„Anstand und Redlichkeit sind der Schlüssel zum Erfolg. Kannst du sie vorspiegeln, hast du es geschafft“, sagte Groucho Marx. So viel Öko gibt es nicht, wie bereits angeboten wird. Das Ökomarketing wird anspruchsvoller.
Wir Marketingleute sind Marxisten. In unserer Welt gilt, was der Römer seinem Kunden zuruft: „Passe er gefälligst auf – caveat emptor!“ Der Kaufmann alter Schule, vor hundert Jahren, sah das nicht so römisch, er folgte einem anderen Rechtsempfinden. Es ist kein Zufall, dass der Schutz der Umwelt nirgends mit solcher Inbrunst umarmt wird wie bei uns und den sprachlich benachbarten Völkern, den Weltmeistern der Mülltrennung. Bei Öko hat Rom ausgedient.
Bevor das Marketing hierzulande dem amerikanischen Vorbild folgte – gelehriger Schüler war ein gewisser Joseph Goebbels -, diente die Werbung einer schlichten Regel: Sie sollte kundtun, was es wann und wo zu welchem Preis zu haben gibt. Das konnte man doof oder auch witzig gestalten, viel weiter ging es nicht.
Mit dem Massenmarketing haben wir diese biedere Redlichkeit in den Wind geschlagen. Wir haben die Sinne der Verbraucher abgestumpft. Wir schießen mit immer größerem Kaliber nach den Spatzen oder binden sie in immer raffiniertere vernetzte Gemeinschaften ein, wo sie im Gedröhn des endlosen Gequatsches hoffentlich den Durchblick verlieren, damit sie kaufen, was wir feilbieten.
Es ist erklärte Absicht, mit dem Web 2.0 eine Infrastruktur für Werbung ohne Streuverlust zu schaffen. Die Struktur heißt Netzwerk, weil sich im Netz einer ans Werk macht, die anderen in Kokons zu wickeln. Hier hätte die richtige Übersetzung für das Wort Web gepasst: The spider’s web ist das Spinnennetz.
Aber die Grenzen dieses Marketings zeichnen sich ab. Beim Massenmarketing wussten wir: Die Hälfte des Aufwands ist vergeudet. Mit den neuen Marketingtricks verpuffen wir 90 Prozent der positiven Energien. Sie fehlen dann für ein gedeihliches Verhältnis zwischen Anbieter und Kunden.
Die Netze im Internet bieten sich geradezu an, missbraucht zu werden. Sie stoßen Spam-Lawinen an und gebären Datenbanken, die unschwer zu knacken sind. Intime Daten werden auch ohne böse Absicht verraten oder wissentlich ausbaldowert. Wer sich Nackedeis herunterlädt, kann bis zu seinem PC aufgespürt werden. Es ist ein Kinderspiel, den Ruf seines Lehrers mit verfälschten Fotos im Spinnennetz zu zerstören. Wer in diesem Netz Spuren lässt, schafft ein Profil. Künftige Personalchef werden unsere Bilder von Paules Polterabend ergugeln und staunen.
In der Mitte angekommen
Es ist kein Wunder, dass in dieser Welt eine Gegenströmung verläuft, deren Jünger man vor der PC-Ära noch am Schuhwerk erkannte. Alternatives Leben war auf ein kleines, neues Milieu beschränkt. Heute durchdringt Zustimmung zur Ökologie alle sozialen Milieus, von der Mitte aufwärts.
Erinnern wir uns an den Ursprung: Das griechische oykos entspricht unserem Haus, auch dem Haushalten, dem Wirtschaften, der Ökonomie; und Ökologie ist die Lehre des Haushaltens, nicht das Gegenteil der Ökonomie. Auf Befragen geben viele an, sie würden für Öko mehr bezahlen; manche tun es sogar. Und kaufen doch beim Discounter. Sind sie die Nachfahren der Sandalenträger? Ja und nein, viele sind dazugekommen, auch leichtgläubige Wackelkandidaten.
Seither sollte es einfacher geworden sein, Öko zu verkaufen, ist es aber nicht. Eine hermetische Nische hat sich zum Segment geweitet, in dem allerlei möglich ist. Die Discounter machen uns weis, auch Öko gebe es billig; man müsse die Hersteller nur an die Kandare nehmen. Das funktioniert, schmeckt aber wie kalte Schnauze.
