Die Bürger fühlen sich schlecht regiert, nicht ernst genommen, mit Dingen allein gelassen, die auf den Nägeln brennen, zugleich werden sie belehrt, es sei vorrangig, den Frauen Respekt zu zeigen: mit Gendern der Sprache. Davon lassen sich Frauen ablenken?
Selbstverständlich gebührt den Frauen Respekt, Anerkennung, Gerechtigkeit; dafür muss gegendert werden, heißt es. Es sei ein zumutbares Opfer, zu dem die Männer nicht bereit sind, wie es scheint. Die üble Nachrede, sie wollten bloß ihre Vorherrschaft über die Frauen bewahren, wird durch penetrantes Wiederholen aber nicht stichhaltig. Auf diesem Niveau liegt bereits „Frauen können nicht parken.“ Aber genau wie soll Gerechtigkeit ausgerechnet durch Sprachgendern entstehen? Diese Idee ist schon jetzt ein Flop. Gilt die Verwirklichung gleicher Rechte und Pflichten als Maß für den erreichten Erfolg, dann stehen die Aussichten schlecht. Das Gendern kostet nämlich mehr Wohlwollen, als es den Frauen Fortschritt einfährt. Die traurige Geschichte des Sprachgenderns wäre als Lehrmaterial geeignet: Wie man Freunde verliert, Netzwerke vernichtet und nichts erreicht.
Allzu häufig wird gegendert, ohne das Gehirn zu bemühen, anders sind Wortschöpfungen wie die Samenspenderinnen oder die Prostatapatientinnen nicht zu erklären. Wenn, was gut tun soll, solchen Humbug schafft, stimmt etwas nicht. Dabei gäbe es für brauchbares Gendern im Alltag eine Lösung, der Schlüssel ist längst bekannt: Es steckt in uns allen das Weibliche wie das Männliche, wir sind beides, in vielerlei Mischungen. Wer dafür den Beweis sucht, erfährt ihn an sich selbst, denkt darüber nach und staunt über sein Seelenleben. Gemäß dieser Erkenntnis gleicht der Krieg der Geschlechter einer Selbstverstümmelung.
Wem nützt das falsche Gendern?
Es ist schon waghalsig zu glauben, Gerechtigkeit wäre erzwingbar. Selbst wenn hier und da etwas mit den Mitteln der Sprache gelänge, das Ergebnis wäre keine Tugend, es wäre erpresstes Wohlverhalten, nicht von innen heraus belebt, also untauglich. Es wird zwar viel behauptet, dass Gerechtigkeit durch Sprachgebrauch entstünde, aber es fehlt der Beweis. Was es gibt, sind Vermutungen, Behauptungen, meist nur die Hoffnung, dass das Sprachgendern der Sache der Frauen diene, denn „wir müssen etwas tun, sonst wird nie etwas daraus!“ Gebote gelingen aber selten, sie lassen sich nicht durchhalten, und sie schaden den Menschen, die auf sie angewiesen sind, besonders den schwächsten, den Kindern, Alten, Behinderten, Zugewanderten. Erstaunlich ist, wie gründlich allein dieser Einwand gegen das Gendern gar nicht erst gehört wird. Er ist unwiderlegbar, wird aber mit unfasslicher Arroganz ignoriert, und nebenbei gerät aus dem Blick, worum es geht. Vorschlag: Wie wäre es mit gleicher Bezahlung, gleicher Rente, nur mal zum Beispiel?
Selbst inniges und lautstarkes Wiederholen von Parolen versagt. Je öfter „Frieden!“ über die Marktplätze wabert, desto mehr gleicht der Ruf einem tapferen „Gefällt mir“ bei Facebook. Er kostet nichts und er bewirkt – keinen Frieden. Auch der Wortwitz „Nie wieder ist jetzt!“ weckt nur die Hoffnung, diesmal könnte es, müsste es doch endlich klappen mit der überlegenen Kraft der Moral über das Böse. Die Frage sei erlaubt: Fällt keinem auf, dass dieser ganze heilige Eifer die Wörter ihres sämtlichen Inhalts entleert? Übrig bleiben Floskeln; sie zu verwenden ist Kitsch fürs Gemüt, kein Ersatz für Taten. Falls, wie zur Rechtfertigung des Genderns gern behauptet wird, Sprache das Denken tatsächlich bestimmte, wäre es klüger, die Gehirne der Mitbürger nicht mit Leerbegriffen zu verstopfen.
Genderwashing ist kein Kampf
Sprachwandel geschieht nicht gesteuert, sondern in aller Regel von unten nach oben. Sprache ist kein Lebewesen, sie kann nicht gerügt werden, sie kann sich auch nicht wehren. Sie findet statt, nämlich „in der freien Wildnis“, sagt Jens Lanwer: Sprache könne immer genau das, was sie können müsse. Deswegen wird Sperriges nicht ausgesprochen oder es wird verschliffen, so kommt es gegen alle Absicht zu den „Bürgern und Bürgern“, den „geNossen und Nossn.“ Sprache dient nun mal der Verständigung, nicht dem Richtigmachen. So war die Wirklichkeit des Sprachwandels schon immer. Mag sein, nun seien endlich Zeichen zu setzen, um die Gerechtigkeit für Geschlechter (Ethnien, Religionen) müsse gekämpft werden. Lärm ist jedoch kein Kampf. Stehe ich für eine Sache ein, setze ich mich aufs Spiel, meine Gesundheit, mein Einkommen, die Einladung zum Geburtstag der Kinder. Fehlt der Einsatz, wiegt er nichts, und wenn er die Kollegen zum Nicken bringt, hat das viel mit mir, wenig mit der Sache zu tun.
