baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Was man so sagt

Sonntag 1 November 2020

„Das wird man doch noch sagen dürfen!“ Kaum gehört, schon knallen die Jalousien herunter. Was sich wie Sprache anhört, ist Getöse; was fehlt, ist das Gespräch, die Erörterung, worum es in Wirklichkeit gehen könnte.

Kaffee? Noch dazu schwarz? (Bild Fotolia)

Als diese Worte zum ersten Mal geäußert werden, gibt es bereits eine Vorgeschichte. Da hat ein Bürger – nennen wir ihn den Busfahrer Otto – etwas gesagt, worauf einer Lehrerin namens Karla nachhaltig heiß um den Kragen wurde. Vielleicht hat sie nicht zugehört, nicht richtig hingehört, was dieser Mann eigentlich ausdrücken möchte, sie hat ihn bloßgestellt, abgebügelt, die Nase gerümpft. Zum Beispiel könnte der Buskraftfahrer ja gemeint haben: „Aus unseren harmlosen Kirchen treten wir aus, zugleich lassen wir einen radikalen Islam ins Land.“ Gesagt hat er das allerdings nicht, es hörte sich eher so an: „Raus mit den Flüchtlingen!“ Kein Wunder, dass er nicht verstanden wird, denn seine Worte klingen wie Knüppel auf Schädel. Kein Wunder auch, dass an dem folgenden Zerwürfnis die gut gesinnte Lehrerin genauso schuld ist, denn sie ist die Klügere, jedenfalls glaubt sie das, weil sie mehr Bildung mitbringt. Schon stößt Gesinnung auf Gesinnung, und wo solche tobt, wächst kein Kraut.

Zur Erinnerung: Sprache kann zunächst dem Versuch dienen, ein Problem zu beschreiben: „Hör mal, mir geht da was durch den Kopf, das kapier ich nicht.“ Das wäre ein Einstieg, die Chancen auf gemeinsame Problemlösung stünden gut. Leider beginnt ein Streit selten so, sondern mit dem Schwung einer Wortkeule. Dennoch könnte man, bevor die Läden zuklappen, versuchen zuzuhören, auch wenn es schwer fällt. Als erstes müsste man diesen Busfahrer beim Wort nehmen, und wenn das nichts Gedeihliches ergibt, müsste man sich, oder am besten Otto fragen: „Was genau meinst du eigentlich?“ Gewalt ist nämlich auch (Vorsicht, hier wird aufgeklärt!), wenn die Lehrerin Karla gar nicht erst versucht zu verstehen, was der Busfahrer sagen möchte, aber irgendwie nicht kann, schon gar nicht, wenn er schon anderswo abgebügelt wurde. Nun aber schreit er: „Das wird man doch noch sagen dürfen!“, und wenn die Lehrerin nicht völlig verbohrt ist, kann sie ihm auch ein bisschen Recht geben. So ganz grundlos hat er das nicht gesagt.

Was in dem Universum progressiver Lehrerinnen verpönt ist, muss ein konservativer Otto meinen dürfen, ohne dass er vom Kindergeburtstag ausgeladen wird. Die Nase rümpfen heißt: „Das muss ich mir nicht anhören“, womöglich gefolgt von: „Du bist ein ***, mit dir rede ich nicht.“ Da aber kämpft Kitsch gegen Kitsch, mit anderen Worten: Es wird versagt, das Gespräch wird versäumt, stattdessen wird gepöbelt und zurück gepöbelt, da könnten schlichte Gemüter zuschlagen, weil sie verbal die Schwächeren sind. Oder sie schließen sich anderen an, die sich zu wehren wissen.

„Das wird man doch noch sagen dürfen!“ ist ein Signal, das unter vernünftigen Menschen nicht zum Ende, sondern zum Beginn von Dialogen führt. Sonst werden wir in dieser ohnehin angespannten Zeit erleben, dass immer öfter Prügel die Sprache ersetzen, und Verursacher sind dann nicht nur die Ottos, sondern auch die Sprachkundigen, die Gebildeten, die Karlas, die sich zur Elite zählen, die vom Klang ihrer eigenen Worte so begeistert sind, dass sie nicht hören, wie ihre Worte bei den Ottos ankommen. Wir Elitären könnten dazulernen. „Das wird man doch noch sagen dürfen!“ muss man sagen dürfen.

© Oliver Baer


Dieser Beitrag wurde im Frühjahr 2020 in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (2/2020) veröffentlicht.


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