Zwei der aktuell besonders eifrig diskutierten Dinge sind die Energie und die Gerechtigkeit. Sie haben etwas gemeinsam: den leichtfertigen Gebrauch der Sprache. In erstaunlicher Furchtlosigkeit wird da mit der Sprache umgesprungen, als gäbe es darauf nicht einmal ein Dosenpfand. Dabei gehen uns nicht nur Vokabeln flöten. Das kann teuer kommen, unbequem werden und die Nächstenliebe trüben.

Entdeckt wurde vor Jahren das Klimaproblem, und bald waren die dafür benötigten Wörter ausgelutscht. Es wurde die Energiewende ausgerufen, sie war aber nur eine Stromwende, und auch aus dieser ist nicht viel geworden. Nicht nur blieb das Problem verzwickt, auch das Vertrauen der Bürger wurde gestresst. Und zwar

Irgendwie peinlich (Bild: Fotolia)

gründlich und nicht etwa: nachhaltig. Dass ein kluger Gedanke mit Wörtern platt geschlagen wird, kann man an der „Nachhaltigkeit“ beobachten. Ihre Bedeutung war einmal positiv: Nicht mehr Holz schlagen als zugleich nachwächst! Heute kann man sogar „nachhaltig geschädigt“ werden. Auch „Energiewende“ sagt man am besten nicht mehr, solche Wörter rauschen zum einen Ohr hinein, zum anderen heraus, ohne auf dem Weg durchs Gehirn mehr zu bewirken als Unwillen.

Nun geschieht, aktuell wegen des Krieges, auf einmal viel Konkretes, und es wird mitunter sogar von kluger Sprache begleitet – aber auch von der vertrauten Effekthascherei der Lautdaherredner, die eben deshalb in den Medien häufiger vorkommen. Hauptsache man punktet, gerne auch mit verbalen Tiefschlägen. Im Bauch der Hörer und Leser bleibt übles Gefühl zurück. Kein Wunder, dass zu viele die Lust verlieren. Vielleicht haben wir Glück, und die Bürger halten trotzdem zusammen, wenn es dicke kommt. Teuer wird die Sache allemal. Der Mensch mag Veränderung erst einmal nicht, aber unsere Sprache sollte, wenn’s geht, für das Machen, für das Lösen von Problemen funktionsfähig bleiben.

Ähnlich unrund läuft es bei der Gerechtigkeit: für Geschlechter, für Minderheiten, für Verfolgte. Da werden hohe Ansprüche gestellt, einander widersprechende Forderungen gestellt. Es macht sich halt jeder seinen eigenen Begriff davon, was „gerecht“ sei: ein Wort für mehrere Begriffe. Darüber muss man reden können, sich verständigen, und dazu brauchen wir die Sprache. Diese aber wird vernebelt durch den Versuch, Gerechtigkeit zu erzwingen, indem Wörter tabuisiert werden, und wer sie trotzdem verwendet, gilt als „umstritten“, als homophob, als Rassist und sowieso als alter weißer Mann! Den muss man von der Bühne pfeifen. Geht uns das Sprachgefühl verloren, seit jeder digital mitreden kann? Eher nicht, verleumdet wurde schon immer, aber ein Hass lässt sich heute wirkstärker verbreiten. Ein behutsamer Umgang mit der Sprache täte jetzt gut.

Peinlich, nein unaufrichtig an den Gesprächen ist, wie das Ziel mit dem Werkzeug verwechselt wird, womit das hehre Ziel zu erreichen wäre. Das sieht so grotesk aus, als wollte man die Abseitsregel aus dem Fußball auch für gesundes Essen durchsetzen, und wer das nicht einsieht, gilt als Tierquäler. So sieht der Streit um Gerechtigkeit aus: ganz schön konfus. Denken und Sprache haben miteinander zu tun, sie wirken in beide Richtungen aufeinander ein, und manchmal muss man erst denken, dann reden. Oder die Klappe halten. Wie wäre es, wenn wir unser Sprachgefühl wiederentdecken, im sorgsamen Gebrauch pflegen und immer erst einmal klären: Welches Problem wollen wir jetzt bereden, wie halten wir die Dinge auseinander, bevor wir die Kategorien durcheinander werfen? Wir blamieren uns doch bis auf die Knochen, wenn wir die Sprache behandeln wie Plastikmüll: bis zur Wertlosigkeit wiederverwerten und am Ende den Mist doch noch verbrennen. Fangen wir schon mal an, mit unserer schönen Sprache Begeisterung zu wecken. Vielleicht überzeugen wir Sprachfreunde durch vorbildlichen Gebrauch unserer Landessprachen, unserer Muttersprachen, aller Sprachen – denn: Ähnliches gilt für unsere Nachbarn weltweit.

Halten wir fest: Was wir einander mit der Sprache Schönes oder Hässliches antun, reicht von der Energieknappheit bis zur Gerechtigkeitslücke. Da sind wir alle betroffen, auch wer mit der Schulter zuckt: „Dazu fehlt mir das sprachpatriotische Gen.“ Nein, dazu braucht es kein Gen, es braucht die Energie zur aufrichtigen Verständigung. Und wer darf sich jetzt an die Nase fassen? Politiker und Journalisten sind die üblichen Verdächtigen, na klar, aber wie verhalten wir uns, wir Sprachfreunde? Wir könnten unserer sprachkulturellen Verantwortung gerecht werden. Eigentlich müssten Umweltschützer unsere besten Freunde sein, denn Sprache ist eine Ressource des Geisteslebens, so endlich wie die Ressourcen der Natur und der Umgang damit so folgenschwer wie die Gewinnung und der Verbrauch von Energie.
© Oliver Baer, Juli 2022


Dieser Beitrag wurde im Sommer 2022 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (III/2022) veröffentlicht.