Die Wissenschaft steigt um auf die englische Sprache – die sie aber nur auf Zweitliganiveau beherrscht. Das hat Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Welt wird aber nicht verständlicher, wenn wir sie auf Englisch erklären.

Die Finanzwelt ist gänzlich aus den Fugen geraten, ihre Sprache ist Englisch: eine zufällige Übereinstimmung oder ursächliche Verknüpfung? Könnte es sein, daß Englisch unserer geistigen, ethischen und wirtschaftlichen Gesundheit schadet? Immerhin verdrängt Englisch, oder eine Variante davon, als Konzernsprache das Deutsche, und in der Wissenschaft sind die Messen bereits gesungen: Wessen Bericht nicht auf Englisch gedruckt wird, der gilt nichts.

Armselige Gedanken gebären keine starke Sprache, und sprachliche Dürftigkeit und mangelnde Sprachbeherrschung behindern das Denken. Dennoch wird verbissen das Recht beansprucht, Englisch zu sprechen, sobald es wichtig wird. Dieser Krampf erstreckt sich von der kleinsten Fachhochschule zu den Eliteuniversitäten, von Greenpeace zum Auswärtigen Amt, vom Marketing zu den Ingenieuren. Welche Denkweise dem zugrundliegt, beleuchtet ein Beitrag in der Financial Times (London). Da wird Porsche vorgeworfen, man betreibe die Entwicklungsarbeit auf Deutsch, obwohl der wichtigste, der amerikanische Markt, Englisch spricht. Die Mühe zu erläutern, was das eine mit dem anderen zu tun habe, macht sich das Blatt nicht.

Selbstverständlich kann man auf Englisch einen komplizierten Gedanken so gut führen wie in jeder anderen entwickelten Sprache. Ebenso stimmt, daß die glatte Beliebigkeit des Globalenglischen eine notwendige Eigenschaft der Weltsprache ist. Sie kommt teuer, denn im gleichen Maße fehlt der Weltsprache das Gegenteil, die kantige Gewissenhaftigkeit der deutschen Sprache. Zwei Drittel der Englischkundigen weltweit sind keine englischen Muttersprachler; was sie der Sprache antun, bleibt der deutschen erspart. Engländer gelangen dennoch zum selben Ergebnis wie Deutsche, denn ihnen stehen die Nuancen, Idiome, Analogien ihrer vertrauten Sprache zur Verfügung. Den Fremdsprachlern im Englischen, den Deutschen, fehlen sie.

Die willkommene Glätte der Welthandels- und Verkehrssprache hat einen weiteren Nachteil: Sie verführt zum Mißbrauch. Wer beim Reden in wohlklingenden Worten nichts sagen möchte, bleibt auf Englisch länger unertappt als auf Deutsch, da schaltet man nach wenigen Sätzen bereits ab. Auffällig hemmungslos gefällt sich die Finanzbranche in Formulierungen, die nicht im entferntesten vermuten lassen, der deutsche Kunde könne sie noch verstehen.

Ihre virtuelle Sprache bedeutet wenig, füllt aber den Äther mit einem Grundrauschen, das Dissonanzen unterdrückt, Komplexität verdrängt, Unterscheidungen in Grauzonen auflöst. Daran gewöhnt man sich, dem verfällt man wie einer Droge. Im Licht der Skandalwelle möchte man der Bankaufsicht raten, dieser Frage nachzugehen. Autofahren im Suff ist schließlich auch nicht erlaubt.

Daß unter gebildeten Menschen das Werbe- und Wirtschafts-Wischiwaschi nicht flächendeckend verpönt ist, haben die Universitäten mit zu verantworten. Sie setzen Maßstäbe, sie verlangen sogar, daß sich Akademie einer fremden Sprache bedient, noch dazu einer, die auf hohem Niveau besonders schwer zu beherrschen ist. Daran gestalten sie mit wie die Passagiere eines Zuges am Fahrplan. In ihren Berichten häufen sich sinnentstellende Fehler, und auf Symposien blamieren sie die Wissenschaft. Selbst an der Quelle dieses Übels, dem Druck zur Veröffentlichung in zitierfähigen, also englischen Publikationen, unterbleibt Kritik an der sprachlichen Dürftigkeit ihrer Produkte. Wissenschaftliches Niveau erreicht man so nicht.

Derart in die Irre geführt, finden die Geprüften in die Praxis hinaus. Bestenfalls ausgestattet mit einem höheren Globalesisch (aber minderen Englisch), bringen sie kaum den Mut auf, mit muttersprachlicher Denkschärfe so etwas wie die strukturierten Bankprodukte zu hinterfragen. Damit nichts schief geht, verharren sie in „elaborierten Codes“, die alle Zweifel vernebeln. Mangelnde Erkenntnistiefe wird ersetzt durch das Gruppenerlebnis, irgendwie cool und sexy unter Gleichgesinnten zu sein. Anzulasten wäre der englischen Sprache die Eignung für solchen Mumpitz nur, wenn Sprache ein lebendiger Organismus wäre, den man notfalls in Beugehaft nimmt. Aber Sprache bestraft man so wenig wie die Kräuter im Garten.

Die Wissenschafts- wie auch die Wirtschaftssprache müssen der Zusammenarbeit dienen, der Fehlerkorrektur, der Verläßlichkeit, der Genauigkeit. Beide Begründungen, der Muttersprache ein fragwürdiges Englisch vorzuziehen, stammen aus der zweiten Reihe: Englisch ist zeitgemäß, und Englisch ist schon da. Sie werden wie die Semmeln vom Vortag schmecken, sobald sich herumspricht, daß sich alle Muttersprachler, bis auf die Angelsachsen, unter Wert verkaufen.

Den Beweis, daß sich Deutsch als Wissenschaftssprache eignet, brauchen wir nicht zu führen. Auch die Wirtschaft hat das – ursprünglich als Makelzeichen erzwungene – „Made in Germany“ zum Gütezeichen gewandelt, zu einer Zeit, als Englisch noch nicht im Kindergarten gelehrt wurde. Verwenden wir daher unsere Muttersprache, beherzt und ohne Komplexe! Sie war auch die Sprache der Göttinger Professoren, zu deren Füßen alle Welt saß. Denken und arbeiten wir in Wissenschaft und Wirtschaft zuerst und ausschließlich in der Muttersprache und lassen wir dann ihr Ergebnis ins Englische übertragen, von Experten, die der Sprache kundig sind! Das wird Dolmetscher und Übersetzer kosten. Aber wir würden auch in China nicht ohne sie antreten.

Auf diesen anscheinenden Umweg zu verzichten, wäre noch teurer. Wir investieren in Dolmetscher und Übersetzer, um das Wissen, das in der Vielfalt der Muttersprachen steckt, zu nutzen und zu mehren. Wissen, das sonst verloren ginge. Der Verzicht darauf wäre kaum rückgängig zu machen. Ihn zu verhindern, zählt sicher mehr als den Kollegen mit Englisch zu imponieren.

Leicht redigierte Fassung des Artikels in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache, Heft 38, Juni 2008.