Unter dem Preisdruck des Marktes verschwimmt der Konsens, was Öko ist und was nicht. Der Verbraucher fragt immer öfter: Ist wirklich drin, was draufsteht? Und mancher zahlt im Zweifel lieber für das Billige. Falls er doch beschummelt würde, stünde er nicht schlechter da als früher. Die Kaltschnäuzigkeit wird gefährlich. Intuitiv weiß der Verbraucher, bevor der Verstand einsetzt: So viel Öko kann es nicht geben, nicht so plötzlich, nicht so billig! Die Klamotten wurden von Zehnjährigen genäht, der Büffelkäse schmeckt wie holländische Tomate. Und der meisterlich getrennte Müll landet in einer Schiffsladung nach Irgendwo. Seine Zweifel verdichten sich zum Misstrauen. Nachtigall, ich hör dich grübeln.
Wir haben es zu tun mit zwei verwandten Zielgruppen: die kritischen und die leichtgläubigen Kunden einer Ware, die mehr oder minder Öko ist. Da fragen sich erwachsene Experten allen Ernstes, wie man Authentizität eventuell quasi vielleicht doch vortäuschen könne? Sie haben ihren Marx nicht verdaut. Außerdem ist die leichtgläubige Kundenvariante schwer zu verorten, Ökokunden aller Schattierungen sind in allen Milieus vertreten, die für Ökomarketing infrage kommen. Für die Leichtgläubigen müssen wir sogar mehr Aufwand treiben als für die Kritischen.
Wort zum Sonntag
Den idealen, treuen Kunden mit Geld für Öko gewinnt, wer glaubhaft über die Rampe bringt, dass er des Vertrauens würdig ist. Wieder hilft Groucho Marx: „Du kriegst heraus, ob einer ehrlich ist: Frag ihn! Sagt er ja, ist er es nicht.“ Deswegen behaupten wir es nicht, wir beweisen es. Wo der Beweis nicht möglich ist, beim Neukunden, müssen Indizien herhalten. Und damit uns der Kunde überhaupt wahrnimmt, bieten wir ihm etwas Ungewöhnliches: Wir sehen in ihm nicht mehr den Verbraucher, wir sehen in ihm den Menschen. „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein!“ ist genial. Nur stimmen muss es. Da müssen wir Marketingleute wohl oder übel unsere Auffassung umstülpen.
Das liest sich wie das Wort zum Sonntag.
Und ist so leicht zu machen wie die tätige Reue des Büßers. Das Customer Relationship Management (CRM), hinter dem wir uns verstecken, damit wir nur ja keinem lebendigen Kunden über den Weg laufen, können wir getrost zu unserer sündigen Vergangenheit zählen. Nun müssen wir echte Beziehungen zu unseren Kunden aufbauen: reale, nicht nur virtuelle Beziehungen.
Gar nicht einfach in einer Welt, die sich mit Beziehungskisten schon schwer genug tut. Dabei liegt der Gedanke nahe und neu ist er schon gar nicht. Er bedeutet den Mut zur Redlichkeit und den Verzicht auf die kleinen, weißen Lügen. Echtes Öko ist teuer, und das kann und muss erläutert werden. Gefährlich ist es, wenn nicht ernst gemeint. Wer das Mogeln nicht missen möchte, bellt bei dieser Zielgruppe den falschen Baum an.
Auch aufwendig ist es, denn wir öffnen dem Kunden unsere Unternehmenskultur: Er soll sich von ihr angezogen fühlen, so sehr, dass er uns verbunden bleibt. Ungemütlich mag es sein, aber die Unternehmenskultur schimmert durch alles, was wir tun und sagen. Das ist so wenig zu verhindern wie die Fußspuren, die unser Lieferdienst im Blumenbeet des Kunden hinterlässt.
Weiterhin müssen wir uns milieugerecht verhalten. Was voraussetzt, dass wir wissen, ob unsere Kunden zur bürgerlichen Mitte zählen, ob sie Experimentalisten oder Postmaterielle sind. Und, dass wir selbst dazu passen: Unternehmen und Kundenmilieu ergänzen einander im Ökomarketing. Und noch etwas fällt abgebrühten Vermarktern schwer: Unsere Wertanalyse muss wie die des Försters sein: Er denkt die Nachhaltigkeit, also mehrere Generationen im voraus. Frei nach Carlowitz bedeutet unser Mindestmaß an Nachhaltigkeit: „Nicht mehr Kunden verprellen, als wir neue dazugewinnen!“
Sagen, was ist
Das wichtigste Element unserer Unternehmenskultur ist die Sprache. Sie verrät, was wir im Schilde führen, sie verrät auch den Dolch im Gewande, den wir vergaßen abzulegen. Die intuitive Wahrnehmung hat immer Recht. Je mehr Kunden ihr vertrauen, desto besser unsere Chancen bei ihm.
