baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Sprache ist so leicht ersetzbar wie Energie

Dienstag 18 August 2015

Sprache ist eine Ressource des Geisteslebens und so endlich wie Ressourcen der Natur (Bild: Fotolia)

Über sterbende Sprachen hat man Krokodilstränen zu vergießen, das gefällt dem Zeitgeist, und es ändert nichts.

Dazu erklärt ein zackiger ZEIT-Leser: „Eine Sprache stirbt dann aus, wenn sie niemand mehr spricht, und eine Sprache die niemand spricht, ist offensichtlich überflüssig.“ Auf öffentlichen Klos habe ich schon klügere Sprüche gelesen. Also dann mal zackig: Sprachen sind keine Organismen, sie sind Kulturgut, vom Menschen geschaffen; sie leben nicht, sie sterben nicht. Sie können verschwinden, ganz oder in Teilen. Mit einer Sprache „verlieren wir Jahrhunderte menschlichen Denkens über Zeit, Meerestiere, Rentiere, essbare Pflanzen, Mythen, Musik, das Unbekannte und das Alltägliche.“ erklärt Robert Harris°. Da verschwindet mehr als ein paar Vokabeln und die Folgen trägt die Volkswirtschaft – das sind wir alle, auch die Klosettlogiker.

Am Amazonas sterben Indianer aus, die gegen jedes Leiden ein Kraut kennen. Ihr Wissen geben sie mündlich weiter. Verschwindet ihre Sprache, verfällt das in ihr gespeicherte Wissen. Zum Vergleich: Pharmakonzerne investieren Milliarden zur Lösung von Fragen, die im Urwald schon beantwortet wurden. Milliarden die irgendwer bezahlen muss. Wer wohl?

So etwas müsste Thema der Grünen sein. Zwar funktioniert statt Kupfer oft Aluminium, statt Eisen Beton; unersetzbar sind nur Wasser, Luft, Energie – und die Sprache. Dagegen ist invertierter Snobismus („Deutscher kann man nach Auschwitz nicht mehr sein“) so putzig wie der Furz einer Ente. Stirbt der Vogel X, vermehrt sich Insekt Y und frisst die Ernte Z. Also sprüht der Landwirt Gift, es gerät in die Nahrungskette, daran verrecken der Bauer und die Kunden, auch jene die den Schutz der Umwelt mit einer Glaubensfrage verwechseln.

Aber, so hallt es in den Laubengängen, dafür genüge doch eine, die Weltsprache. Diese können wir umso gründlicher umsorgen. „Man solle etwa an die Möglichkeit denken, aufgrund einer gemeinsamen Sprache mit den Taliban direkt sprechen zu können.“ schlug Ulrich Ammon vor. Nein, wie niedlich! Dass darauf die Amerikaner nicht kamen, als sie einander (im Bürgerkrieg 1861 bis 1865) in bis dahin nicht gekannter Grausamkeit niedermetzelten!

Sprachen sind Träger von Methoden, Verfahren, Lösungsansätzen, die es in anderen Sprachen gar nicht, oder was noch spannender ist, in ähnlicher Form gibt. Aus dieser Vielfalt erwachsen die besten Lösungen, und Europas Stärke liegt in seiner Vielfalt. Die Monokultur einer englisch dominierten Welt kann nur eintönige Lösungen zustandebringen. Das ist so leicht zu begreifen wie man es ignorieren kann, sei es aus Abneigung gegen die eigene Sprache, weil man die Welt beherrschen möchte oder weil es am besten zum vorhandenen Vorurteil passt.

Ist Deutsch bedroht, muss man sich sorgen? Schwer zu sagen? Wir könnten es abwarten. Die Antwort erfahren wir, wenn es zu spät ist die Folgen zu verhindern. Macht nichts, die Erderwärmung ist schließlich auch nur eine Theorie, oder? Die Sprache der Wissenschaften und der Wirtschaft betrifft die Steuerzahler, das sind Sie, liebe Leser, auch die Grünen und Sozialdemokraten, die mit der Schulter zucken: „Mir fehlt das sprachpatriotische Gen.“ Als ob es um Patriotismus ginge! Mit Patriotismus hat diese Sache so viel zu tun wie die Auswahl des Ladens, wo Sie Ihren Schlandwimpel erwerben.

