Es gilt Pegida zu rezyklieren (© Fotolia)
Aus dem Westen erreichen mich empörte, hämische, auch verletzende Imäils. Peinlich. Als Dresdner Bürger habe ich nämlich keine Lust, pegidisches Dumpfbackentum zu verteidigen. Aber bei einigen Kollegen im Westen setzt das klare Denken aus, sobald sie am Gutmenschennerv berührt sind. Ausnahmsweise daher an dieser Stelle ein sehr persönlicher Beitrag.

Eines vorab: Die Pegida ist keine Partei, als Verein hat sie sich sofort gespalten, sie ist auch danach keine homogene Gruppierung. Selbst wenn sie eine Partei wäre: Auch wir Bravdemokraten machen unser Wahlkreuzchen bei einer Partei, die nicht in allen Positionen der Unseren entspricht. Soll das bei einem heterogenen Haufen wie Pegida etwa geradliniger verlaufen? Ja sicher sind am Dresdner Elbufer auch Islamhasser mitgelaufen. Ich vermute allerdings, sie waren zumeist vom Islam Verängstigte, zum Hassen fehlte das Wissen. Diesen Punkt heben wir uns für den Schluss auf.

Auch Neonazis sind da mitgelaufen. Abgesehen vom Rummel in den Medien bleibt ihnen in Dresden der Erfolg versagt. Ja doch, in Sachsen gibt es Braune, und Ihr Gutmenschen haltet sie am Leben. Ihr überlasst ihnen Themen, die eine seriöse Auseinandersetzung verdienten, zum Beispiel was dabei herauskommt, wenn an den Universitäten die Muttersprache durch Englisch ersetzt wird. Schon die Erwähnung dieser Sorge verwechselt Ihr mit Nationalismus. Dann greifen die Braunen das Thema auf, bestätigen Euer Vorurteil und voilà: Es ist ja so schön recht zu haben. Das bedeutet trotzdem nicht, dass im Abseits steht, wer sich in der Gegenwart von Unanständigen zu Wort meldet. Nach solcher Logik wären die Dresdner Straßenbahnen zu meiden, da wurden auch schon Neonazis gesichtet.

Ihr habt mit der Sprache Probleme. Kaum verhält man sich wie ein Profiler – der versucht den Kriminellen zu verstehen, damit er ihm auf die Schliche kommt –, gilt man schon als Versteher: Putinversteher, Pegidaversteher, mein Gott ist das eine Plattdenke! Den Unterschied zwischen verstehen und billigen findet Ihr im Wörterbuch. Und da wir gerade dabei sind: „Das kann man nicht vergleichen!“ ist auch so ein Killerargument. Vorsicht, Gehirn einschalten: Ohne den Vorgang des Vergleichens lässt sich nicht ermitteln, ob zwei Dinge einander gleichen, vielleicht dasselbe sind, oder ob Parallelen an den Haaren herbeigezogen wären. Wer sich über die platten Parolen der Pegidisten erhebt, sollte erst schauen, dass er sprachlich mithält, statt Blähwörter für Überschriften in der taz abzusondern.

Dass Medien und Politiker die Dresdner Demonstranten vorsorglich zwischen dumm, sehr dumm und saudumm ansiedelten, war – im luftleeren Raum – eine tapfere Tat, des wackeren Politikers würdig. Es diffamiert sich umso leichter, wenn man moralisch die besseren Karten hält. An dieser Platzierung fehlt aber die Wirklichkeit der Nichtwähler, in Sachsen immerhin die Hälfte der Wählerschaft. Darunter befinden sich informierte Bürger, deren IQ dem eines beliebigen Abgeordneten nicht nachsteht. Auch Gutbetuchte haben mit der Pegida demonstriert. Aber verärgerte Gebildete zählen nicht, die sollen mal mit sich selber ins Reine kommen. Sie können doch eine Petition schreiben, oder einer Partei beitreten, ja, oder eine eigene Zeitung gründen. Na siehste, geht doch, die Demokratie. Was die Leute bloß haben, dort in Dresden!

