baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Der entsorgte Verstand

Montag 10 März 2008

Alles paletti? Nein, alles Englisch. Der Sinn und der Zweck englischer Sprachfetzen im Marketing, nicht nur in der Werbung, erschließen sich auch bei näherem Hinsehen nicht.

Was sind wir Marketingfritzen doch ein seltsames Völkchen! Wir schaffen uns ein eigenes Universum, und das Unternehmen muss daran glauben. In den oberen Etagen gelingt das sogar, die Leute haben zu viel um die Ohren, um unser Wort auf die Goldwaage zu legen. Dumm ist daran nur, dass uns die Todsünde der Werbung unterläuft: Wir glauben unser Wortgeklingel. Und je falscher es klingt, desto lauter singen wir.

Nur die Mitarbeiter des Kunden ziehen nicht mit. Wie sollten sie auch, unser Getue hat mit ihnen nichts zu tun. Dass uns keine Peinlichkeit zu blöde ist, merken sie, auch die Kunden merken es, nur wir merken nichts. Denn wir beziehen diese Schmonzes in einer Fremdsprache, von der wir in rührender Selbstverliebtheit glauben, dass wir sie beherrschten. Kämen wir sonst auf die Idee, irgendwelche albernen Symbole auf dem Bildschirm als Ikonen (icons) zu bezeichnen? Wir schaffen ein Universum, in dem offenbar miese Produkte den Ton angeben, die muss man schreiend anpreisen und am besten nichts Wahres von sich geben.

Das geht auf Englisch am besten, glauben wir.

Im Grunde passt diese Tour hierzulande nicht, aber da der sprachliche Kollaps auch in den oberen Etagen zuhause ist, bieten selbst die Bayrischen Motorenwerke ihre –
wahrhaft pfiffige – Energieverwaltung im Auto als Efficient Dynamics an, eine Sprachhülse ohne nennenswerten Nährwert. Dabei hat Audi längst bewiesen, dass der TT mit „Vorsprung durch Technik“ zum Londoner Kultauto wurde, auf Deutsch, sieh mal an.

Englisch schadet der Werbung in Deutschland mehr als es nützt, das weiß schon der Alltagsverstand. Kein Wunder, dass unser Treiben den Leuten zum Halse heraushängt. „Ich habe kein Marketing gemacht, ich habe meine Kunden geliebt“, sagte Zino Davidoff. Dazu sind wir unfähig, wir verachten die Kunden. Derweil verwechseln wir das Kundenverhalten mit Basisdemokratie – in dem trüben Glauben, die Leute würden mit der Brieftasche abstimmen: „Kauft Ramsch, Millionen Verbraucher können nicht irren!“

Was wir erfinden, ist nichts Neues, es klingt nur so. Sicher, als Ambient Media hat es den Gedanken, zu werben, wo sich die Leute aufhalten, zum Beispiel auf dem Klo, vorher nicht gegeben, das ging auch ohne ein neues Klingelwort. Trotzdem, den Mut „My first Zahnbuerste“ auf den Markt zu werfen, muss man schon durch einen Strohhalm bezogen haben. Das Pulver würde erklären, weshalb uns die Fähigkeit abhanden kommt, neue Begriffe in der Sprache des Kunden abzubilden, in der Sprache, die er von der Mutter lernte. Novel Food klingt geil, zugeben, aber wir sprechen es hierzulande aus wie Nowell Fut. Da klappen einem Engländer die Zehennägel hoch. Aber wir merken schon nichts mehr, und verpassen die Gelegenheit, neue Wörter in die Welt zu setzen, wie früher den Geisterfahrer, den erfand der Volksmund. Wörter zum Mitmachen, wo die Phantasie der Kunden gekitzelt wird. Was ist Podcasting? Schotenfunk, sollte man meinen, aber nein, bei uns heißt es Pottkassting – mit doppeltem T und doppeltem S.

Da wir uns einer Sprache bedienen, die wir erstens nicht beherrschen, zweitens falsch aussprechen, blamieren wir uns. Der Leipziger Logistik-Hub der DHL geht uns über die Lippen wie der Hub in Hubraum. Warum, weil uns „Drehscheibe“ schon gar nicht mehr einfällt. Das Spitzenpils nennen wir Premium, auf Englisch, als könnten die Angelsachsen zum Bierbrauen auch nur etwas Erinnernswertes beitragen. Und wenn wir zum Lounge einladen, meinen wir eigentlich unseren Launch – da fragt sich der Engländer, wo denn der Relaunch stattfinde, vielleicht im Rückzimmer, was immer das sein mag?

