Gegen das Gendern gibt es viele gute, darunter eine Handvoll unschlagbarer Argumente, aber gerade diese nützen nichts. Weil sie von den Freunden des Sprachgenderns ignoriert werden, etwa nach dem Motto: „Wenn ich nicht hingucke, sieht er mich nicht.“ Der Gegner. Macht nichts, der Genderkrieg geht trotzdem verloren.
Was steht auf dem Spiel? Geht’s um das Symbol männlicher Dominanz schlechthin, das generische Maskulinum? Dann wäre das eine Sache der Grammatik. Aber da weiß keiner Bescheid, und ob Wörter mit der Endung „er“ männlich und die Frauen „bloß mitgemeint“ seien, geht den meisten am Toches vorbei. Viele andere haben von dem Gendergedöns noch gar nichts mitbekommen und ganz andere Sorgen. Derweil fordern Feministen, dass Frauen in der Sprache sichtbar gemacht werden. Das klingt, als könnte etwas dran sein, und es gehört sich, darüber nachzudenken.
Nun wünschen jedoch Engländerinnen, die was auf sich halten, die maskuline Berufsbezeichung: „I am an actor“, (nicht actress, also nicht Schauspieler:in). Eine bedenkenswerte Variante, während unsereins überdeutlich und dauernd auf Frauen hingewiesen werden muss. Was, wenn wir keine Lust haben, den ganzen Tag an Sex zu denken? In Wirklichkeit stört aber nicht die Grammatik. Alle seriösen Linguisten haben es erklärt, und man muss schon ziemlich blasiert sein, so zu tun, als gäbe es sie nicht. Was nämlich nicht stimmt, ist die Behauptung, dass Frauen seit jeher durch sprachliche Unsichtbarkeit unterdrückt werden. Das mögen manche subjektiv so empfinden – und Männer dürfen das getrost zur Kenntnis nehmen –, objektiv bleibt es ein Schmarren. Leider berufen sich die Genderer auf eine Forschungsrichtung in der Psycholinguistik, die nicht davon ausgeht, was ist, sondern wie es sein soll. Das aber ist Wunschdenken, es widerspricht dem Auftrag von Wissenschaft. Im Übrigen fehlen belastbare Nachweise für die These, dass ein nachhaltiger (!) Wandel der Gesellschaft durch Veränderung der Sprache erzielbar wäre.
Somit befasst sich die Gesellschaft mit einer Idee, die nichts bringt. Das Gendern als Ausdruck blasser Hoffnung? Die Sprache kann sich gegen das Bemühen nicht wehren, das Gendern trotzdem zu erzwingen. Nicht so ganz nebenbei bemerkt, bleibt vage, wie unseren Mitmenschen unter LGBTQ+ am besten gedient wäre. Hat jemand die trans Männer und trans Frauen gefragt, ob sie Offenheit vorziehen oder Diskretion? Nicht jeder möchte nächtens auf der Straße verprügelt werden. Die Schwulen sind da schon weiter, sie verwenden das einst verpönte Wort mit dem freudigen Bekenntnis: „… und das ist gut so.“
Der Autor erlebte weibliche Chefs schon vor vierzig Jahren nicht mehr als Sensation. Er genießt, wie es für Frauen vorangeht, ohne Gendern. Werden den Bürgern die „streikenden Arbeitenden“ dargebracht und die „Mütter“ durch „gebärende Personen“ersetzt, wird es allerdings peinlich. Obendrein gendern Mitläufer in Medien, Politik und Wirtschaft auf Teufel komm heraus, aber cringe: Etwa dem Spiegel, den er abonniert, glaubt er nicht, dass es vom Herzen kommt. Es riecht nach genderwashing: Seht her, wie wir für die Frauen kämpfen! Also echt toll. Derweil werden selbst unverdächtige Freunde des Genderns ertappt, wie sie beim Reden die Laute verschleifen: „Soldatn und Soldat‘n“. Denn so geschieht es nun mal mit Sprache. Was zu umständlich ist, wird gekürzt, und damit setzt sich der Volksmund durch, immer! Wenn dann vor lauter Eifer noch die „Prostatapatienten und -patientinnen“ angesprochen werden, müssten überall die Groschen fallen: Scheiße, Gendern legt das Gehirn lahm! Sollten wir es vorsichtshalber sein lassen?