Aber gut, gehen wir der Sache auf den Grund. Mitbürger in prekären Verhältnissen bildeten offenbar eine Mehrheit der Demonstranten, darunter Viele, die der Altersarmut ins kalte Auge blicken. Hallo Fettsäcke! Angst ist kein Doping für klares Denken, so wenig wie Hochmut. Verständnis für die Angst der Mitbürger wäre immerhin ein Ausgangspunkt, besser als: „Die Rente ist sicher!“. Und wenn diese Bürger falsch informiert sind über die staatlichen Leistungen für Flüchtlinge, Asylanten und Einwanderer, und wenn sie diese mit dem vergleichen, wovon sie leben müssen – dann liegt das woran? Vielleicht auch an den Medien? Die sich lieber an allem aufgeilen, was vorgeblich „die Leser so wollen“. Ach ja? Und dafür verteidigen so naive Publizisten wie ich die Pressefreiheit. Ja doch, die Parole von der „Lügenpresse!“ erinnert im Wortlaut an die Nazis, ein geschmackloser Fehlgriff. Aber ist das Gefasel im Bundestagswahlkampf von geistig so viel höherem Gehalt?

Die Medien verlieren ihre Daseinsberechtigung, wenn sie sich auf dem Niveau des Internets bewegen. Wer hat es den Netzbürgern vorgemacht, wie man Leute erst in die Wolken lobt, dann genüsslich herunterreißt? Wer sonst trägt die Schuld, wenn in Sachen Islam bei den Bürgern nur eines hängen bleibt: Achmed beschimpft seine Lehrerin als Nutte (wofür ihn der Schulleiter rauszuschmeißen hätte). Tja, was denken sich diese Lehrerweiber, den Islam so zu beschmutzen! Apropos, wenn wir uns schon streiten, ob die Muslime zu Deutschland gehören: Über den Islam gäbe es auch Werthaltigeres zu berichten. Ohne Häme.

Ängstliche Bürger fragen, wieso wir die Hassprediger nicht hindern, junge Leute zum Dschihad zu verführen – bei deren Rückkehr aus Syrien wir dann alle, nicht nur in Dresden, dann auch medial abgesegnete Angst haben dürfen, dass sie Bomben auf Bahnhöfen unterbringen? Wieso wir es zulassen, dass in saudi-arabisch finanzierten Moscheen mitten in Deutschland eine wahabistische Perversion des Islam gepredigt wird. Die aus einem Land stammt, wo Frauen nicht alleine ans Steuer dürfen. Da wir gerade medialen Schwachsinn erörtern: Muslime müssen offenbar erheblich mehr als „nur 0,4 Prozent der Dresdner Bevölkerung ausmachen“, bevor man sie ablehnen darf, ohne gleich vom Spiegel verhöhnt zu werden? Apropos 0,4 Prozent: Das ist in etwa auch der Anteil der Pegidisten an der Dresdner Bevölkerung.

Genug zurückgepöbelt. Das Pegida-Syndrom lebt weiter. Wer Missstände herausschreien muss, die den gewählten Politikern auch ohne Protest schon lange hätten bekannt sein dürfen, den kümmert kaum, wenn in seiner Demo ein paar Gehirnamputierte mitlaufen. Na und, manche bringen ihrer Mutter Blumen zum Geburtstag! Verachten wir dann die Blumenläden, oder die Mütter, die den Strauß nicht gleich in den Müll werfen? Eine Demokratie, die von der Hälfte ihrer Bürger in Wahlen nicht mehr bestätigt wird, hat ein Problem. Das lässt sich auf zweierlei Weise lösen: Die Politiker gehen in sich und ermitteln, wieviel sie zum Problem beitragen. Oder sie verstoßen das Volk und wählen ein neues.


Nachtrag 2017: Der SPIEGEL hat dazugelernt, die anderen seriösen Medien auch. Vielleicht in Zukunft ohne Häme?