Es ist keineswegs gleichgültig, wie wir eine Sache benennen und welche Wörter wir uns verkneifen. Wie Jürgen Trabant ausführte [1], ist es nicht das Gleiche, ob uns eine Person als Freiheitskämpfer oder als Rebell vorgestellt wird.
„Das kann man nicht vergleichen!“ klingt hohl. Der Satz enthält so viel Kalorien wie: „Nachts ist es kälter als draußen.“ Wer A und B für unvergleichbar hält, musste zuerst was tun? Er musste A und B nebeneinander stellen und vergleichen, sonst hätte er zu seinem messerscharfen Schluss nicht gelangen können, dass man A mit B nicht vergleichen könne. Gemeint hat dieser Hohlsprecher etwas anderes: Man könne A mit B nicht gleichsetzen. Tatsächlich sind vergleichen und gleichsetzen nicht das Gleiche, und woher wissen wir das? Indem wir die Bedeutung der Wörter nebeneinander … wie gehabt, siehe oben!
Wer das Wort gleichsetzen aus seinem Wortschatz streicht und vergleichen sagt, wo gleichsetzen korrekt wäre, der halbiert an dieser Stelle sein Denkvermögen. Vergleichen brauchen wir zum Überleben: Zielt dieser Kerl mit der Stange auf meinen Kopf oder will er bloß den Mond weiterschieben – gehe ich in Deckung oder lade ich ihn zu einem fidelen Bierchen ein? Wer sich verbietet, die Verbrechen Hitlers mit denen Stalins und Maos zu vergleichen, dem fehlt die Erkenntnis, dass auch Pol Pot in die Kategorie „Massenmörder“ gehört: Gemessen an der Gesamtbevölkerung, hat er mehr Menschen auf dem Gewissen als die anderen Verbrecher. Wir aber lassen solche Leute an die Macht kommen, lassen uns von ihnen täuschen, wir lassen ihre Massaker zu, und hinterher behaupten wir einfach, das könne man alles nicht vergleichen. Sehr praktisch.
Gut ist auch der „Russlandversteher“ oder „Putinversteher“. Anlässlich Obamas Besuch mussten die Dresdner Bürger hinnehmen, dass die Stadt weitgehend stillgelegt wurde; die Gullideckel waren verschweißt, der Verkehr wurde weiträumig umgeleitet, alle hielten den Atem an: Der ist bald wieder weg! Als hingegen Putin zuletzt in Dresden war, begrüßten ihn zwar Dresdner Bürger mit „Mörder“-Rufen (wegen der Journalistin Politkowskaja). Trotzdem verließ er am Morgen sein Hotel, spazierte gut zwei Kilometer durch die Altstadt, überquerte lose aufliegende Gullideckel und kehrte bei einem Bäcker ein. Ungezählte Dresdner haben ihn erkannt: „Hier liest Putin bei Kaffee & Schnecke die Morgenpost“. Will sagen: Einem Vladimir Putin droht man nicht, dazu hat der Mann zuviel Courage. So einem schlägt man sofort auf die Nuss, oder man lässt es bleiben; man steht nicht herum und schaut gefährlich drein. Am besten, man überlegt sich etwas Klügeres als ein Gerede, dessen Hohlräume dem Gegner bekannt sind.
Nach Jahren einer sagenhaft ungeschickten Russlandpolitik seitens der EU, der NATO, der USA und ihrer eigenen Regierung haben viele Deutsche das Recht, die Weisheit der Oberen zu bezweifeln. Ob sie selber klüger wären, sei dahingestellt, aber diese Bürger als Versteher zu verunglimpfen, ist ganz einfach saudummes Zeug. Derartige Sprachregelung dient nur einem Zweck: Es gibt Gedanken, die dürfen uns gar nicht erst kommen, und wenn, sollen wir uns wenigstens schämen.
Was wäre unsere Gesellschaft ohne Versteher? Kann ich mich in den Kerl mit der Stange hineinversetzen? Wenn nein, sollte ich die Straßenseite wechseln. Was die Sprachregler meinen, ist etwas anderes: Sie möchten nicht, dass wir Putins Verhalten billigen, rechtfertigen, unterstützen. Dann sagt es doch, ihr Lautsprecher, statt mit amputiertem Wortschatz euer Denken zu beschränken!
Übrigens: Äpfel und Birnen sind Obst.
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[1] Feige Rhetorik, Süddeutsche Zeitung, 28. März 2014_blank
Diesen Beitarg konnte man auch in den Sprachnachrichten des VDS lesen: Nr. 62 (II 2014)