baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Anglizismen sind kein Problem

Montag 30 Oktober 2006

Ein prominentes Sprachregister wurde jüngst so weit fertig gestellt, wie ein Nachschlagewerk jemals fertig sein kann. Der Anglizismenindex hat sich zu einem anspruchsvollen Lexikon für jedermann gemausert. Seinen Ruf als altbackene Sprachgouvernante verdient er nicht mehr.

Seit es Sprachen gibt, entlehnen sie Wörter voneinander. Die normannischen Eroberer übernahmen vom zivilisatorisch überlegenen Westfrankenreich die Sprache. Andererseits plauderte der russische Militäradel munter Französisch, als die Nation im Überlebenskampf gegen die Grand Armée Napoléons stand. Heutzutage plagt aufmerksame Bürger die Wehrlosigkeit, mit der die Deutschen Tausende von Wörtern aus dem Amerikanischen übernehmen, egal wie blöde die Begriffe sind, die den Wörtern anhaften. Egal auch, wie wenig Sinn es stiftet, eine Sache auf Englisch auszudrücken, die in der Muttersprache bestens aufgehoben wäre.

Wie würden Sie das das Dresdner Pantomimefestival Mime of 2006 aussprechen? Deutsch-Englisch gemischt? Aber Mime of Pantomime muss ein angelsächsisches Fest sein, vielleicht eine Art Event? Was nur logisch wäre, denn Pantomime ist so englisch wie die Commedia dell’arte, wie Marcel Marceau, Pan Tau und Harald Kreutzberg es waren. Doch halt, Chaplin war Engländer (nicht Amerikaner).

Das Problem sind nicht die Wörter, sie sind nur Symptome einer Krankheit. Ein gesunder Sprachkörper frisst soviel Fremdes, wie er braucht, deutscht es ein oder prägt neue Wörter daraus. Dass der deutschen Sprache nicht wohl zumute ist, erkennt man am Unverdauten im täglichen Gebrauch. Wie will man recyceln in der Vergangenheitsform sagen: Regecycelt oder regezützelt?

Wäre unsere Sprache doch in der Verfassung, dass wir Entlehnungen stets als Bereicherung wahrnehmen! Dann würden wir Päntomaim anstelle von Pantomime belächeln. Aber in diesem Land, wo ein Fitness Coach als Fitness Couch vorgestellt wird und ein Kosmetiker seinen Laden als Studio für Ästethic Nails anpreist, versagt alle Medizin. Oder sie fällt einer Reform zum Opfer. Dem wäre nachzugehen.

Ladenschild Ästethic Nails

Um der Krankheit unserer Sprache zuleibe zu rücken, müssen die Symtome bekannt sein. Über 6500 Einträge verzeichnet der Anglizismenindex, gutartige, fragwürdige und schädliche. Die Autoren unterscheiden sauberer: Sie klassifizieren die Einträge als ergänzende, differenzierende oder verdrängende Wörter. Sie überlassen dem Leser, ob er ein Wort als Gewinn oder Zumutung erlebt. Siehe auch Wem nützt der Index?

Die Symptome zu kennen, ist schon die halbe Miete. Schwieriger einzutreiben ist die zweite Hälfte. Woran liegt es, dass wir immer mehr auf Englisch verhandeln, in der Wirtschaft, der Technik, den Wissenschaften? Was und wem nützt oder schadet, dass wir in dieser Wissensgesellschaft Deutsch aufgeben, noch dazu bevor wir Englisch auf gleichem Niveau beherrschen?

Was können wir, statt auf den Missbrauch einzuprügeln, für die Muttersprache unternehmen? Aufbauende Aktionen werden die Aufgabe des Vereins Deutsche Sprache in dieser Phase seines Bestehens werden. Denn von alleine geschieht nichts. Natürlich entwickeln sich diese Dinge wie ein Garten … unter der Hand des Pflegers: Was pflanzt oder sät er, was verfolgt er mit Gift oder Hacke? Natürlich, im wahren Sinne des Wortes, wäre nur der Wildwuchs. Die Entscheidung, es dabei zu belassen, wäre was: Natur oder Kultur?

Laufen wir noch immer mit Fellen behängt durch die Gegend? Also doch: Kultur!


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