Mit Frühenglisch riskieren Eltern die Karriere ihrer Kinder. Sie verzögern die Sprachentwicklung, sagen Sprachforscher in den USA. Sprachen seien kein Kinderspiel, warnt die Psychologin Erika Hoff von der Florida Atlantic Universität: Bilinguale Kinder brauchten länger als Gleichaltrige, um die Muttersprache zu erlernen. Sie haben in beiden Sprachen einen geringeren Wortschatz und tun sich mit der Grammatik schwerer. Das kann sie in Kindergarten und Schule benachteiligen. [1]
Bekanntlich sprechen zwei Argumente für Frühenglisch: Man könne nicht früh genug mit Fremdsprachen beginnen, das sei wissenschaftlich fundiert, lautet das eine [2]. Das andere klingt so: Ohne Frühenglisch fehle den Kindern eine „entscheidende Grundkompetenz“ im Arbeitsleben.
Nur weil es oft genug wiederholt wird, muss es noch nicht stimmen. Bei einem Argument gilt nicht nur, was Einer sagt. Wichtiger ist sogar, wer es sagt: Was qualifiziert ihn zu seinem Argument, und wie glaubwürdig ist er damit? Der Autor meines Buches hat Englisch erst ab der Quarta gelernt (7. Klasse), und er wurde im Berufsleben von englischen Muttersprachlern dafür bezahlt, dass er in ihrer Sprache Texte verfasste. Genügt das?
Ja, ich bin es selber, ich war dort und ich habe das T-Shirt. Und nein: Ich bin nicht besonders begabt. Und ja: Sogar ich mache Fehler.
Es gehört schon einiger Mut dazu, heute bereits zu wissen, welche Kompetenzen die Kinder in zwanzig Jahren brauchen. Diesen Leichtsinn versagten sich sogar die Planer der Sowjetunion, sie begnügten sich mit Fünfjahresplänen. Welchen Betrag wetten Sie dagegen, dass im Jahr 2032 die Sprache der Chinesen weltsprachiger als Englisch sein werde, oder vielleicht Arabisch, oder Russisch?
Seltsam, an dieser Stelle hat noch keiner sein Haus verwettet. Die Zukunft seines Kindes setzt er aber aufs Spiel – ohne einen Augenblick des Zögerns?
Kurzes, aber heftiges Grübeln genügt sodann für die Frage, wieviel an einer „entscheidenden Grundkompetenz“ dann noch „entscheidend“ sei, wenn sie jeder sowieso besitzt. Zum Beispiel Scotland Yard sucht händeringend nach Leuten, die eine Fremdsprache mitbringen; weil in England jeder glaubt, Englisch genüge ja, von wegen Weltsprache.
In Von Babylon nach Globylon besprechen wir den Umgang mit der Mogelpackung: Was die Einen für Englisch halten, ist für Andere armselig und für wieder Andere ist auch das noch zu hoch. Als Weltsprache ist schlechtes Englisch brauchbar (besser ist Globisch, das ist richtiges Englisch mit gewissen Beschränkungen); aber die Weltsprache als „die englische“ durchgehen zu lassen, das ist nicht nur frivol.
Also gilt die Frage: Welches Englisch soll denn als Ziel für unsere Kinder gelten? Das nützliche Globisch oder das unerreichbare Hochenglisch? Gutes Englisch versteht der Kollege in Jaipur mit seinem Weltsprachenenglisch nicht. Zu viel und zu frühes Englisch ist daher für Exportabhängige nicht nur nutzlos, es behindert die Fähigkeit zur erfolgreichen Verständigung, also schadet es der Karriere. Bedenkt man dann noch, dass die Spätstarter die Frühgeförderten in der Pubertät sowieso überholen, hätte man sich die Hysterie um Frühenglisch schenken können – und lieber ordentliches Deutsch gelernt.
Am weitesten herausragen werden jene, „die verstanden haben, dass man nicht eine bestimmte Fremdsprache braucht, sondern die Fähigkeit, immer Neues dazuzulernen.“ [3] Die gepflegte Muttersprache ist dazu die erste Voraussetzung. Wie will man sonst verstehen, worum es geht?
[1] Abendblatt: Wer zweisprachig aufwächst, kann Nachteile haben
[2] WELT Online: Warum Kinder früh Englisch lernen sollten
[3] Neue Zürcher Zeitung: Frühenglisch und Uhrmacherei