Ich bin keine Ziege, und die da auch nicht. (Bild © Behland)
Ich bin keine Ziege, und die da auch nicht. (Bild © Behland)
Nichts gegen derbe Sprache, nichts gegen anzügliche Texte, nichts gegen schmähende Gedichte, alles zu seiner Zeit an seinem Platz! Aber mir kocht die Frage hoch, ob zur Kunst alles zählt, was uns so einfällt, wenn der Tag lang ist? Bis auf die eine Begründung – sonst fällt mir keine ein –, dass wir alle die Freiheit einfordern, unsere Meinung zu äußern, und sei es künstlerisch, o Graus.

Nur diesen Wunsch hat Böhmermanns Text mit der Ausübung von Kunst gemeinsam, sonst nichts. Schon gar nichts mit Kunst zu schaffen hat der Präsident unseres NATO-Partners Türkei. Er treibt sich auf jeder Baustelle herum, wo ihn eine Kamera beim Absondern von Phrasen abbilden kann. Merke: Ob sich jemand beleidigt fühlt, zu Recht oder nicht, mag mit allerlei zu tun haben, nur nichts mit der Kunst.

Frühzeitig erfuhren wir: „Das war nett, mein Junge und es reimt auch so schön, aber sieh mal, es dichtet nicht.“ Ab wann ein Text dichtet? Da tut sich eine Grauzone auf. Aber nur weil etwas grau daherkommt, erklär ich nicht alles Graue zur Kunst. Böhmermanns Schmähtext ist geschmacklos. Schon die Mohammedkarikaturen enttäuschten mich: Als Rundumschlag waren sie ein voller Erfolg, als Satire waren sie beinahe gelungen. Beinahe. Oder muss ich nun jeden Furz, sobald ihn ein Satiriker lässt, als grundgesetzlich schützenswert zur Kenntnis nehmen? Da stelle ich andere Ansprüche, und ich weiß, wovon ich rede; mir ist selber schon so manche Satire missraten. Da heißt es: Hinsetzen und neu schreiben! Kein Fuchteln mit der Kunstkeule wird den Text retten! Selbst auf einem Meinungsknopf lässt sich Satire tiefer, bissiger, giftiger rüberbringen als in den Reimen des Böhmermanns.

Auf der Bühne wie angesengt zu schreien ist kein Ersatz für das Sprechen, und schon gar nicht wird Kunst daraus, wenn kein Wort zu verstehen ist. Es gälte denn das Motto: „Die Sprache ist der Tod des Theaters“ (O-Ton aus einer deutschen Theaterprobe). Oder aus dem Blickwinkel des Geldes: Wenn Beyoncé 250 Millionen Dollar schwer ist, mag davon eine Million zur Kunst gehören, weiß der Geier, nehmen wir es mal an, aber die übrigen 249 sind Anmache, Sex und Geschäft. Nichts dagegen, alles paletti, aber Kunst? Sonst müssten wir – mit den wenigen gelungenen, den wirklich schätzenswerten Grafitti – sämtliche Klosettschmiererein auf diesem Planeten zur Kunst zählen. Böhmermanns Verse sind plakativ, nicht satirisch. Zur Satire gehört Können, das erkenne ich hier nicht. Zur Satire gehört Sprache, um die muss man sich bemühen.

Sprache ist kein Lebewesen, gegen Missbrauch kann sie sich nicht wehren. Verantwortung für ihren Gebrauch trägt jeder. Da darf er gern auch mal scheitern, aber seid so nett: Probiert es wenigstens und erklärt nicht gleich jeden Reim zum Gedicht, und nicht jede Beleidigung zur Kunst.


Dieser Beitrag ist auch in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache zu lesen.