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Hier geht es um Sprache (zur Zeit im Umbau)
Because we are such English canners

Dienstag 2 Juli 2013

Die alternativlose Klarheit der Wahrnehmung (© Behland)

Im Streit was wichtiger sei, Kenntnisse des Deutschen oder des Englischen, gibt es einen Punktsieg für die Beflissenen der Weltsprache zu verzeichnen. Es sei denn man schaute genauer hin. Sprachen sind aber kein Sport, bei dem Punktrichter entscheiden, wer mehr Schläge einstecken musste. Die Wirklichkeit ist witziger, wie ein Bericht aus dem SPIEGEL belegt.

Der SPIEGEL hatte über das Treiben der Landesbank Berlin (LBB) mit einem amerikanischen Kunden in Kalifornien berichtet. Dieser ist ein Erfolgsmensch aus der Wirtschaft, verheiratet mit einer Deutschen, und auf Englisch so gut zu Fuß, wie es von einem Muttersprachler zu erwarten ist. Den Internetzugang zu seinem Konto hatte die Bank nicht auf die Beine gestellt, also verkehrte man per E-Mail; möglich ist ja vieles, man muss es nur wollen, und bitteschön ein bisserl vorsichtig bleiben.

Ungewöhnlich ist nur: Die Bank ließ sein Konto von Betrügern nach und nach leer räumen. Wie das? Nun, die Betrüger hatten sie ganz freundlich – ebenfalls per E-Mail – dazu aufgefordert.

Die Verkehrssprache zwischen den Gaunern und der Bank war Englisch, genauer: ein dürftiges Englisch, die Korrespondenz strotzte nur so von Fehlern. Die Bank überwies trotzdem stets wohin und wieviel die Gauner in schlechtem und der Kunde in makellosem Englisch anwiesen. Als endlich der Kunde seinen Kontostand zum ersten mal auf dem Bildschirm zu sehen bekam, war das Konto leer. Das fiel ihm auf. Da musste sich jemand anderer bedient haben.

Empfinden wir Schadenfreude, weil da jemand in der Bank nicht genug Englisch draufhatte? Wohl kaum, schlechtes Englisch müsste durchgehen, Hauptsache man versteht sein Fach. Dennoch gibt es Positionen, da zählt die Verständigung in der Welthandels- und Verkehrssprache zur Grundausstattung. Beispielsweise als Bankier im internationalen Geschäftsverkehr. Uns geht der Fall nahe wegen der Pointe, deren Feinheit auch dem SPIEGEL entging: Die Weltsprache ist bei der LBB offenbar gewohnheitsmäßig so übel. Sonst wäre es irgendwem aufgefallen: Der echte Kunde schreibt ausgezeichnetes, die Betrüger schreiben grottiges Englisch, nanu! Auf Deutsch hätte sich das etwa so angehört: „Sie haben meinen Tag retten“. Autsch. Aber der Unterschied fiel keinem auf.

Im Alltag geht es nicht nur der LBB so. Die Ursache ist leicht zu verstehen. Die Welthandels- und Verkehrssprache ist nämlich nicht Englisch, sondern schlechtes Englisch, wie uns der Linguist David Crystal aus Cambridge versichert. Und Hand aufs Herz: Gutes Englisch verstehen selbst wir beflissenen Deutschen nicht, obwohl bei uns die halbe Bevölkerung treuherzig an die Heilkraft einer perfekten englischen Sprachbeherrschung glaubt. Diese Frömmelei bildet den Hintergrund, vor dem die Universitäten das Deutsche zugunsten des Englischen verdrängen; in der Schule unterrichtet kein Staat seine Muttersprache so wenig wie wir es hierzulande tun, und nirgends foltert man so viele Babys durch Berieselung der Waege mit Frühenglisch von der CD wie in Deutschland.

Der Knoten ließe sich ohne Umstände entwirren. Als erstes unterscheiden wir, wo ein gutes Englisch angebracht ist: Beispielsweise bei der LBB müsste es nur Einer können, ein Mitarbeiter würde genügen. Als zweites entdecken wir: Gutes Englisch (bitte langsam lesen: Gutes Englisch) ist so nötig wie gutes Italienisch. In aller Regel ist ein Luxus, keine berufliche Notwendigkeit. Drittens genügt für die Karriere ein schlichtes (wieder langsam lesen: kein schlechtes) Englisch nicht nur, es ist dem guten Englisch sogar vorzuziehen. Doch, Sie haben es ganz korrekt langsam gelesen: Schlichtes ist besser als gutes Englisch.