Die Sprachen der Türken und der Finnen kennen kein Genus, stehen dort die Frauen besser da? In Finnland: ja. Norwegisch hat drei grammatische Genera, wie das Deutsche. Nun ist Gerechtigkeit unter den Geschlechtern nirgends so weit gediehen wie in Norwegen. Gibt uns das zu denken? Außerdem kann man jeden verpönten Begriff durch einen taktvolleren ersetzen, auch dieser wird missliebig, er wird ersetzt, der fällt dann ebenfalls in Ungnade, und so geht das weiter: Der Behinderte bleibt behindert, auch wenn ich ihn Superman nenne oder physisch beeinträchtigt. Wie man den Spieß umdreht, haben nur die Schwulen kapiert. Für die Engländer war Mrs Thatcher Mrs Prime Minister, dem entspräche „Frau Bundeskanzler!“ Das ist praktisch und zielführend. Ist nicht die Eroberung männlicher Domänen der Clou des Feminismus!
Zurück zur blassen Hoffnung. Medial sichtbar sind die überlasteten Pfleger, die überforderten Lehrer, die digital abgehängten Alten, das Klima sowieso; mit eigenen Augen sichtbar sind die Obdachlosen; unsichtbar sind Autisten, Gehörgeschädigte. Offenbar nützt Sichtbarkeit nur in dem Maße, wie die Sache den Bürgern auf den Nägeln brennt. „Antidiskriminierung lässt sich von der Politik nicht verordnen, sondern muss von den Menschen selbst kommen“, meinen 86 Prozent. Drei Viertel der Gesellschaft lehnen das Gendern ab. Für die Amadeu Antonio Stiftung sind diese sechzig Millionen Bundesbürger Rechtsradikale und müssen denunziert werden. Vermutlich wird allein dieser Mangel an demokratischem Takt das Gendern abwürgen.
Genauer hingeschaut geht es um Gerechtigkeit, also Gleichberechtigung, oder Gleichstellung? Was könnte Sprache dafür leisten? Was wenn Sprachsteuerung zum Vorteil der Bürger so gut gelingt wie die Rechtschreibreform? Selbstverständlich kann in Sternstunden Sprache Anstöße geben, aber „der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe wie zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen“, sagte Mark Twain. Wirklich praktisch ist nur Nele Pollatscheks ideologieferner Ansatz: Verändern wir die Gesellschaft, und füllen wir vorhandene Sprachformen mit dem auf, was in der Realität geschieht!
Genau so hat sich Bedeutungswandel in der Sprache schon immer ergeben, von unten nach oben, selten durch Druck von oben. Das als Gegenbeispiel vielzitierte „Fräulein“ musste nicht verboten werden, es war fällig wie die Blätter im Herbst. Nur leider ist das Gendern nicht wirkungslos, es verdünnt und es verzerrt die Sprache. So geht man mit einem Werkzeug zum Denken nicht um. Und als Werkzeug zur Teilnahme brauchen die Flüchtlinge, die Einwanderer, die Bürger im Umgang mit Behörden eine klare Sprache, die so schon schwer genug ist.
Zusammenfinden können Freunde und Gegner des Genderns trotzdem, denn dieses ist erwiesen: Nicht nur ist die Mehrheit gegen das Gendern, sie ist auch für Gerechtigkeit der Geschlechter. Wir können mit Problemen umgehen, statt sie umzubenennen. Und akzeptieren, dass es noch Dringenderes gibt, zum Beispiel Millionen Alte und ihre Pfleger in Not. Oder das Klima…
Veröffentlicht in den Sprachnachrichten des VDS im Sommer: II/2023