Zur Rechtfertigung eines Fremdwortes gibt es ein Argument, das sticht immer: „Dafür giiibt es kein deutsches Wort, echt, giiibt es wiiirklich nicht!“ Sogar gestandene Sprachbewahrer gehen ihm auf den Leim, wenn auch mit verdrossenem Schweigen.
„Der shitstorm habe eine Benennungslücke gefüllt“, erklärte der Germanist Michael Mann schon 2012 […]. „Das heißt, es existierte einfach kein deutsches Wort für das Phänomen einer massenhaften, schnell aufbrausenden Empörung im Internet.” (Welt vom 15.8.13). Recht hat er, tagsüber scheint die Sonne, nachts nicht. Aber nun aufgewacht! Dass es kein deutsches Wort gebe, ist als Argument nicht falsch, es ist nur saublöd. Für eine neue Sache, für einen neuen Begriff gibt es kein Wort, kann es nicht geben, denn das Ding ist ja neu. Sieh mal an!
Das ist immer so, in jeder Sprache. Dagegen ist wenig einzuwenden, wenn das Neue aus einem anderen Kulturkreis stammt und sein dort geprägtes Wort mitbringt, wie die Jeans aus Nordamerika. Bei Karstadt und Kaufhof gab es ab 1958 Hula-Hupp-Reifen, eine anscheinend hawaiianische Erfindung, die Lesern heutzutage als hoola hoop bekannt sein mögen. Nun ja, früher hat man Lehnwörter noch willkommen geheißen und sie eingebürgert, sprich eingedeutscht, wie sich das gehört.
In Wirklichkeit gibt es Reifen dieser Art seit Jahrhunderten, da waren bäuchliche Rotationen aus Hawaii hierzulande noch unbekannt. Das Wort hoola hoop hatte ein Geschäftsmann zwecks Vermarktung seiner Plastikringe erfunden (apropos „auf den Leim gehen“). Das erinnert an den Weihnachtsmann. Den gibt es nicht, aber seit Coca Cola ihn als Geschenkeanschlepper in Ferrari-Rot bewirbt, glaubt alle Welt an den Weihnachtsmann, statt sich, was richtiger wäre, an Nikolaus von Myra zu erinnern, der übrigens tatsächlich gelebt hat.
Müssen wir auf jeden Verkäuferschnack hereinfallen? Jetzt fehlt nur noch, dass wir das total uncoole Wort Hähnchen durch McNuggets ersetzen. Sollte es sich bei einem neuen Wort aus den Vereinigten Staaten ausnahmsweise nicht um einen Trick aus der Marketingkiste handeln, sondern um eine wichtige Neuschöpfung wie den stalker, gäbe es indes folgendes zu bedenken, und das ist der Zweck dieses Beitrags:
Eine Sprache der wir es nicht mehr erlauben, für den stalker ein Wort aus dem eigenen Schatz der Erbwörter zu bilden, weil wir uns zuerst bei einer anderen Sprache umsehen, liebe Leser, von so einer Sprache kann man eines nicht mehr behaupten: dass sie noch lebe.
„Dafür gibt es kein Wort im Deutschen“ taugt als Argument zur Verteidigung von Lehnwörtern überhaupt nicht. Man könnte das Argument umdrehen und als Aufforderung verstehen: Hier ist etwas Neues, finde dafür das angemessene Wort! Den stalker gab es nämlich auch im Englischen nicht. Es gab das stalking, so nennt man, was der Jäger mit dem Hirsch anstellt: ihm nachstellen. Für den neuen Straftatbestand der fortgesetzten Belästigung gaben uns die amerikanischen Wortschöpfer mit dem stalker eine klassische Steilvorlage: stalking = nachstellen, also stalker = Nachsteller, ein Direktschuss auf das Tor. Falls jetzt noch einer einwendet: „Aber das gibt es tatsächlich nicht im Deutschen!“ soll er ruhig beim Weiterlesen die Augen fest geschlossen halten.
Linguisten verweisen gern auf die Regeln, nach denen jede „lebendige“ Sprache neue Wörter bildet. Damit haben sie völlig recht, und diese enthalten auch, dass man sich in anderen Sprachen umsieht. Peinlich wird es nur, wenn die deutsche Sprache keine Wörter mehr bilden darf. Hierzulande kommt uns der stalker irgendwie cooler vor als der Nachsteller. Was ist so schick am stalking? Die Steilvorlage haben wir in ein Eigentor verwandelt, wider alle Vernunft. Das Nachstellen durch Verwendung eines Lehnworts auch noch verharmlosen! Der Bundestag hat immerhin das Wort Nachsteller in den Gesetzestext aufgenommen. Die Medien und mit ihnen der Volksmund bleiben beim stalker. Beispielsweise der Bericht des SPIEGEL über die Geiselnahme in Ingolstadt enthält den stalker zweimal, stalking dreimal, nachgestellt einmal.
Na und, das darf er doch? Macht nur weiter so. Wenn euer Deutsch nur noch zum Bierholen genügt, und auch euer Englisch zu nichts Besserem taugt, ist es zu spät. Nur die Hochsprache enthält Terminologien für alle Bereiche des Lebens, vom Alltag bis zur Forschung. Armselige Sprache erlaubt kein reichhaltiges Denken.
Ach ja: Statt shitstorm könnte man “Scheißsturm” sagen. Das ist genauso schön oder bescheuert wie die englische Vorlage.
Mehr zu diesem Thema im Buch „Von Babylon nach Globylon.