„Kann eine Sprache böse sein?“, fragt Simone Brunner in der ZEIT. Die Übereinstimmung unter Historikern wächst, dass die russische Sprache für eine „lange und brutale Kolonialgeschichte … schon im Zarenreich und in der Sowjetunion“ stehe. Putin setze seine Sprache weiterhin als Waffe ein.
Im – sicherlich verständlichen – Zorn möchten Ukrainer die Sprache des Aggressors auslöschen, so wie dieser das Ukrainische zu vernichten trachtet. Sasha Filipenko, der von Brunner interviewte belarussische Autor protestiert: „Die russische Sprache gehört nicht Putin allein.“ Er möchte eben deshalb die Einsicht pflegen, „dass das Russische auch Ausdruck der Freiheit sein kann.“
Aufgabe der Intellektuellen, sagt Filipenko, sei es, „über fundamentale Dinge nachzudenken, die uns nach dem Krieg beschäftigen werden.“ Dann kehren die russischsprachigen (!) Ukrainer von der Front heim – und sind dann zweiter Klasse? Und was wird aus den Russen mit ihrer Sprache in Russland? Welchen Sinn kann es stiften, wenn ihnen widerfährt, was die Deutschen erleben durften: Sollen die Russen dann mit Mickey Mouse zu besseren Menschen werden? Will man wirklich verstehen, wie Russland zu dem wurde, was es ist, dann sollte man mehr von den russischen Klassikern darüber lesen, nicht weniger, meint Filipenko. Es ergebe daher keinen Sinn, russische Autoren zu verpönen.
Auf den Punkt gebracht: War denn, oder ist die deutsche Sprache böse? Manche glauben bis heute, man könne Lyrik in Deutsch nicht mehr schreiben. Andere wollen eine sensible und gerechte Sprache erzwingen. Sprachen können aber nichts dergleichen, sie sind weder gut noch böse. Sie sind so schuldig wie der Kreuzschlüssel, an dem wir uns beim Montieren eines schwedischen Möbelstücks verletzen. Das wäre selbstverständlich dem Möbelhaus anzukreiden.