Sinne verstanden. Es müssen auch zwei Köpfe ins Spiel kommen, deiner und meiner – in stiller Übereinkunft, oder in einem Gespräch (dann wird aus Information Kommunikation) und wir verständigen uns zum Beispiel über den sinnvollen Umgang mit Sprache und Symbolen.

Zurück zur Plauderei, auch sie kann Spuren von Information enthalten. Für sie gelten die Gebräuche der Geselligkeit, des Humors, der Verführung, des Tratsches am Gartenzaun. Auch für die Ehe: „Der Müll müsste mal runter!“ klingt wie falsch gesungen. Klüger wäre: „Die Nachbarin ist gerade an der Tonne, da kannste flirten; und hallo: Jetzt nimmste aber die Mülltüte mit!“ So gelingt der Alltag, der Haussegen hängt im Lot und mit der Sprache gehen wir bitte behutsam um, vielleicht liebevoll – so als wüssten wir, sie ist etwas wert. Anschließend lasst uns wieder über Literatur, über Wissenschaft, über Journalismus sprechen. Übrigens versagt nicht die Sprache, das kann sie gar nicht. Das können nur wir, ihre Anwender, indem wir gelegentlich das Verstehen nicht verstehen.


In den Sprachnachrichten des VDS erschienen im November 2022

Oliver Baer @ 09:38
Rubrik: Gesellschaft
So ersetzbar wie Energie

Beitrag vom 11. August 2022

Zwei der aktuell besonders eifrig diskutierten Dinge sind die Energie und die Gerechtigkeit. Sie haben etwas gemeinsam: den leichtfertigen Gebrauch der Sprache. In erstaunlicher Furchtlosigkeit wird da mit der Sprache umgesprungen, als gäbe es darauf nicht einmal ein Dosenpfand. Dabei gehen uns nicht nur Vokabeln flöten. Das kann teuer kommen, unbequem werden und die Nächstenliebe trüben.

Entdeckt wurde vor Jahren das Klimaproblem, und bald waren die dafür benötigten Wörter ausgelutscht. Es wurde die Energiewende ausgerufen, sie war aber nur eine Stromwende, und auch aus dieser ist nicht viel geworden. Nicht nur blieb das Problem verzwickt, auch das Vertrauen der Bürger wurde gestresst. Und zwar

Irgendwie peinlich (Bild: Fotolia)

gründlich und nicht etwa: nachhaltig. Dass ein kluger Gedanke mit Wörtern platt geschlagen wird, kann man an der „Nachhaltigkeit“ beobachten. Ihre Bedeutung war einmal positiv: Nicht mehr Holz schlagen als zugleich nachwächst! Heute kann man sogar „nachhaltig geschädigt“ werden. Auch „Energiewende“ sagt man am besten nicht mehr, solche Wörter rauschen zum einen Ohr hinein, zum anderen heraus, ohne auf dem Weg durchs Gehirn mehr zu bewirken als Unwillen.

Nun geschieht, aktuell wegen des Krieges, auf einmal viel Konkretes, und es wird mitunter sogar von kluger Sprache begleitet – aber auch von der vertrauten Effekthascherei der Lautdaherredner, die eben deshalb in den Medien häufiger vorkommen. Hauptsache man punktet, gerne auch mit verbalen Tiefschlägen. Im Bauch der Hörer und Leser bleibt übles Gefühl zurück. Kein Wunder, dass zu viele die Lust verlieren. Vielleicht haben wir Glück, und die Bürger halten trotzdem zusammen, wenn es dicke kommt. Teuer wird die Sache allemal. Der Mensch mag Veränderung erst einmal nicht, aber unsere Sprache sollte, wenn’s geht, für das Machen, für das Lösen von Problemen funktionsfähig bleiben.

Ähnlich unrund läuft es bei der Gerechtigkeit: für Geschlechter, für Minderheiten, für Verfolgte. Da werden hohe Ansprüche gestellt, einander widersprechende Forderungen gestellt. Es macht sich halt jeder seinen eigenen Begriff davon, was „gerecht“ sei: ein Wort für mehrere Begriffe. Darüber muss man reden können, sich verständigen, und dazu brauchen wir die Sprache. Diese aber wird vernebelt durch den Versuch, Gerechtigkeit zu erzwingen, indem Wörter tabuisiert werden, und wer sie trotzdem verwendet, gilt als „umstritten“, als homophob, als Rassist und sowieso als alter weißer Mann! Den muss man von der Bühne pfeifen. Geht uns das Sprachgefühl verloren, seit jeder digital mitreden kann? Eher nicht, verleumdet wurde schon immer, aber ein Hass lässt sich heute wirkstärker verbreiten. Ein behutsamer Umgang mit der Sprache täte jetzt gut.

Peinlich, nein unaufrichtig an den Gesprächen ist, wie das Ziel mit dem Werkzeug verwechselt wird, womit das hehre Ziel zu erreichen wäre. Das sieht so grotesk aus, als wollte man die Abseitsregel aus dem Fußball auch für gesundes Essen durchsetzen, und wer das nicht einsieht, gilt als Tierquäler. So sieht der Streit um Gerechtigkeit aus: ganz schön konfus. Denken und Sprache haben miteinander zu tun, sie wirken in beide Richtungen aufeinander ein, und manchmal muss man erst denken, dann reden. Oder die Klappe halten. Wie wäre es, wenn wir unser Sprachgefühl wiederentdecken, im sorgsamen Gebrauch pflegen und immer erst einmal klären: Welches Problem wollen wir jetzt bereden, wie halten wir die Dinge auseinander, bevor wir die Kategorien durcheinander werfen? Wir blamieren uns doch bis auf die Knochen, wenn wir die Sprache behandeln wie Plastikmüll: bis zur Wertlosigkeit wiederverwerten und am Ende den Mist doch noch verbrennen. Fangen wir schon mal an, mit unserer schönen Sprache Begeisterung zu wecken. Vielleicht überzeugen wir Sprachfreunde durch vorbildlichen Gebrauch unserer Landessprachen, unserer Muttersprachen, aller Sprachen – denn: Ähnliches gilt für unsere Nachbarn weltweit.

Halten wir fest: Was wir einander mit der Sprache Schönes oder Hässliches antun, reicht von der Energieknappheit bis zur Gerechtigkeitslücke. Da sind wir alle betroffen, auch wer mit der Schulter zuckt: „Dazu fehlt mir das sprachpatriotische Gen.“ Nein, dazu braucht es kein Gen, es braucht die Energie zur aufrichtigen Verständigung. Und wer darf sich jetzt an die Nase fassen? Politiker und Journalisten sind die üblichen Verdächtigen, na klar, aber wie verhalten wir uns, wir Sprachfreunde? Wir könnten unserer sprachkulturellen Verantwortung gerecht werden. Eigentlich müssten Umweltschützer unsere besten Freunde sein, denn Sprache ist eine Ressource des Geisteslebens, so endlich wie die Ressourcen der Natur und der Umgang damit so folgenschwer wie die Gewinnung und der Verbrauch von Energie.
© Oliver Baer, Juli 2022


Dieser Beitrag wurde im Sommer 2022 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (III/2022) veröffentlicht.

Oliver Baer @ 17:47
Rubrik: Gesellschaft