baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Weg ist weg

Dienstag 13 Juli 2021

Böse Wörter sind abzuschaffen. Dagegen kann keiner etwas haben, denn sie verletzen, und was wehtut, muss weg. Am besten, man verbietet sie.

Das hat beim Klimawandel geklappt, na ja, nun ist der Rassismus dran. Das fällige Sprachverbot beginnt bei dem Wort „Rasse“. Da es Rassen nicht gibt, kann das Wort aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Was da nicht drin steht, gibt es nicht, zum Beispiel die deutsche Sprache, etwa nach dem Motto: Wenn ich nicht hingucke, sieht es mich nicht. Aber falls die Leute darauf nicht mehr hereinfallen, verspricht ein Verbot mehr Wirkung.

„…dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ (sagte Tucholsky in Was darf die Satire?).(Bild © Zangs)

Dabei wird jedoch ein neues Problem sichtbar, es hat mit der Klarheit des Denkens zu tun: Was zu verbieten ist, muss man nämlich bezeichnen, damit klar ist, was es nicht mehr geben darf. Etwa so: Liebe Leute, Rassismus wollen wir nicht, deshalb streichen wir das Wort Rasse aus dem Wortschatz. Übergangsweise ersetzen wir es durch das „R-Wort“.

Da es, streng genommen, sogar das R-Wort nicht geben kann, wird auch „Rassismus“ zu einem R-Wort. Nun haben wir zwei von der Sorte, nennen wir sie R1 und R2. Sie wurden zu dem Zweck fabriziert, dass ihr Inhalt spontan verschwindet. Ganz einfach: Da es R1 nicht gibt, kann R2 gar nicht sein. Das ist wie in der Quantenphysik, sobald du das Ding anschaust, ist es nicht mehr da. Da werden ein paar Leute am Dienstag nachsitzen müssen. Noch einmal zum Mitschreiben: Wir erklären mit einem nicht existenten Ding ein nicht mehr existieren zu habendes Ding – zu dem Zweck, dass dieses aus unseren Gehirnen restlos entsorgt wird. Das nennt man Gehirnwäsche, dagegen ist Quantenphysik ein Kinderpicknick.

Es gibt aber Nachzügler, die das Nachsitzen schwänzen, die sogenannte „breite Masse“. Deshalb muss man die bösen Wörter für weitere Belehrungen aufbewahren. Das tun Fachkräfte für uns, sie stecken böse Wörter (auch solche mit M oder N) in den Giftschrank. Nur sie dürfen Gift entnehmen und wegsperren. Gibt es diese Fachkräfte? Aber sicher, Leute die wissen, was gut und was böse ist, gibt es haufenweise. Wir erkennen sie an ihrem Sendungsbewusstsein, womit sie die Dummen umerziehen und zur Einsicht notfalls nötigen. Sie sind beliebt wie ehemalige Raucher, aber da müssen sie durch. Die Fachkräftigen brauchen unser Vertrauen. Das Vertrauen, dass ihre Fachlichkeit unserer Fähigkeit zum eigenen Denken überlegen ist. Diese Bedingung ist offenbar längst erfüllt, sonst würde, was sie und ihre Gegner behaupten, rückstandsfrei verpuffen.

In Mark Twains Abenteuer des Huckleberry Finn kommt das total böseste aller Wörter 200 mal vor – den ersten Buchstaben wollen wir hier gar nicht erst nennen –, mit dem Huckleberrys Begleiter bezeichnet wird, ein der Sklaverei Entlaufender namens Jim. In uns lesenden Buben – mittlerweile alte weiße Männer (AWM) – entfachte die Geschichte einen bleibenden Widerwillen gegen R2. Warum? Weil der Autor durch wohl platzierte, häufige Verwendung des N-Wortes (jetzt ist es heraus!) Vorurteile unübersehbar machte. Das beflügelte in uns Buben die eigenständige Entfaltung einer Gesinnung. Nebenbei erwähnt: Das Buch ist in den USA so gut wie verboten, auch hierzulande ist es verpönt.

Das ist kein Beweis, bloß ein Beispiel, noch dazu aus dem Erfahrungsschatz eines AWM, der nichts dagegen hätte, dass man dem Blutdruck durch Verbot beikäme. Das wird wohl nichts. Auch aus dem Kitsch, der aus Onkel Toms Hütte gemacht wurde, gewinnt man zwar Gesinnung, aber keine eigenständig erworbene. Jede Steuerung des Sprachgebrauchs ist nun mal widersinnig, denn sie erstickt die Freiheit der Dummen (siehe oben: die zu belehrende breite Masse), also die Freiheit der Mehrheit, eine Tugend der gerechten Gesinnung aus sich heraus zu entwickeln. Unersetzbar ist dafür die Fähigkeit zum Anfertigen und Äußern EIGENER Gedanken. Erzwungene Tugend ist einen Dreck wert, also Finger weg von der Sprache!


Dieser Beitrag wurde im Sommer 2021 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (3/2021) veröffentlicht.


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