In Wirklichkeit sind wir nicht so blöd, wir haben das Ethnomarketing erfunden, mit dem wir auf die kulturellen Unterschiede von Minderheiten eingehen – es darf uns aber keiner dreinreden, wenn wir die Mehrheit der Verbraucher weiter auf Englisch anquatschen. Allerdings kostet dieser Unfug Arbeitsplätze, und irgendwann unser aller Einkommen. Der Airbag stammt nämlich vom Daimler, aber vom Nordkap bis Neuseeland glaubt alle Welt, das Ding hätten die Amis erfunden. Es lässt sich ausrechnen, wieviel ein solcher PR-Coup gekostet hätte, hätten wir den Ährbeck nicht verschenkt – weil deutsche Wörter so doof sind. Als Prallkissen, Luftsack oder weiß der Geier welch ein Wort uns gepasst hätte, wäre das Ding aber besser angekommen, denn mit Innovationen vom Exportweltmeister rechnet alle Welt. Audi wirbt für den R8 frech mit „Vorsprung’s finest hour“ und fährt gut damit. Exportweltmeister waren wir nämlich schon, als noch keiner meinte, wir müssten unsere Weltläufigkeit mit Englisch beweisen.

Wir denken nicht mehr, wir verstecken uns hinter Computerspielzeug. Statt dem Kunden aufs Maul zu schauen, fummeln wir am Customer Relationship Management (CRM), damit mogeln wir uns an der Berührung mit dem Endkunden vorbei. Eine Berührung, aus der wir etwas lernen könnten – geht aber nicht, die Software hat ihn soeben zum B-Kunden, zur Unperson, herabgestuft.

Glück gehabt, die Berührung wäre riskant, denn der Kunde würde merken, was wir vermarkten, die Kultur des Unternehmens, ersatzweise die Fata Morgana einer Kultur, die wir gerne hätten, weil uns die tatsächliche zu poplig ist. So haben die Großbanken das Privatkundengeschäft aus den Augen verloren (und jüngst wiederentdeckt), nun heißt es Consumer Banking. Seither stylen sie die Finanzen ihrer jungen Kunden. Die sind natürlich ganz außer sich und nehmen die Lockzinsen locker mit. Nur treu bleiben sie nicht. Die können nämlich selber kein Englisch, nur Denglisch.

„Man kann sich in einer fremden Sprache nur unfrei ausdrücken. Im Zweifelsfall sagt man lieber, was man richtig und einwandfrei zu sagen hofft, als das, was man eigentlich sagen will. Oder man sagt, was man zu sagen glaubt, aber es wird anders verstanden, als es gemeint war.“

Das sagte der Ungar Molnár Ferenc, der als Franz Molnar Weltliteratur nicht nur auf Deutsch, sondern sogar auf Englisch fertigbrachte. Aber das ist Kunst und hat mit unsererem Universum nichts zu tun. Wo die Sprache der Kunden, zusammen mit unserem Verstand, entsorgt wird.

Leicht redigierte Fassung des Artikels in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache, Heft 37, März 2008.


  1.  
    18. März 2008 | 08:33
     

    dazu schreibt Manuel Heßling in der Westropolis: Hoppala, hier ein Pröbchen zum Kosten:

    „… Ich gebe ja zu, dass ich beides gleichermaßen zum Gähnen finde. Sowohl die Penetranz, mit der die Werbemacher hierzulande sich an die Weltsprache anschleimen; aber ebenso die Dumpfheit, mit der jeder Anglizismus mit fast schon völkisch zu nennender Borniertheit zum K.o.-Kriterium der eigenen Verständnisbereitschaft erklärt wird, bloß weil Otto Normalverbraucher zu faul ist, mal einen Volkshochschulkurs Basic-English zu besuchen, um Anschluss an die multilinguale Gegenwart zu finden. Und doch! Es müsste sich auch ein deutsches Wortgebilde finden lassen, das ohne Sinnverlust ins Englische zu übersetzen ist – das also bei den Menschen hier vor Ort ebenso ankommt wie in der Welt, die sich gegenwärtig hauptsächlich in englischer Sprache verständigt…“

    Der ganze Beitrag ist in diesem Stil verfasst, ein Lesevergnügen!

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