Sprache als Werkzeug (Bild: © Behland)

Anlässlich der Vorstandswahlen konnte man fragen, was im aktuellen Krisentheater wir zu bieten hätten, wir der Verein Deutsche Sprache. Tun wir etwas Nützliches, oder stehen wir im Weg, da es heikle Fragen zu behandeln gilt, dringender noch als Sprachkritik, Anglizismen, sogar das Gendern? Sollten wir nicht bei Aufgaben mit anpacken, die den Bürgern auf den Nägeln brennen oder bald brennen werden? Hier sind, unvollständig und in willkürlicher Folge, Themen zu denen wir Nützliches beitragen können.

Handwerksbetriebe brauchen Lehrlinge, die deutsche Sätze zu Ende bringen, auch schriftlich; künftige Gesellen und Meister, die einmal den Laden übernehmen sollen. Wohlgemerkt, zu den sprachlich Unbedarften zählen nicht nur junge Leute fremder Muttersprachen! Wie können wir uns einbringen, dass den Schulen, aber auch den Betrieben mehr Bildung und Ausbildung gelingt, etwa durch mehr Deutsch im Lehrplan? Die Muttersprache bleibt ja unersetzbar, um Dreisatzaufgaben zu verstehen, um Physik, Bionik, künstliche Intelligenz, auch um ein brauchbares Englisch zu erwerben!

Wie holen wir die vielen in die Wahllokale, die unserer Demokratie offenbar nichts abgewinnen können? Wie erleichtern wir ihnen die Einsicht, dass engere Systeme nicht nur unter den Armen kneifen? Wie bekommen wir von Politikern Klartext, nicht nur versehentlich? Wie geben wir den Ämtern zu verstehen (wirksam, also mit Herz), dass ihr Bemühen um gerechte Ausdrucksweise den Respekt der Bürger aufs Spiel setzt?

Wie überzeugen wir unsere Hochschulen, dass sie mit Cambridge nie gleichziehen werden, solange sie auf Englisch lehren? Wie verhelfen wir ihnen zu der Courage, zweckmäßig mit Muttersprache und Weltsprache zugleich umzugehen? Wie soll die das Volk der Steuerzahler – die „breite Masse“ – den Wissenschaftlern vertrauen, wenn sie die Komplexität der Dinge nicht im feinst verständlichen Deutsch zu erklären suchen? Wie nehmen wir den medialen Meinungsführern den Drang zur Dauerbelehrung der bockigen Mehrheit, die beispielsweise Gendern partout nicht mitmacht. Apropos, wie gelingt uns der Umgang mit Gesundheit im Staate wie etwa den Dänen: wirkungsvoll und weniger laut? Wie verhelfen wir den Mitbürgern zur Trennung von Tatsachen und Meinungen?

Wie setzen wir Propaganda schachmatt, wie legen wir die Kniffe offen, mit denen organisierte Chaoten die sozialen Medien durchsetzen? Wie finden wir zu einer Verständigung mit Wärme und Witz, statt Hass und Häme, angefangen bei uns selber? Wie verhelfen wir zu der Einsicht: Es gibt Probleme, bei deren Lösung wir uns schuldig machen, so oder so; sündenfreies Handeln gibt es nun mal nicht, nicht auf diesem Planeten. Wie kommen wir zu Respekt vor den Ursachen anderer Standpunkte? Damit wir morgen noch miteinander reden? Meinungsaustausch setzt ja voraus, dass ein Austausch immerhin möglich sei.

Das heißeste Thema, abgesehen vom Klima, ist aktuell die Globalisierung. Schon werden die meisten Lieferketten neu geschaffen, die alten in Teilen bereits rückgängig gemacht. Wie verhelfen wir den Mitbürgern zum Verständnis, dass vieles zunächst noch komplizierter wird als es schon war? Ach ja, und wird es bei Englisch als Weltsprache bleiben, oder kommen unsere Nachbarsprachen wieder ins Spiel? Sind wir grenzüberschreitend dabei?

Unsere Lieblingsärgernisse können wir inzwischen aufs Eis legen, zum Beispiel das Sprachgendern. Alles ist gesagt, bald auch von jedem, und mehr Aufmerksamkeit ist das Thema nicht wert. Zum einen, weil Frauen („die nützliche Hälfte der Gesellschaft“) längst ohne sprachliche Klimmzüge in Positionen rücken, wo sie hingehören, schon weil sie eben nicht Männer sind. In Männerrunden entsteht ein gedeihliches Arbeitsklima schon durch Aufnahme weniger Frauen, das weiß, wer es erfahren hat. Also entspannen wir uns, paritätisch wird es von selbst! Zum anderen läuft das Sprachgendern von allein in die Leere, denn die meisten Mitbürger mögen es nicht und schon gar nicht mögen sie belehrt werden. Handfeste sprachliche Formen, die stärker sind als der unterwürfige Gebrauch von Sprechhülsen, finden wir umso schneller, wenn wir nicht mehr zum Gendern genötigt werden.

Sprache und Denken sind unser geistiges Rohmaterial und unser Werkzeug, eine endliche Ressource, mit Bedacht, Behutsamkeit und mit Humor zu gebrauchen. Nicht „interessant“, sondern „interessiert“ zu sein, wäre ein brauchbarer Einstieg. Neugier auf die anderen jenseits des Tellerrandes hat mit Sprache unendlich viel zu tun.

© Oliver Baer im Mai 2022


Dieser Beitrag wurde im Frühjahr 2022 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (II/2022) veröffentlicht.