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Titelbild der Frühjahrsausgabe des Kunstmagazins frieze d/e: die Buchstaben stehen für deutsch/englisch (© frieze)
Bei Jennifer Allen hat Globisch einen Stein im Brett. Die Chefredakteurin des zweisprachigen Magazins frieze d/e ist Kanadierin deutscher Abstammung. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau bezeichnet sie Globisch als die Lingua franca der Künstler. Da stutzt, wer sich Globisch bisher nur als Weltsprache der Wirtschaft vorstellt. Wie soll denn das in der Kunst funktionieren?

Gibt es – zumindest an Frau Allens Standort Berlin – ein Globisch eigener Art? Die Künstler aus aller Welt verständigen sich dort über ihre Arbeit in der Lingua franca. Sie tun es mit der Begründung aller Weltbürger: Die native speakers mit ihrer Hochsprache sind in der Minderheit, die Mehrheit muss aber zurechtkommen, und dafür eignet sich Globisch besser als das verstiegene Englisch der Kunstkritik. Heraus kommt dabei, was jeder Englisch nennt, aber mit Jennifer Allen verstehen da schon einige, weshalb das Kind einen eigenen Namen braucht, also Globisch.

Wie lang ist ein Stück Schnur? Über Englisch hat jeder eine Meinung und gibt sie kund, dabei sollte er als erstes klären, was er meint: Welche Stufe (A1 bis C2) gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Rahmen (GER)? Zumindest sollte er angeben, ob er die Kultursprache Englisch meint oder die Weltsprache.

Als erstes erregte das Interview mein ingenieursmäßiges Misstrauen: Was die in ihrer Berliner Künstlerszene Globisch nennen, ist wahrscheinlich nur ein Ideenklau! Aber da blühten mir gleich zwei Überraschungen. Zum einen hängt auch einigen Künstlern die Blähsprache ihrer Kritiker zum Halse heraus; da wäre es geradezu eine Erholung vom Geschwafel, wenn man auf Globisch ausweicht. Zum anderen möchten sich die Künstler zwar nicht in platten Binsen verständigen, sie haben aber keine andere Wahl: Lingua franca oder Schweigen.

Ob ihr Globisch dem Nerrièreschen entspricht, könnte einem egal sein. Dumm ist die Kontrollfrage dennoch nicht: Wäre mit Globisch also auch jenes diskutierbar, was wir als Gegenstand des Globischen ausgeschlossen hatten – damit es keine Verwechslungen gibt? Die Lösung habe ich im Zusammenhang mit der Sprache der Wissenschaftler in Von Babylon nach Globylon behandelt: Auch diese sprechen Englisch, nicht Hochenglisch, genauer: ein Halbenglisch ohne Trennschärfe anch oben und unten. Da herrscht eine babylonische Verwirrung, obwohl alle meinen, sie meinten dasselbe.

Dabei spielt es eine geringe Rolle, ob an diesen Gesprächen native speakers teilnehmen. Sie komplizieren die Lage, denn sie setzen voraus, dass alle Welt Englisch könne oder es gefälligst zu können habe. Die Praxis jedoch lautet für die Künstler wie für die Wissenschaftler: Entweder man bezahlt Dolmetscher und Übersetzer oder man einigt sich auf ein vereinfachtes Englisch, und eben dieses tun die Künstler ohne viel Federlesens, denn jenes ist einfach zu teuer. Eine ähnlich gute Nachricht aus den Hochschulen würde die Steuerzahler beruhigen, die nicht mehr verstehen, was da – in schlechtem Hochenglisch – verhandelt wird.

In der Wissenschaft gibt es Situationen (die Veröffentlichungen und die Symposien), da sollte jeder bei seiner Muttersprache bleiben und die besten Übersetzer und Dolmetscher einbeziehen. Aber sogar in der Forschung und Lehre dürfte jener Alltag überwiegen, der sich durchaus auf Globisch (statt dem akademischen Halbenglisch) abwickeln lässt. Glaubt man den Beiträgen in frieze d/e (siehe unten), so entwickelt sich das Globisch der Künstler wie das Globisch jeder Fachgemeinschaft im globalen Handel: Da stehen als erstes die 1500 Ausgangswörter; hinzu kommen die Fachbegriffe. Auf die muss man sich nun mal verständigen – und je bewusster das geschieht, desto praktischer für das gegenseitige Verstehen. Die baerentatze wird darüber berichten.

Eine Skepsis melde ich vorsorglich an, denn wo es um Literatur geht, sehe ich nicht, wie Globisch die Muttersprachen ersetzen könnte. Norwegische Literatur erörtert man am besten auf Norwegisch, alles andere ist eine Würdigung der Übersetzerleistung, keine ernstzunehmende Erörterung des Originals. Man glaubt es kaum, aber die Germanisten tagen tatsächlich in englischer Sprache, Goethe wird in englischer Übersetzung besprochen. Es mag ja sein, dass man bildende Künste auf Globisch besprechen kann. Sprache braucht das Bekenntnis ihrer Sprecher, also der Muttersprachler.

Sehr empfehlenswerte Lektüre sind diese Beiträge in frieze d/e: Speak Easy von Jennifer Allen, Auf der Zunge von Vincenzo Latronico, sowie zum Herunterladen das Podcast einer Podiumsdiskussion über die Verkehrssprache in der Welt der Künstler: Do you speak English (als mp3 oder wmv), ca. 82 Minuten.