Deutsch ist die beste Sprache, Deutsch ist verzichtbar. Darüber wird sinnfrei gestritten. Gutes Deutsch ist brauchbar, gutes Deutsch ist wichtig. Das wäre mal ein Motto für die Schulpolitik.

Ist die Muttersprache ein schützenswertes Denkmal? „Ihre Kasse ist leer. Wir müssen ein gutes Wort für sie einlegen.“ (Albert Wendt) (Bild: ®Behland)

An Peter Ustinovs Londoner Schule wurde das Weltverständnis der Zehnjährigen mit der Frage ermuntert: „Wer war der beste Komponist?“ Ustinov gab Johann Sebastian Bach an, statt der einzig denkbaren Antwort „Beethoven“. So ein Angeber. Da mag sich mancher Leser an seine Schulzeit erinnert fühlen. Dumme Frage verdient blöde Antwort.

Könnte jemand allen Ernstes behaupten, die deutsche sei eine bessere, oder, je nach politischer Heimat, eine schlechtere Sprache als etwa die englische? Doch, das gibt es. Leute mit ausgeprägter Engstirn berufen sich auf Friedrich von Preußen, der Deutsch nur mit seinen Pferden sprach. Toll, dieser Mann! Da bin ich aber froh, selbst der übelste Pauker sprach mit uns Hornochsen Deutsch. Dass an unserer Muttersprache trotzdem etwas dran ist, entdeckte der Ingenieur Gerhard Junker im Lenkungsausschuss der europäischen Luftfahrtnormung.

Der Ausschuss hatte Handlungsanleitungen in englischer, französischer und deutscher Sprache so anzufertigen, dass Airbus-Mitarbeiter in Bristol, Toulouse und Hamburg exakt dasselbe verstanden und verrichteten. Die Debatten des Normenausschusses verliefen nach einem Muster: In der synoptischen Darstellung war stets der kürzeste Text der englische, der längste der deutsche, und selbst die sprachstolzen Franzosen räumten ein: „Der deutsche ist der präziseste!“ Immerhin eine willkommene Eigenschaft, wo es um Flugsicherheit geht, und nicht nur dort. Genauigkeit, im Tandem mit Verlässlichkeit, begründet den weltweiten Erfolg der Industrie aus deutschsprachigen Ländern.

Beweist das eine Überlegenheit unserer Muttersprache? Sicher, wenn man von früh bis spät nichts anderes vorhat, als sicherheitsrelevante Normen zu formulieren. Aber Jimmy Wales, Gründer der Wikipedia, meinte schon vor Jahren, er halte die deutschen Autoren für präziser als die englischen, die deutschsprachige Wikipedia habe eine höhere Qualität als die englischsprachige. Kenner kennen die Kehrseite dieser Ehrung: die Rechthaberei in den Diskussionsforen der deutschen Wikipedia.
Selbstverständlich kann man sich im Englischen so genau wie in jeder ausgebauten Sprache ausdrücken. Wenn man sich bemüht. Ebenso kann man Gewissenhaftigkeit in jeder Sprache unterdrücken. Das gelingt im Englischen mit weniger Mühe als im Deutschen. In manchen Lagen passt das nun mal besser. Kurzum: Die deutsche Sprache ist nicht präziser, sie ermuntert zur Präzision. Die Betonung liegt auf „ermuntern“.

Junker und Wales bezeugen, was bekannt sein sollte, aber nicht ist: dass Franzosen, Engländer und Deutsche ähnlich, aber nicht identisch denken. Das ist gut so, sonst kämen die Bürger der Welt stets auf die gleichen dummen Gedanken. So gesehen, bleibt zu hoffen, dass die Esten – die Weltbesten bei digitalen Lösungen im Staatsdienst – ihre befremdliche Sprache behalten. Damit wir nachsehen können, wie man die Probleme anders löst als in Berlin. Auch Estnisch hat etwas. Was lehrt es uns?

In jeder Sprache kommen andere Vorzüge zum Vorschein. Beschränken wir uns auf Englisch, weil Weltsprache, oder auf Deutsch, weil Muttersprache, verpassen wir viele originelle Lösungen. Ihre vierundzwanzig Amtssprachen stehen für den kulturellen Reichtum der EU, das Gegenteil einer geistigen Einöde! Fünfhundert Millionen Europäer möchten die Unterschiede im Auge behalten, die ihre Heimat von jeder anderen unterscheiden.

Tatsächlich liegt Stärke in der Vielfalt Europas. Sie gilt es zu erhalten, und sie beginnt bei der Muttersprache, bei den Muttersprachen. Was wäre daher das Dümmste, was wir mit dieser Erkenntnis anfangen? Dass wir den Unterricht in der Muttersprache kürzen; dass wir das Haus der Bildung auf Sand bauen; dass wir den Zugewanderten die Landessprache nicht aufzwingen; dass wir, nebenbei gesagt, übersehen, was jeder weiß, wenn er will, aber wer will es schon: Die Grundlage für gutes Englisch ist gutes Deutsch! Das gilt auch für die nächste Lernphase der Deutschverächter: „Hoppla, Englisch ist nicht mehr, jetzt ist Mandarin.“ Irrtum, liebe Leute, jetzt ist Deutsch! Jeden Tag.