Angesagtes Mitgendern ist Massenverhalten, es läuft ohne Mitdenken. Wo es dazu dient, die Männer zu schmähen, werden diese die Füße hochlegen: Sollen sich die Frauen alleine kümmern! Anderswo reagieren Männer schon gröber. Die für ideologiearme Ansichten bekannte Svenja Flaßberg erinnert an die Dreher in der DDR, wo die Frauen ganz selbstverständlich Domänen der Männlichkeit einnahmen. Nele Pollatschek verweist auf die Frauen in England, die als actor, ausdrücklich nicht als actress bezeichnet sein wollen. Marte Olsbu Røiseland gilt als größter Biathlet seit Ole Einar Bjoerndalen. Elke Heidenreich ist Schriftsteller, nicht Schriftstellerin. Manche Frau findet es aufdringlich, wenn sie ungefragt als Frau, dann erst als Mensch wahrgenommen wird. Derlei Einwände sind den Eiferern egal, sie verlangen das Bekenntnis zum Symbol, der massenhafte Druck werde in Gerechtigkeit münden. Irgendwie. Bis dahin dürfen die Zeitgemäßen in den Unternehmen, Ämtern, Medien und Lehrerzimmern protzen: „Seht her, wie aufgeklärt wir sind!“ Das aber ist Genderwashing, so moralisch gut und dauerhaft nützlich wie Greenwashing. Die Frauen und Kinder in Bangladesch, die unsere Klamotten nähen, lesen hier nicht mit, Glück gehabt.
Ungewöhnliche Werbung
Der Symbolwert des Sprachgenderns ist über den Scheitelpunkt bereits hinaus. Die es zu bekehren galt, hören es nicht mehr; da rauschen die Suffixe und die Wortpausen von einem Ohr zum anderen, ohne im Gehirn eine Synapse geweckt zu haben. Wer doch noch etwas hört, fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Falls es wider Erwarten darum geht, Verbündete für faktische, fühlbare Gerechtigkeit zu gewinnen, dann ist solch belehrende Liebeswerbung ungewöhnlich. So werden die Bürger abgeschreckt, die Mehrheiten sind aus seriösen Erhebungen bekannt. Was für die meisten Bürger gilt, ist die gefühlte Wahrheit der Tat, die – anfangs löbliche – Absicht gerät ihnen aus dem Blickfeld. Unwillkürlich merken sie, es geht den Lautsprechern weniger um Tatsachen, die man leugnen oder seriös widerlegen könnte, sondern um Auffassungen. Als hätte man nicht selber welche, und als gäbe es keine Probleme, echte Probleme, die Frauen, Männer und LGBTQ sicher nur gemeinsam lösen können.
Inzwischen sinkt die Bedeutung der Sonderzeichen, schon fehlen die ersten Sternchen. Was bleibt, sind die fahrlässigen Manipulationen der Sprache: jeder wird ersetzt durch alle (als ob sie dasselbe wären), aus lebenden Menschen werden anonyme Kräfte, mit den toten Radfahrenden wird das wertvolle Partizip Präsens verwässert und sehr oft die Aussage ins Gegenteil verdreht, Passivsätze lenken den Blick vom Menschen, der das Seminar leitet, auf die Tat: Das Seminar wird geleitet, und die Sprache wird abstrakt, lebensfremd.
Respekt in Taten, nicht Worten
Was wird aus dem notwendigen, dem richtigen Gendern: Gleichstellen, wo sinnvoll, Unterscheiden, wo unentbehrlich? Anzugleichen gibt es vieles bei den Berufschancen, der Bezahlung, der Rente. Auch zu unterscheiden gilt es, sogar streng, in der Medizin, der Pharmazie, im Sport, in der Erziehung. Die Argumente für das wichtige richtige Gendern sind bekannt, Sprachgendern ist kein Ersatz für das Richtige. Es wird Zeit zu erörtern, wie die Aktiven aus der Klemme kommen, dass ihre Energie beim Verschleiß von Symbolen verpulvern.
Das wird nicht ohne Gesichtsverlust abgehen. Was sollen denn die Leute denken? Die Streithähne werden Gespür füreinander brauchen, in eine Sackgasse kann sich jeder mal verirren. Die Frauen erwarten tätige Anerkennung – nicht nur beim Geld – statt des Kniefalls vor der guten Gesinnung. Auf Besserwisserei wird zu verzichten sein, das werden die Leute schätzen. Als Lösungsansatz hilft vielleicht: Es soll keiner die Bekannten, denen er am gewohnten Wasserloch begegnet, mit der Gesamtheit der Bürger verwechseln, darunter einige Millionen mit schwacher Kenntnis der Landessprache sowie noch mehr Millionen Eingeborene, die ganz normale Nachrichten in der Mainstream-Presse nicht mehr glauben, es aber gerne möchten: denen die Demokratie doch noch am Herzen liegt.
© Oliver Baer, Dortmund 2024