Hier lauert eine Versuchung: Die Intuition des Kunden lässt sich durch Lärm ersticken, den Lärm unseres Marketings. Schalten wir ihn ab! Beteiligen wir uns an Messen ohne jede Beschallung! Denn im Grunde weiß der Kunde: Wer laut wird, hat nicht recht. Das ist eine miese Ausgangslage für eine Beziehung. Ökomarketing ist Beziehungsmarketing. Man könnte der Versuchung erliegen und beim Lärm bleiben. Das wäre riskant und unnötig, denn der Überdruss unserer Mitmenschen an der Reizüberflutung gebiert eine immer stärkere Sehnsucht nach Ruhe und nach Sicherheit im Geborgenen. Wer diesem Bedürfnis entgegenkommt, steht nahe beim Kunden.
Schaffen wir den Raum, worin sich die Sprache entfaltet: auch die des Kunden. Und dann: Hören wir zu! Zuhören ist die höchste der Künste, eine aussterbende Kunst. Aber in dem Maße, wie sie uns doch noch gelingt, erleben wir ein Wunder: Der andere hält uns für sympathisch, intelligent, vertrauenswürdig. Das Callcenter in Bangalore kann da nicht mithalten, es kennt nur Customer Relationship, von Beziehung versteht es nichts.
Wir genießen auch einen geldwerten Nebennutzen des Zuhörens: Wir erfahren, ohne Tiefenbefragung, welchen Mehrwert wir mit unserem Ökoangebot bündeln sollten. Selbst echten Ökofreunden genügt Öko alleine nicht mehr. Was, außer dem Schutz der Umwelt, hat unser Produkt zu bieten: Gesundheit? Geselligkeit? Etwas zum Dazulernen, zum beruflichen Fortkommen, zur schieren Freude an der Sache, zur Ästhetik?
Verderben wir die Stimmung dann nicht durch eine gedankenarme oder gar gestanzte Sprache. Unseren Worten soll anhaften, dass sie auf dem Weg zum Kunden von Hirn und Herz umgewälzt wurden. Ersetzen wir Fachjargon durch Worte, die auch Oma versteht. Verkneifen wir uns betriebliche Kürzel („Infopaket“). Reden wir von Paletten nur, wenn man sie stapeln oder damit malen kann. Bürsten wir die Anglizismen in unserem Hause auf. Nichts zerstört die Glaubwürdigkeit wie der liederliche Gebrauch von Klingelwörtern amerikanischer Herkunft, die kaum je etwas Wichtiges bedeuten. Nicht umsonst macht der Spruch die Runde: „Wer nichts zu sagen hat, sagt es auf Englisch.“
Nach Wolf Schneider heißt Information nicht: „Ich teile etwas mit“, nicht einmal: „Ich bemühe mich, es verständlich zu machen“, sondern: „Ich bin verstanden worden.“ Wir merken schon, mit Brecht: Das Einfache ist schwierig zu machen. Hier ist Sorgfalt gefordert.
Alleinstellung
Der Aufwand zahlt sich aus. Zwar gibt es nichts, was andere nicht so schlecht kopieren könnten, dass das Original darunter nicht leidet. Aber unsere Alleinstellung, die gepriesene USP, besteht nicht im patentierten Schutz unserer Innovationen, sondern in unserer Unternehmenskultur. Sie ist so einzigartig wie jeder unserer Mitarbeiter ein Individuum ist und wie wir ihn dazu ermuntern, seine Person im Unternehmen einzubrigen. Wenn kein Blatt des Baumes dem anderen entspricht, gibt es Menschen schon gar nicht in Dubletten. Noch weniger kann eine Unternehmenskultur abgekupfert werden, denn sie besteht aus der Konstellation aller einzigartigen Menschen im Unternehmen. Die eigene Kultur zu entwickeln und zu pflegen ist daher sehr viel billiger und preiswerter als eine fremde zu kopieren.
Gute Beziehungen bieten handfeste Vorteile auch im Tagesgeschäft. Mit der Tiefe der Beziehung steigt die Fehlertoleranz des Kunden, falls doch etwas schiefgeht. Aus seinen wohlwollenden Rückmeldungen lernen wir. Am Ende entsteht, was sogar im modernen Marketingjargon schon vorkommt: Prosumer Relationship, die Zusammenarbeit des Produzenten mit dem Konsumenten. Sie zielt auf das Ideal des brüderlichen Wirtschaftens, eine gegenseitige Treue, wie sie zwischen dem Ökohof und seinen Gemüsekunden besteht. Wo die Prosumer Society gar auf Englisch daherkommt, weckt sie ein vorbeugendes Misstrauen; Anglizismen sind nicht nur eine Landplage, sie schaden dem Geschäft.
