„Dafür gibt es kein deutsches Wort!“ In diese Falle tappen auch schneidige Anglizismenjäger. „Shitstorm“, „Crowdfunding“, „Refugees Welcome“ und „Fake News“ kleben in unserem Wortschatz wie Bonbons im Kinderhemd, alle waren sie Anglizismus des Jahres, weil sie „… ins Bewusstsein und den Sprachgebrauch einer breiten Öffentlichkeit gelangt“ sind und eine „interessante Lücke im deutschen Wortschatz“ füllen.
In der Tat, spontan fehlt uns ein Wort aus eigenem Schatz, in der als zutreffend geltenden Bedeutung gibt es keines. Das ist richtig und stimmt trotzdem nicht. In den Vereinigten Staaten, Chefexporteur aller Anglizismen, gibt es ein neues Wort – zunächst auch nicht. In solchen Fällen tun die Amerikaner eines nicht: Sie suchen nicht in Lettland oder Laos nach einem Lehnwort, sie schnitzen sich ein eigenes. Wie die Isländer; sie nehmen sich das Recht und bereichern ihre Sprache mit bunten Neuauslegungen alter Wörter, die sie mit neuen Bedeutungen zusammensetzen. Zum langsamen zweiten Lesen: Bei der Lehnschöpfung wird ein neues Wort aus vorhandenen Wörtern gebildet, die Bedeutung wird aus der fremden Sprache übernommen, die Form des neuen Wortes ist völlig neu. So wurde aus der Guillotine das Fallbeil.
Wenn wir unsere Schatztruhe mit Lehnwörtern füllen, nur weil sie aus Amerika stammen, fällt die Leere der Lücke als Begründung flach. Schwer zu sagen, welches Verfahren mehr wert ist, Entlehnung oder Lehnschöpfung. Schlaffe Gehirne ziehen das Abschreiben vor, eigenes Denken würde die grauen Zellen erneuern. Also noch einmal: Ausdrücken können wir auf Deutsch, was wir wollen. Wenn wir es wollen.
Sicher gibt es eine Fülle willkommener Fremdwörter, warum nicht auch ein paar englische? Wegen der hirnlosen Ausrede. An der vermeintlichen Bedeutungslücke stört, dass wir auf das Gerede hereinfallen: „Dafür gibt es kein deutsches Wort!“ wiegt als Argument so viel wie die Leere in der Lücke. Und noch etwas stört. Wie breit muss eine Öffentlichkeit sein, damit ihr „Bewusstsein und Sprachgebrauch“ maßgeblich wären? Als sie beispielsweise das „Crowdfunding“ adoptierte, müssten es ja Menschenmengen gewesen sein, die es der biederen „Gruppenfinanzierung“ vorzogen.
Oder auch nicht. Die Geschichte verläuft eher so: Eine Handvoll Leute benutzen das Wort, indem sie wiederkäuen, was in Medien und Werbung aus dem Englischen abgekupfert und bis zur Gehirnerweichung wiederholt wurde, bis es schließlich in der Öffentlichkeit anlangt. Nicht etwa in irgendwelcher Breite. Auch diese besteht, wenn es hochkommt, aus hundert Leuten, die im ICE laut telefonieren, und bald hört man die Mithörer landauf sowie landab: Wir ergeben uns, übergeben haben wir uns schon!
Den Stalker zum Beispiel gab es früher nicht, auch nicht in Kalifornien, woher das Wort stammt, weil dieses Phänomen gehäuft dort zuerst bemerkt wurde. Dort bildete man aus dem Verb „to stalk“ das – zuvor nie benötigte – Hauptwort „stalker“. Genau so wäre im Deutschen aus „nachstellen“ der „Nachsteller“ abzuleiten gewesen. Wurde er aber nicht. Die Steilvorlage aus Übersee geriet zum Eigentor: Zwar nennt ihn das Gesetz den Nachsteller, aber der Volksmund sagt Stalker, wie von den Medien vorgebetet. Jüngst kam in einem SPIEGEL-Beitrag zu eben diesem Thema der Stalker dreimal, der Nachsteller einmal vor.
Dass Bedeutungslücken auf Englisch geschlossen werden, bleibt bei der geltenden Sucht nach Geltung und der Denkfaulheit der Lautsprecher nicht ganz vermeidbar. Sei’s drum, aber wir müssen den Papageien nicht jedes Gebrabbel durchgehen lassen: weder das Leerargument, dafür gäbe es kein deutsches Wort, noch die Fake News, da habe sich eine breite Öffentlichkeit durchgesetzt. Es ist ein Argument, das nichts taugt, also Finger weg!
Siehe auch Widerstand gegen Fremdwörter und Selbsternannte selbst ernannt.
Viel mehr zu diesem Thema im Buch „Von Babylon nach Globylon.