Von der antifaschistischen Bewegung bis ins liberale Milieu der Postmateriellen gilt die Sprache der Dichter und Denker als Belastung; die modische Mitte gebraucht sie als Einkaufstüte, ab in die gelbe Tonne; im Geschäftsleben verliert sie ihren Mehrwert, und der Flügel rechts außen steht, wie schon immer, auf Kriegsfuß mit der Sprache; in der Debatte um den Patriotismus kommt die Sprache – beider Seiten – zumeist als flach gespielter Fehlpass vor.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger ist kulturell bereits so vereinsamt, dass er die deutsche Sprache nur noch zum Bierholen schätzt. Vom Facharbeiter bis zur Führungskraft sollten wir Englisch sprechen. Schon liegt es nahe, Englisch gleich zur Landessprache zu machen. Es gähnt zwischen der Blässe von Oettingers Weltsicht und dem Ruf „Nie wieder Deutschland!“ eine Koalition der Gedankenleere.

Die Muttersprache ist ein leichtes Gepäck, unterwegs geht sie schnell verloren. Sie ist uns unter den Nazis entglitten, die verrieten sich schon durch ihre Wortwahl. Das haben wir nur verdrängt, sonst wüssten wir: Sie war nicht die Sprache Schillers und Goethes. Das Idiom von Hitler und Goebbels war ein wirksames, aber grauenhaftes Deutsch, es war von stählernen Fremdwörtern durchsetzt (fanatisch, Fanal, Garant, Propaganda). Es zielte auf Verrichtung und Ausrichtung: Mechanik und Militär. In der Sprache des Dritten Reichs sollte nicht gedacht, nur gemacht werden. Verpönt war der Einzelne, schädlich sein Denken. Eine Sache groß aufziehen, den Glauben der Genossen ausrichten, Menschen ins Amt einsetzen, Lösungen umsetzen: Alles ist machbar, das ist die Sprache des Unmenschen. Peinlich, drei Generationen später reden wir so noch immer! Wir verlangen eine Neuausrichtung der Familienpolitik, als müßten wir einen LKW einparken und wir bekämpfen die Arbeitslosigkeit, als könnte man dem Wandel mit der Keule beikommen.

Der verqueren Sprache entspricht die Güte der Politik. Da stimmt etwas mit dem Denken nicht oder mit der Sprache, vermutlich fehlt es an beidem, denn sie bewirken einander. Und wer kümmert sich ums Gepäck? Das Goethe-Institut verabschiedet sich, der Gesellschaft für Deutsche Sprache kommt alles halb so schlimm vor. Die Wissenschaft hält sich ans Zuschauen und Herr Oettinger geht, in unser aller Namen, einer Amerikanisierung auf den Leim, die wir uns, nett und geläutert, wie wir sind, als Globalisierung andrehen lassen. Das ist manchen so wenig geheuer, daß sie an Verschwörung glauben. Aber ihrer bedarf es nicht. Was sich hier abspielt, ist übler: Wir, die guten Deutschen, seit 1945 in allen Varianten die Klassenbesten, lassen uns nicht zweimal bitten, wir kolonisieren uns freiwillig. Mit einem überschaubaren Opfer, wie wir glauben, was sind schon sechstausend Anglizismen, bei einem Wortschatz von einer halben Million? Peanuts!

Die Sprache des Unmenschen kam und kommt mit weniger zurecht. Denn nicht die Menge schadet, sondern wie gierig und bar jeden Geistes wir die Rosinen picken. Manche Anwärter auf Lehrstellen bringen schon keinen ganzen Satz mehr zustande, in ihrer Welt tickt man nur noch Kästchen an. In solchen Köpfen wartet jede Menge Stauraum auf rechtes Flachgut. Derweil reden wenigstens die Einwanderer Deutsch miteinander, und das ist gut so, sonst mag sie Herr Oettinger nicht integrieren. Wie sonst könnten sie mit den Deutschen zusammen Englisch lernen?

Englisch besitzt allerdings einen Vorteil, es ist sozusagen aseptisch, für alle gleich schlecht, sogar für die Engländer. Europa ist drauf und dran, sich auf eine lingua franca zu einigen, deren Muttersprachler von Europa nichts halten. Sinn sieht so nicht aus, denn was wir bekommen, ist ein Abklatsch der Kultursprache Englisch, uns blüht die verewigte Armut einer kantenlosen Arbeitssprache. EU-Kommissar Vladimir Špidla, vormals Ministerpräsident auf der Prager Burg, wurde einmal gefragt, warum er nicht, wie die übrigen Anwesenden, Englisch spreche. Es gebe Gedanken, sagte Špidla die könne man nur auf Deutsch äußern. Recht hat er, Fragen der Cuisine gestalten sich auf Französisch ergiebiger als auf Finnisch. Oder gar Englisch. In Brüssel haben die Dolmetscher nach jahrelangen Klagen wieder Alarm geschlagen. Viele Politiker, Diplomaten und Beamte würden in Sitzungen ein so katastrophales Englisch reden, daß die Dolmetscher nur Bahnhof verstehen. In den Konferenzsälen liegen jetzt Fibeln aus mit dem Hinweis, man möge, „wenn es möglich ist, seine Muttersprache verwenden!“

Der Verein Deutsche Sprache bittet: Sagen wir statt aufziehen darbringen, statt ausrichten einstimmen, statt einsetzen hineinwachsen und statt umsetzen probieren wir es mit verwirklichen. Sicher, dazu müßten wir unsere Sätze anders bilden, die Wörter auszutauschen genügt nicht. Notfalls müßten wir uns neue Gedanken machen. Gedanken, aus denen Bilder und Worte erblühen, die den ganzen Menschen betreffen und zugleich mit dem Machen das Fühlen und das Denken wiedergeben. Solche Sprache widerstünde jedem Versuch, den Menschen als Mechanismus zu händeln, der sich nach einem Führer, einer Ideologie oder dem Nutzen der Aktionäre ausrichten ließe.

Noch eine Bitte: Überspringen wir ein paar Sprachhülsen, verzichten wir auf jeden zweiten Anglizismus! Kramen wir im Wortschatz, was er zur Bildung neuer Begriffe hergibt. Die Aktion Lebendiges Deutsch beweist, wie saftig, farbig, witzig wir die Sprache gebrauchen können. Ohne den Druck, eine Welthandels- und Verkehrssprache sein zu müssen, hat unsere Sprache nämlich ihre Vorzüge behalten. Aber die Sprache verdorrt, wenn wir sie nicht gießen, sie wird uns zertreten, wenn wir die Sprachmissbraucher in den Garten lassen. Sprache ist eine natürliche Sache, sie wächst und gedeiht … wie der Gärtner sie pflegt.


Diese Fassung entspricht weitgehend dem Aufmacher der Sprachnachrichten Nr. 31 des Vereins Deutsche Sprache vom Juli 2006.