Still, nicht lautlos, weicht das Abendrot, weit weg tost der Alltag, und nahe liegt der Wunsch nach Ruhe, wenigstens dann und wann, anstelle des stets aufgeregten viralen Rauschens in den Medien.
Warum, so fragt sich der Besonnene, warum das Zetern und Schreien, als ständen die Leute allesamt auf einer Brücke über die Autobahn? Wo gibt es noch das Gespräch unter gleichgestimmten Menschen verschiedener Meinung? Glauben bald alle, zur Geltung käme nur, wer lauter daher kommt als die Lauten? Die Geplagten, selber nicht schweigend unterwegs, winken derweil ab: „Sprich ruhig weiter, ich hör sowieso nicht zu!“
Wenn wir wollen, verstehen wir alles, sogar die Regel des passiven Abseits. Unter einer Bedingung: Unser Wille steht im Dienst des Zuhörens. Denn selber reden kann jeder, schwierig ist das Zuhören. Das muss man wollen. In den Medien, zumal den neuen, wird viel Fragwürdiges geredet und unermüdlich nachgeplappert: Da sollen wir auch noch zuhören?
Wir haben ein Problem: Wenn wir aufhören, einander verstehen zu wollen, brauchen wir kein Twitter oder Instagram, sondern Knüppel. Für alle, nicht für die Vernünftigen, die wandern aus nach Island. Halten wir fest, für die Hiergebliebenen: Man kann es lernen, das Zuhören, und der Kniff, es zu können, sieht einfach aus.
Zuvor gilt es eine Hürde zu nehmen: Wir müssen als Leser oder Hörer nicht auf alle neuen Wörter abfahren, nicht einmal die so glatt gelutschten. Aus dem Brexit wird hübsch englisch der Exit hergeleitet, gemeint ist die Abkehr von den Kontaktblockaden. Exit wohin, dürfen wir getrost fragen: nach getaner Heldentat reitend in das Abendrot? Passte „Aufbruch“ nicht besser, vielleicht „Wiederkehr“, oder „Neubeginn“, statt Exit = Schluss, Ausgang, Ende, Klappe zu? Wie wär’s mit ein bisschen Vordenken, nämlich vor dem Reden?
Nicht die Antworten zählen, spannend sind die Fragen, aus ihnen entsteht Neues. Wer nur nach Antworten sucht, ist zum Austausch unfähig, der lernt nichts dazu. Lernen gelingt dem, der nicht müde wird, eine platte durch eine klügere Frage zu ersetzen, und wer das schafft, nähert sich dem Ideal des Gespräches: Wir tauschen unsere Meinungen aus; du verteidigst meine und ich deine. Denn oft liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, nicht im Geknüppel. So tun, als ob er zuhöre, kann jeder. Und zugleich das nächste Argument zum Schuss freigeben, sobald dem anderen die Luft ausgeht. Kann man machen, das ist Kampf, keine Kommunikation.
Wie nun bringen wir den Willen zum Zuhören auf? Das Geheimnis dürfte in der Neugier liegen. Will ich wahrhaftig Neues in meiner Erfahrung zulassen, also dazulernen, dann bin ich neugierig, dann höre ich zu, wie von alleine. Dazu gehören immer mindestens Zwei.
Wer gerade zuhört, bietet seine Neugier an, und wer spricht, bringt die Sprache mit. Jene Sprache, die ein Bemühen erkennen lässt: Es geht darum, verstanden zu werden. Allem Anfang liegt ein Zauber inne. Bevor Dr. Pfitzmann den Unterricht begann, stellte er Ruhe im Raum her, indem er leise sprach und, immer leiser werdend, das Gezwitscher der Schüler überwand. Heilsame Lehrstille füllte das Physiklabor. Wer etwas lernen wollte, wurde beschenkt.
Dieser Beitrag wurde im Winter 2019/2020 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (1/2020) veröffentlicht, und hier im Blog der baerentatze umständehalber erst heute.