Die Wirklichkeit sieht nämlich so aus: Selbst die meisten englischen Muttersprachler (4 Prozent der Weltbevölkerung) beherrschen ihre Sprache nicht, sie gehen noch schlimmer damit um als wir mit unserer Muttersprache. Ähnlich geht es 40 Prozent der Weltbevölkerung, die auf Englisch irgendwie über die Runden kommen müssen, ihr Englisch reicht von schwach bis grottig. Die restlichen 56 Prozent der Weltbürger können überhaupt kein Englisch, nicht einmal „Guten Tag!“ Mit anderen Worten: Das gute Englisch, das fleißige Deutsche zu erwerben suchen, würden sie im Erfolgsfall mit vielleicht 0,1 Prozent aller Weltbürger weltweit teilen – wenn es denn so viele sind. Alle anderen verstehen Bahnhof, sobald Sie Ihr teuer erworbenes Englisch auspacken.

Unser Aufwand für Englisch ist für die Katz, schlimmer: Er schadet jedem, der gutes Englisch wirklich beherrschen möchte oder muss, denn die Voraussetzung für jegliches Lernen (auch der italienischen Kultursprache) ist die Muttersprache. Diese wird hierzulande einer Ideologie preisgegeben, derzufolge Englisch wichtiger wäre. Torten backen ohne Tortenboden, das wird Obstsalat, kein guter. Muttersprache, das sei mal erwähnt, ist hierzulande die deutsche Sprache, zugleich Verkehrssprache zwischen Eingeborenen und Eingewanderten sowie der Eingewanderten untereinander. Falls Sie das Wort Migrationshintergrund vermissen: In meiner Muttersprache sind Einwanderer Einwanderer, nicht Migranten (= Nomaden) mit irgendwelchem Hintergrund.

Ohne gutes Deutsch lernen Deutsche und Einwanderer zu wenig. Auch das Allheilmittel Englisch erschließt sich dem am besten, der mit gepflegter Muttersprache antritt. In den Kultusministerien begreift das keiner, sonst hätten sie schon längst wieder angemessene Stundenzahlen für den Deutschunterricht in den Stundenplänen festgeschrieben. Und noch etwas: Hätten sie es verstanden, dann wüssten sie in den Ministerien: Wir brauchen einige Zigtausend ausgezeichnet ausgebildete Übersetzer und Dolmetscher, die in allen Fällen einspringen, wo wirklich gutes Englisch unerlässlich ist. Sie hätten an den Hochschulen die deutschen Veröffentlichungen in ausgezeichnetes Englisch zu übertragen. Und zwar auf Staatskosten, denn die geistige Infrastruktur eines Hochlohnlandes ist wichtiger als die Autobahnen! Ja was denn sonst? Wer Autobahnen für wichtiger hält als Investitionen in den Geist, bekommt, was er verdient: Schlaglöcher.

Aber nein, lieber blamieren wir uns mit der Zweitklassigkeit, auf die wir zielstrebig zusteuern, seit wir eigene Gedanken kaum noch zustandebringen. Es ist für den Kopf bequemer, die Schablonen aus Amerika nachzubeten, die da lauten: Englisch ist die Weltsprache, man ist international aufgestellt, und überhaupt, alle Welt spricht doch Englisch (außer den Terroristen). Folglich müssen wir eben noch besseres Englisch lernen, und so weiter und so fort. Schablonen als Denkersatz. Aus solchen Schubladen stammt auch: „Man kann es sich ja nicht aussuchen.“ Merke: Unabsteigbar ist auch Deutschland nicht.

Zurück zu dem Kalifornier mit dem Berliner Zweitwohnsitz. Die Sache ist hängig, die Bank hält ihn, den Kunden, für den Betrüger. Die in der Bank sind halt English canners!


Diesen Artikel fand man auch in den Sprachnachrichten des VDS Nr 59 (III 2013)


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