Was wie eine politisch korrekte Formulierung gilt, kann zur falschen Wahrnehmung von Tatsachen verführen. Eine leider notwendige Korrektur anlässlich des Geburtstags eines großen Menschen.
Afrikaans sei bekanntlich die Sprache der Apartheid, schreibt ILL im SPIEGEL und lobt Nelson Mandela, wie er sich „in seine Unterdrücker hineinversetzte, ihre Mentalität analysierte, ihre Sitten, ihre Geschichte – und ihre Sprache lernte, um ihre Feindschaft zu überwinden.“ An diesem Text stimmt etwas. Nur nicht die Kernaussage. Einem Großen des 20. Jahrhunderts, Nelson Mandela, wird ein derart glatter Textbaustein eben nicht gerecht.
Mandela war noch lange nicht geboren, da war Afrikaans bereits die Sprache nicht nur der Buren. Mit diesem Begriff wird übrigens eine ganze Ethnie – politisch total korrekt – pauschal diffamiert, aber bleiben wir beim Thema. Tatsächlich war und ist Afrikaans die Muttersprache auch der viereinhalb Millionen farbigen Südafrikaner, die Sprache der Töchter und Söhne der ethnischen Vielfalt im Lande. Die Farbigen – so ihre offizielle Bezeichnung – waren zur Zeit der Apartheid Unterdrückte, keine Unterdrücker. Horst Kleinschmidt, einer der führenden Kämpfer im aktiven Widerstand gegen die Apartheid, berichtet von subversiven Treffen, an denen er teilnahm: Es war peinlich, fortwährend missverstanden einander die Teilnehmer – auf Englisch. Voran kamen sie erst, als sie sich auf eine Lingua franca verständigten, und die war nun mal Afrikaans. Die Ironie der Situation war ihnen bewusst: Die Sprache von drei Millionen Unterdrückern war zugleich die Sprache von über vier Millionen Unterdrückten und der kleinste gemeinsame Nenner zur Verständigung im Widerstand gegen die Apartheid.
Viele Farbige sitzen auch im neuen Südafrika zwischen den Stühlen. Weder pfirsich- noch kakaohäutig anzusehen, sind sie der Diskriminierung auch nach der Wende am Kap ausgesetzt: Neue Stellenbesetzungen und Beförderungen, beispielsweise bei der Polizei, gibt es vorzugsweise für Schwarze, insbesondere Xhosa und Zulu. Woran selbstverständlich nur die Buren Schuld tragen, also die Apartheid. Wie auch immer.
Auch wenn es nicht in die ideologisch sandgeblasene Perspektive passt: Diese Menschen sprechen die Sprache ihrer Mütter, die afrikaanse Sprache. Sie ist eine Kusine des Niederländischen. Ihnen die Muttersprache nur als „Sprache der Unterdrücker“ zuzugestehen, damit man als Journalist mit den gewohnten Textbausteinen die gängigen Vorurteile bedienen kann (merkt doch keiner, Südafrika ist weit weg!), das schmeckt, wie es riecht: nach Hartleibigkeit. Damit tut man Nelson Mandela unrecht. Er gab sich mit solchen Plattitüden nicht zufrieden. Er war und ist auch für ungezählte Buren ein Held, für Südafrikaner, die das Ende der Apartheid schon in den Siebzigern für überfällig hielten.
Aber eher passt ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass der zitierte ILL beim Schreiben auf die Manipulation durch Sprache verzichtet. Doch, es gibt Leute, die es merken, und viele die es ahnen: Wer beim Lesen mehr leistet als abzunicken, was er am liebsten wahrnimmt, nämlich seine bereits betonbewehrte Meinung, der liest auch die seriösen Medien mit – leider wachsender – Skepsis. Das muss nun wirklich nicht sein.
Dieser Beitrag wurde im Herbst 2018 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (3/2018) veröffentlicht, und hier im Blog der baerentatze umständehalber erst heute.