Es gilt Probleme zu lösen, sie stellen uns wichtige, dringende, auch verschiebbare Aufgaben. Bei allen kann nützen oder schaden, wie wir uns ausdrücken. Darüber hinaus gibt es aufgebauschte Probleme, zum Beispiel das Gendern, da steht die Sprache im Mittelpunkt. Wo sie nicht hingehört.
Die Sprache dient als Boxring für einen Kampf, der mit sprachlichen Mitteln nur verlängerbar, nicht zu beenden ist. In Wirklichkeit wird die Sprache gegendert, weil sie grammatisch falsch ist. Nicht obwohl. Diese überraschende Erkenntnis bot Professor Marietta Auer dieser Tage in einem Leserbrief der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das Bild des Hutes auf einem Pfahl (den in Schillers Wilhelm Tell der Untertan des Landvogtes Gessler zu grüßen hat) lässt uns die Widersinnigkeit verstehen: Das Gendern ist ein Fetisch. Es geht nicht um den Hut, der fungiert als Platzhalter. Es geht um die Unterwerfung. Wer nicht grüßt, ist aufmüpfig. Wer nicht gendert, dem wird die Nase gerümpft, oder beispielsweise die Bachelorarbeit verrissen, jedenfalls sind seine Kinder zum Geburtstag nicht willkommen.
Alle sprachwissenschaftlichen Argumente gegen die Beliebigkeit und die grammatische Regelwidrigkeit des Genderns verfangen nicht. Sämtliche Erläuterungen sind so beliebig wie unerheblich, sie verfehlen das Thema. Mit Absicht auf der einen Seite, aus Versehen auf der anderen. Nach der Logik der Genderbewegten sind Sprachbesorgte kulturell rückständig, nämlich Männer. Frauen, die ihnen zustimmen, sind offenbar Unterdrückte, die es zu befreien gilt.
Hier wird ein Kniff der PR-Experten angewandt, er wurde von Errol Flynn, seinerzeit ein sogenannter Weiberheld (W-Wort!), so formuliert: „Schreiben Sie, was Sie wollen – Hauptsache mein Name ist richtig geschrieben.“ Jede, aber auch jede Äußerung dient der weiteren Aufblähung des Themas, sie nützt dem, der öffentlich meistgenannt ist. Möglicherweise war Flynn in Wahrheit ein netter Kerl, ein Frauenversteher und Schattenparker. Seiner Karriere diente der üble Ruf, den ihm die Medien gratis besorgten.
Das Schema hat etwas teuflisch Geniales. Es fördert ins Unermessliche die Geltung derer, die an diesem Rad mitdrehen. Wer noch N-, M- oder Z-Wörter verwendet, und sei es in Zitaten, ist zweifellos ein R-Mensch. So wie in anderen Milieus Wörter mit A oder K, mit C oder P mit höhnischem Grinsen quittiert werden. Sogar das schöne Wort Querdenken wird man bald kaum noch äußern wollen. Aber der ach so böse Volksmund erfindet immer neue Wörter, die darf man dann auch verpönen.
Ganze Scharen von überforderten Bürgern lassen sich vom Kern des jeweils Wichtigen ablenken, etwa beim Rassismus. Für welches Land der Erde ist nachweisbar, dass er nachgelassen hätte, seit es ihn sprachlich nicht mehr geben darf? In den USA, aus denen wir uns hierzulande besonders gern belehren lassen, blüht der Rassismus. Abgesehen davon, dass wir die Probleme so nicht lösen: Wem ist damit gedient, dass wir die Sprache opfern? Dass wir sie noch abstrakter, noch zäher verständlich machen, weil wir sie mit unterschwelligen Bedeutungen aufladen, die zu vermeiden immer schwieriger wird?
Zurück zum Eingangsbeispiel, dem Gendern. Nele Pollatschek schrieb kürzlich, ihr komme es vor, als sei Deutschland besessen von Genitalien. Dass jemand das Amt des Kanzlers innehat, ist offenbar untrennbar mit dem Hinweis auf das Geschlecht der Person verknüpft – was ungefähr so bedeutsam ist wie ihre Frisur. Pollatschek hat recht: Wer Gleichheit will, muss sie herstellen, nicht nur darüber reden. Das gilt für alle Fragen, bei denen die Sprache für Ersatzlösungen herhalten muss, die nichts Brauchbares bewirken.
(siehe auch Spielwiese der Bewegten)
Dieser Beitrag erschien im Winter 2021 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (1/2021).