baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Selbsternannte selbst ernannt

Donnerstag 22 September 2016

Anlass zum Sprachschutz finden „selbsternannte Sprachschützer“ jeden Tag. Anlässe entstehen wie auf einem laufenden Band. Es muss nur jemand vor Mikrofonen oder Kameras stehen, schon sondert er Unsägliches ab. Das verletzt sprachsensible Bürger. Sprachschützer sind, wie alle Kritiker, selbst ernannt.

Apropos, wer ist diese Woche mit Ernennen dran? (Bild ©Behland)

Apropos, wer ist diese Woche mit Ernennen dran?

„Diese Anschläge sind erschütternd, bedrückend und deprimierend“, meint die Bundeskanzlerin. Unklar bleibt, welche Sprache sie verwendet. Sie hört sich an wie Deutsch. Schwächer als mit derart abgegriffenen Mittelwörtern könnte sie ihre Empfindung nicht darlegen. „Auf die Machenschaften dieser Täter fallen wir nicht herein!“ – Das wäre ein Wort gewesen, da hätte die Nation aufgehorcht: Merkel macht ernst! Lasst uns hinhören, gleich kommt eine Ansage!

Nichtssagung gelingt auch schriftlich, beispielsweise bei der Aufforderung zum Nichtrauchen: „Rauchen ist tödlich“. Dass es ungesund ist, bestreitet ja keiner. Aber tödlich? So weit es präzise Zahlen gibt: Etwa ein Drittel der Raucher stirbt vom Rauchen, zwei Drittel der Raucher sterben von etwas anderem. „Rauchen ist tödlich“ ergibt daher so viel Sinn wie „Heiraten führt zur Scheidung“, auch da liegt die Häufigkeit etwa bei einem Drittel. Solche Sätze sind Unfug der Kategorie Sprachhülsen, unglaubwürdig, mithin überflüssig, also schädlich, denn sie verleiten zum Weghören. Merke: Nur das Leben führt mit Sicherheit zum Tode. Wer den vermeiden will, sollte nicht erst geboren werden.

„Bullshit ist Gerede, bei dem der Sprecher sich nicht darum schert, ob es stimmt“, meinte Harry Frankfurt. Wenn aber keiner mehr zuhört, erübrigt sich die Sprache. Es steht zu befürchten, genau das bezweckt die Sprache der Mikrofonbenutzer: Vertraut uns, wir werden es schon richten. Ach ja? Viele Modewörter fallen in dieselbe Kategorie: Commitment, Infotainment, Roadmap, Shitstorm, Smart Data, Work-Life-Balance. Bei diesen Wörtern steht „der alsbaldige Gebrauch eindeutig vor dem Nachdenken über die richtige Verwendung.“ (Danke, Joachim Kronsbein für diese schöne Formulierung).

„Sprache ermöglicht hochdifferenzierte Mitteilungen“ (Danke, Georg Schramm). Wo diese ausbleiben, fühlen sich Sprachschützer zum Widerstand berufen. Überhaupt gilt die Frage: Müssen Sprachschützer überhaupt ernannt werden? Von wem? In Frankreich gibt es die Académie Française, ihr Ziel ist die „Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache“. In Deutschland müssen wir uns selbst kümmern, uns selbst ernennen. Das muss so sein, denn „ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg“ (Danke, Element of Crime). Es muss nun mal ein paar Leute geben, die den Gartenzwergen in die Kniekehlen treten.

Also, liebe selbsternannte Kritiker der Sprachschützer: Falls sich der VDS umbenennt in „Selbsternannte Sprachschützer e.V.“ – was dann, wäret ihr sprachlos?


Nachtrag: Siehe auch jüngere Beiträge in der baerentatze, darunter Die Bedeutungslosigkeit der Lücke und Auf zur Aufmüpfigkeit.


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