Auf die Werbemittel einzugehen, fehlt hier der Platz. Sie sollen die tatsächliche Unternehmenskultur widerspiegeln, nicht was sich Marketingleute gern ersatzhalber ausdenken. Mit der Kultur zu arbeiten, ist unter dem Strich vielleicht kostspieliger als mit Werbekampagnen das Land zu verwüsten, wird aber mit mehrfachem Nutzen belohnt: in der Produktivität, in der Reklamationshäufigkeit, in den Entwicklungszeiten. Als Ökovermarkter schichten wir nicht das Marketingbudget um, sondern das Budget des Unternehmens, weg von den Werbemitteln, hin zur Kulturpflege.
Das Schnäppchen-Gen
Die Leichtgläubigen, verwandt und leicht zu verwechseln mit den Kritischen, wollen zu uns, lassen sich auf dem Weg aber schon mal aufs Kreuz legen von den konkurrierenden Täuschern. Nicht immer, aber oft genug, um unsere Absatzplanung zu durchkreuzen.
Sie bedienen wir zunächst mit demselben Marketing wie die Kritischen. Darüber hinaus ermuntern wir sie zur Treue und weisen Wege, wo sie das Licht der Erkenntnis in sich aufnehmen, dass wir tatsächlich sind, wer wir behaupten zu sein. Das Dumme ist, dass in dieser Gruppe das Schnäppchen-Gen am häufigsten anzutreffen ist. Womit wir beim Thema Frauen angelangt sind (sowie bei den Männern, die sich wie Frauen verhalten).
Im Haushalt kann keine Konsumentscheidung Sinn stiften, die gegen den Willen der Frau gefällt wird. Der Haussegen hängt schief, an ihm rutscht auch Öko ab. Frauen haben zum Geld eine praktische Beziehung: Es kommt und es geht, und was ich hier zuviel ausgebe, spare ich dort wieder ein. Außerdem weiß ich alles besser. Manchmal sogar zu Recht.
Erwischt man einen Mann beim Aldi, kann man sicher sein: Er folgt in diesem Moment seiner weiblichen Natur. Oder er hat Schiss vor der Partnerin. Frauen sind für Ökoanbieter das Primärziel in jeder Zielgruppe. Am häufigsten verstößt dagegen der Handwerker: In der Annahme, es ginge um etwas Technisches, Männliches, bespricht er sich mit dem Hausherrn, und ignoriert oder belächelt, was die Frau meint. Das rächt sich. Und es ist leicht zu ändern. Der Meister braucht nichts weiter zu tun, als sich zu besinnen: Keine Frau ist nur Frau, jeder Mann ist auch Frau. Das ist ganz einfach zu verstehen, siehe oben: Bertolt Brecht.
Klein ist hübsch
Was wir den Leichtgläubigen bieten, ist auch bei den Kritischen gut plaziert: Treueboni, vernetzte Angebote, bei denen wir als Agenten der Kundenzufriedenheit auftreten, Vorstellen der guten Vorbilder in der Gemeinschaft unserer Kunden.
Großbetriebe leisten sich dafür die Mechanik des Marketings, dann aber fällt der ökogerechte Gesamtauftritt schwer. Laut Gallup-Umfrage ist in vielen Unternehmen das Betriebsklima durchsetzt mit „Dienst nach Vorschrift“. So eine Kultur mag man sicher nicht widerspiegeln. Das erklärt den Aufwand, der für das Polieren der Corporate Identity draufgeht. Früher nannte man sie das Image, immer schon war es die Unternehmenskultur. Wenn kosmetische Imagepflege dennoch funktioniert, dann zu so hohen Kosten, dass eine Wertanalyse die Frage aufwerfen würde: „Liebe Leute, wäre es nicht billiger, eine fruchtbare Unternehmenskultur zu säen, hegen und pflegen?“
Mit der Kultur punkten überschaubare Betriebe am leichtesten. Große Anbieter können sie durch Dezentralisierung (wieder) herstellen. Meist fehlen dazu der Wille und der Mut. Und das Denken über den Quartalshorizont hinaus.
„Schöne, gesetzte Worte kann aber auch setzen, wer nichts Gutes im Schilde führt?“ mag man dennoch entgegenhalten. Richtig, aber um damit durchzukommen, bedarf es der Übung. Der Unaufrichtige ist nämlich zur aufrichtigen Sprache normalerweise unfähig, er muss Schreiber mieten, die das für ihn erledigen. Und ihnen nicht ins Handwerk pfuschen. Auch das kann er in aller Regel – nicht. Gar nicht so einfach, das Ökomarketing.
Veröffentlicht in der Reihe der Betriebslinguistischen Beiträge, Heft 7, Juli 2008, des Instituts für Betriebslinguistik, Paderborn.
Dieser Beitrag enthält Teile des Buchs „Öko und noch etwas, Handbuch für ökologische Produkte und Dienstleistungen im Bauhandwerk“, verfasst von Oliver Baer für die Handwerkskammer zu Leipzig, 2008. Dazu diese Rezension.