„Im selben Moment, wo mir von dem Radfahrer gredt habn, ist einer komma,“ berichtete Karl Valentin. Das könne kein Zufall sein, meinte er. Manchen geht es ähnlich mit den Anglizismen.
Früher amüsierte ich mich alleine damit, in der baerentatze Anglizismen aufzuspießen und den Missbrauch der Sprache im Marketing zu verhöhnen. Dann wurde ich für den Verein Deutsche Sprache (VDS) gekeilt und im Nu ging es mir wie Karl Valentin. Den Blick durch die Beispiele geschärft, die im Verein herumgereicht werden, fühlte ich mich von Anglizismen geradezu umstellt. Der Fachbegriff für diesen Zustand lautet Paranoia, Verfolgungswahn.
Ein begründeter Wahn. Viele Anglizismen sind harmlos, die meisten blamieren ihren Benutzer. Spätestens vor dem Schaufenster des Kosmetikstudios, das sich als Ästethic Nails anpreist, reift der Verdacht: Hier geht es der Sprache an die Nähte, in diesem Fall gleich zwei Kultursprachen. Und vielleicht müsste man mit der Sprache, in ihrer Wehrlosigkeit, liebevoller umgehen. Diesen Verdacht belegen die nicht mehr zählbaren Schnitzer wie live-long learning und Life-Sendung. Wenn sich Wellness in Richtung Healthness und Careness ausbreitet, zieht solcher Unfug dem Sprachkundigen das Hemd aus der Hose. Das ist nicht mehr schöpferische Freiheit der Werbung, das ist Schwachsinn. Dass jeder zweite Radiosprecher Vanity Fair englisch wie Wanity Fair ausspricht, mag noch hingehen, es belegt aber, dass unsere Englischkenntnisse hierzulande dürftig sind. Und durch das Englischgetue nicht besser werden.
Auf jedes neue englische Wort empfindlich zu reagieren, ist aber kein Reagieren mehr, es nähert sich dem Pawlowschen Reflex, einem zwanghaften Verhalten, es ist das genaue Gegenteil von Freiheit. Und an dieser Stelle hört der Spaß auf. Immerhin gibt es eine Fülle französischer, lateinischer, englischer Wörter, die unsere Sprache gebildet und bereichert haben. Es nützt daher nicht das geringste, jedes welsche Wort flugs unter Generalverdacht zu stellen: „Da, schon wieder ein Schädling!“ Mich putzte mal eine ehemaliges Mitglied des VDS herunter, weil ich zum Jour fixe einlud; das sei kein deutsches Wort!
Verständlich mag solcher Eifer sein, aber er spiegelt nur den Mangel an geistiger Freiheit in den Köpfen. Reflexhaftes Handeln macht uns unfähig zu einer bewussten Unterscheidung. Sicher, es mag schwierig sein zu erkennen, welche Begriffe einen Wert und welche einen Virus mit sich bringen. Manche Sprachwissenschaftler drücken sich vor der Antwort vollends, sie beschränken sich auf die Schadensaufnahme. Liegt das Kind erst im Brunnen, kommt die BILD-Zeitung. Wie wärs, wenn man sich beizeiten, weit weg vom Brunnen, schon fragte, was an Sport in school is cool so wahnsinnig smart sein soll? Wenn man sich mal ein bisschen bemühte um den passenden Ausdruck?
Im gleichen Maße irren allerdings die Abwiegler, wenn sie meinen, die paar Anglizismen könnten dem deutschen Wortschatz kaum schaden, der VDS rege sich zu Unrecht auf. Als käme es auf Zahlenspielchen an! In ihrem Garten lassen sie auch nicht jedes Unkraut blühen, nur weil das der „natürliche Gang der Dinge ist“. Dieser Sprachenstreit ist zur gelebten Zwanghaftigkeit geraten. Gedankenlos legen Anglizismenjäger auf alles an, was sich bewegt – wie Pawlow’sche sabbern die anderen und wiegeln ab.
Lassen wir die Kirche im Dorf. Es schadet nicht der Anglizismus an sich, vielleicht nicht einmal die Menge seines Auftretens. Was sicher schadet, ist die Gedankenlosigkeit, mit der englische Wörter gebraucht und somit englische Begriffe und Denkmuster übernommen werden. Die Flut der Anglizismen und das elende Denglisch sind aber nur Symptome einer Entwicklung, die den meisten im Lande nicht bewusst ist. Fähige Forscher drücken sich auf unfähige Weise aus, in einer Sprache, die sie nicht beherrschen: Englisch. Englisch ersetzt Deutsch als Sprache an den Universitäten. Dasselbe geschieht in der Wirtschaft. Mit anderen Worten, wir treten international auf Zweitliganiveau an, denn dass wir mehr können, verbergen hinter unseren Sprachunkenntnisssen. Kreativ zu denken ist nun mal für die meisten Menschen eine Sache, die sie in der Muttersprache zustande bringen. Wenige können es zwei- oder gar mehrsprachig – sie sind die Ausnahme. Die meisten überschätzen ihre Englischkenntnisse.
Im Umgang mit Entlehnungen aus anderen Sprachen stünde uns mehr Bewusstheit gut zu Gesicht. Es muss schon jeder selbst, aus eigener Freiheit, entscheiden können: Verwende ich dieses Wort oder finde ich ein besseres? Passt der Begriff, oder denke ich in eine Sackgasse hinein? Ohne diese Freiheit wäre aller Streit um die Sprache reiner Dogmatismus, Zeitvergeudung, denn Recht hat in diesen Dingen nie einer alleine. Sprache gehört allen. Ein Verein, der sich um die Sprache sorgt, kann dafür sorgen, dass sie wieder strapazierfähig wird. Dann erträgt sie sogar ein Übermaß an Modewörtern.
Unserer Freiheit im Geiste sind wir es schuldig, reflexhaftes Verhalten zu erkennen, so lange wir dazu noch fähig sind, vor allem unser eigenes. Die Sprache ist geistiges Gut. Wenn wir ihn verteidigen wie ein Kettenhund, bringen wir ihn um den Verstand und er verlässt uns.
Erläuterung: Wenn schon lebenslanges Lernen auf Englisch, dann life-long und wenn schon nicht Direktübertragung, dann Live-Sendung. MDR Life bedeutet nicht Live-Sendung, sondern es deutet auf etwas wie Leben mit dem MDR. Vielleicht war das die Absicht, na ja, man kann die Bedeutungen auch an den Haaren herbeiziehen.
Nachtrag: Die baerentatze wird auch in Zukunft Anglizismen aufs Korn nehmen. Nach Möglichkeit mit dem Augenmaß des Försters, der um das Gleichgewicht im Walde bemüht ist.
Nachtrag 2: Überflüssiges Apostroph in Pawlow’scher Reflex wurde entfernt.