„Rentnerin Renate R. wurde von Nachbars Dackel nicht gebissen“ kommt in keiner Zeitung vor; „Erneut vom Dackel gebissen“ wäre einen kurzen Einspalter wert. Insgeheim hoffen die Leser auf „Rentnerin beißt zurück!“
Wir sind es selber schuld, unsere Lust als Leser bestimmt, was uns an Nachrichten geboten wird: die Lust auf die Ausnahmen, die Abweichungen vom Alltag. Da kommt eine wadenbeißende Witwe gerade recht. Texte müssen aber zeilengerecht oder auf die Sekunde genau gekürzt werden. Farbig soll die Lektüre sein, das verschiebt Akzente, und schon tönt ein falscher Zungenschlag. Ab wann haben wir es mit Falschmeldung zu tun? Fake News gibt es in mindestens drei Formen: Erstens die Nachricht, die auf Nebensächliches übertriebene Aufmerksamkeit lenkt, zweitens Propaganda, zumal im Wahlkampf, drittens die gezielte Desinformation.
Ob der vorläufig Festgenommene „südländisch“ aussieht, kann sogar ein wichtiges Detail sein, oder auch ein unerhebliches, das zur Sache nichts beiträgt, aber Stimmung macht, erst recht wenn manche Leser genau diese Angabe vermissen. Propaganda erfordert mehr Aufwand. Die Mischung aus falschen und wahren Informationen soll die eine Seite schwächen, die andere stärken. Hauptsache die Informationen werden geglaubt. Zum Beispiel ist es sicher die Debatte wert, ob heutzutage frische Aufrüstung angezeigt ist. Aber es befremdet die Leser, wenn der aufgelaufene Bedarf an Ersatzteilen und Reparaturen bereits zur Aufrüstung gezählt wird: falsch.
Die höchste Stufe von Fake News ist die Desinformation. In ihrer Folge soll gar nicht geglaubt werden, vielmehr sollen die Bürger das Wahre und Falsche nicht mehr auseinanderhalten können. Sie sollen das Gespür verlieren, wie man eine unseriöse Informationsquelle erkennt und mit den seriösen nicht verwechselt. Ist dieser Zustand erst erreicht, fressen die Leute die wildesten Verdrehungen. Typisch war der Abschuss des Passagierfliegers über der Ukraine. Stets neue, zum Teil ganz abstruse Hergänge wurden als Tatsache dargestellt. Egal welche stimmen mochte, oder auch nicht, am Ende traut man keiner Quelle mehr; das ist der Sinn der Desinformation.
Schon bei Dackeln und Rentnern fällt eine faire Berichterstattung schwer. Umso mehr bei gewollter Irreführung. Wie wehren wir uns als sprachbewegte Bürger? Achten wir auf den Umgang mit der Sprache, in ihr verraten sich auch die Verfälscher. Lesen wir mit langen Armen, lernen wir nach und nach ihre Kniffe zu durchschauen, die Muster sind stets die gleichen. Wir sind nicht wehrlos, sogar in Diktaturen konnte, wer sich bemühte, zwischen den Zeilen viel Wahres herausfiltern. Unsere Mühe wird in dem Maße belohnt, wie wir unser Sprachgefühl hegen und pflegen, zum Beispiel durch Lesen von Romanen. Sie schärfen unser Vermögen die Wahrheit wahrzunehmen, damit wir nicht ohne weiteres das Wissen durch den Glauben oder die Gleichgültigkeit ersetzen.
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Quelle: Ethan Zuckerman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in: Jonas Kaiser, Fake News: Der Lackmustest für die politische Öffentlichkeit, Bundeszentrale für politische Bildung, nachzulesen bei der Bundeszentrale für politische Bildung.