„Macht nichts, sobald das Problem den Wählern auffällt, findet sich eine Mehrheit, es anzupacken.“ Ach ja? So naiv möchte ich mal sein, und die Wartezeit verkürze ich mir mit Chinesisch. Ab 2016 gibt es in Südafrika Mandarin-Unterricht – an den Grundschulen. Schade, die englische Sprache, bevor sie als Weltsprache verhunzt wurde, war eine schöne, reichhaltige Sprache. Heute sind dieser Meinung nur noch eine Million gebildeter Angelsachsen. Die übrigen native speakers kotzen ein Englisch aus, dass man sich Ohrenklappen wünscht.

Die Monokultur wird die Vielfalt ausrotten. Der Ersatz der Muttersprachen durch Englisch endet in einer angelsächsischen Denkweise: in neoliberaler Kälte, bei Barbiepuppen und McDonalds. Englisch ist eine antidemokratische Sprache, mit ihr hält sich die Oberklasse den Pöbel vom Halse. Außerdem ist aller Aufwand für die gemeinsame Wissenschaftssprache vergebens, denn auf dem Niveau für kreatives Denken steht sie nur wenigen offen (das C1-Niveau, liebe Leute, reicht für die zweite Liga, mehr ist nicht drin). Und was die geschichtlichen Skrupel anlangt: Mit Angloholismus stiehlt sich keiner aus der deutschen Geschichte davon. Ihr Freunde auf der Linken: Wenn es schon die Rechten nicht begreifen, was die Sprache wert ist: Es gibt viel zu tun. Get off the fence!

° Robert Harris vom Living Tongues Institute in Washington


  1.  
    21. September 2015 | 14:13
     

    Als Antwort erlaube ich mir, aus meinem Buch Von Babylon nach Globylon zu zitieren:

    Klassenkampf auf Englisch

    Englisch ist eine klassenbetonte Sprache, schonungslos scheidet es die Spaziergänger von den Bergsteigern. Deutsch ist vergleichsweise demokratisch. Während bei uns schon dem Laien die entzündungs-hemmende Wirkung der Lindenblüte etwas sagt, ringt der Engländer noch mit ihrem anti-inflammatory effect: das sind drei Wörter lateinischen Ursprungs aus dem Wortschatz der Gebildeten. Beim Arzt heißt dann die Blinddarmentzündung appendicitis, und ja: Es handelt sich um eine inflammation.

    Das Vokabelgebirge des Englischen gehört den Aristokraten, nicht dem Volk. Sie verfügen über einen doppelten Wortschatz, einen angelsächsischen und einen lateinisch-romanischen. Dem haben die Briten noch Buntes aus den Kolonien beigemischt, das bungalow (in Cornwall ein Gartenhäuschen, in Bern eine Villa), den boomerang, den tomahawk.

    Einkaufen kann to buy oder to purchase sein, dieses Buch zu lesen ist entweder ein Vergnügen to read oder etwas Lästiges to peruse, die Freiheit kann freedom sein oder liberty, eine Bedrohung ist mal ein threat, mal ein ein menace – mit Nuancen verwandter, niemals gleicher Bedeutungen. Wo wir im Deutschen oft eine Formverwandtschaft erkennen, die das Lernen erleichtert, müssen wir für höheres Englisch das doppelte Wörterbuch verinnerlichen: Monat wie Mond, moon nicht wie lunar; Zahnarzt wie Zahn, tooth nicht wie dentist, Abrüstung wie Rüstung, weapon nicht wie disarmament. …“ Ende des Zitats.

    George Bernard Shaw tobte ausgiebig über die verbal class distinction der Engländer (siehe Pygmalion, My Fair Lady). Daran hat sich im Prinzip nichts geändert. In trotziger Gebärde rächt sich der Pöbel und verzerrt die Aussprache seiner Dialekte zu einer abstoßenden Geräuschkulisse, in deren Lärm kein Gebildeter einen Sinn errät.

  2.  
    Wolfgang Halang
    21. September 2015 | 10:49
     

    Sehr geehrter Herr Baer,

    in Ihrem Artikel findet sich der einsame Satz „Englisch ist eine antidemokratische Sprache, mit ihr hält sich die Oberklasse den Pöbel vom Halse.“ Nach meinem „Bauchgefühl“ haben Sie recht. Könnten Sie Ihre Aussage erläutern und den Wirkmechanismus des Vom-Halse-Haltens beschreiben?

    Mit freundlichen Grüßen,

    W. Halang

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