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Donnerstag 22 September 2016

Ein fairer Wettlauf, selbstverständlich ohne Substanzen einzuwerfen (Bild ©Behland)

Ein fairer Wettlauf, selbstverständlich ohne Substanzen einzuwerfen (Bild ©Behland)

Englisch als erste Sprache der Europäer in Brüssel, Straßburg und Luxemburg wird überleben und sei es in den informellen Kanälen der kleinen Kameradenwege. Zumindest bleibt das Brüsseler globalesische Englisch ein Störfaktor. Wer schreibt, der bleibt.

Die meisten Gesprächsvorlagen werden auf Englisch formuliert. Die Sprache bestimmt den Verlauf der Debatte. Widerstreitende, überlegene Gedanken, die nur aus anderen Sprachen möglich sind, fallen auf keinen fruchtbaren Boden. Genau betrachtet, bewegt Globalesisch die Gemüter mehr als nötig, es gibt Wichtigeres. Würde es nämlich durch die französische Kanzleisprache oder das Amtsdeutsch abgelöst, das Hauptproblem bliebe bestehen: Sprache als Mittel zum Überleben geht uns nach und nach verloren.

Ja, zum Überleben. Worauf wir uns sprachlich einlassen, das ist, als würden wir zum Hundertmeterlauf in Gummistiefeln antreten. Als Spektakel mag so etwas lustig sein, aber Sprache ist das erste Werkzeug zum klaren Denken und zur fehlerarmen Verständigung. Ihr Missbrauch gehört ersetzt wie falsches Schuhwerk durch Läuferschuhe, Wanderstiefel, Strandlatschen.

Mit welcher Sprache hat uns denn die Mutter vertraut gemacht? Mit der Sprache, in der wir denken. Das gilt für uns alle – abgesehen von einigen Genies, aber sie sind kein Maßstab. Wer in zehn Sekunden hundert Meter zurücklegt, hat dafür lange trainiert (auch mit verbotenen Substanzen fällt nichts vom Himmel). Kein Wunder, dass sich die Muttersprache am besten eignet, wir haben sie schon im Mutterleib gehört, sie hat uns geprägt. Dass Denken und Sprache ursächlich verknüpft sind und einander bedingen, kann jeder selbst erleben:

    Versuchen wir einen komplizierten Sachverhalt von der Idee bis zur Schlussfolgerung in unserem Schulenglisch zu Ende zu denken, unseren Vorschlag auf Englisch zu verteidigen und gegen Widersprüche der Mitdenker auch noch zu bereichern. Wer das wirklich kann, hat viele , mindestens fünf Jahre in gebildeter Umgebung täglich nur Englisch gesprochen, fleißig Bücher gelesen und den Punkt erreicht, wo er auf Englisch denkt. So einer bewegt sich im oberen C2-Bereich des GER (siehe unten!).

Das ist nun mal so, keiner muss deshalb das Gesicht verlieren. Warum sollten nun ausgerechnet Naturwissenschaftler und Ingenieure derart sprachbegabt sein, dass diese Beschränkung für sie nicht gälte? Leider lassen wir uns täuschen, wenn wir fremdsprachliche Texte lesend verstehen. Das ist nur ein Wiederkäuen der Gedanken anderer Leute. Hingegen eigene Gedanken in der fremden Sprache zu beschreiben, ist ein schöpferischer Vorgang, und den stemmen die meisten nicht, auch nicht Chefs und schon gar nicht die Benutzer des Brüsseler Euroglobalesischen.

Schlagen wir den Bogen zur Muttersprache: Mit unserem Englischwahn kreisen wir in einer Blase der Einbildung. Was Eurokraten zustandebringen, das sind durchweg formelhafte Wendungen, mit Sprachhülsen verfilzte Unsäglichkeiten. Für die Verwaltung mag das genügen (wirklich?). Für Geburt und Aufzucht von Problemlösungen gegen Finanzkrisen, Flüchtlingsdesaster, getürkte Militärputsche und für den Umgang mit Wählern, die ihre Stimme wie das Altpapier abgeben – dafür brauchen wir kreative Menschen, die zu neuen, eigenen Gedanken fähig sind. Weil das aber am besten, wenn überhaupt, in der Muttersprache gelingt, müssen wir Europäer endlich die Konsequenzen unseres Angloholismus ausdiskutieren. Das Ergebnis dieser Debatte dürfte die folgenden Komponenten enthalten:

Die Kinder, Schüler, Erwachsenen lernen als erstes ihre eigene Sprache bewusst zu verwenden. Auf dieser Grundlage lassen sich Fremdsprachen auf einem Niveau oberhalb des touristischen Gebrauchs erwerben. Dazu sollten wir mindestens zwei Sprachen der Nachbarn erwerben, Dänisch, Tschechisch, Niederländisch. Auch Englisch. Wir müssen sogar zweierlei Englisch unterscheiden. Die Kultursprache verwechseln wir nicht mit der Weltsprache; nennen wir diese Globisch, ein weltweit verständliches und korrektes, aber vereinfachtes Kulturenglisch. Es ist kein Pidgin. Zu erwerben sind ferner die Fachsprachen unserer Berufe, dazu mag das Euroglobalesische zählen – das wäre zu erörtern. Weder Globisch noch Globalesisch sind ein Ersatz für bewussten Sprachgebrauch, der uns weiterbringt.

Sodann benötigen wir viele gut ausgebildete, fleißige Dolmetscher und Übersetzer. Sie sind wichtiger als Autobahnkilometer. Sie müssen muttersprachlich durchformulierte Gedanken angemessen übertragen, und zwar ohne Mogelpackung, also nicht von Polnisch über Englisch zu Dänisch hinüber hangeln, sondern direkt. Nur dann schöpfen wir den Reichtum europäischer Vielfalt aus, sie ist unser großer Vorteil in einem Weltmarkt, wo uns grenzenloser digitaler Unfug überschwemmt. So eine Welt mag mit schlechtem Englisch als Weltsprache auskommen, Probleme werden damit nicht gelöst. Uns genügt weder die Sprache von Automaten, Robotern, Algorithmen noch der Schnack von Gartenzwergen.

Was also sollten sie in Brüssel sprechen? Wenn es denn – in Gottes Namen – eine gemeinsame Eurokratensprache sein soll, dann bitte jede beliebige, nur nicht das grauenvolle Englischderivat, mit dem ganz Europa eine Weltsicht aufgezwungen wird, die nicht einmal den Engländern passt, wie uns der Brexit zeigt. Wir Europäer verdienen einen neuen Ansatz, einen der Europa den Wählern wieder näher bringt. Einen Ansatz auf Grundlage der Muttersprachen, aller Muttersprachen.

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Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR; englisch: CEFR) […] ist eine umfangreiche Empfehlung, die den Spracherwerb, die Sprachanwendung und die Sprachkompetenz […] transparent und vergleichbar macht. Die Empfehlung wird für alle Teilqualifikationen (Leseverstehen, Hörverstehen, Schreiben und Sprechen) vorgenommen und ist in Form von sechs Kompetenzniveaus […] formuliert.

Kompetenzniveau A: Elementare Sprachverwendung — A1 Einstieg, A2 Grundlagen
Kompetenzniveau B: Selbständige Sprachverwendung — B1 Mittelstufe, B2 Gute Mittelstufe
Kompetenzniveau C: Kompetente Sprachverwendung — C1 fortgeschrittene Kenntnisse, C2 exzellente Kenntnisse

Die Stufen sind umfangreich beschrieben. Die Stufe C2 ist nach oben offen, im unteren C2-Bereich gelten die Kenntnisse als annähernd muttersprachlich.


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