baerentatze

wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Junge Leute sind die unter 55

Sonntag 1 November 2020

Begegnung mit einem leicht verärgerten, älteren Herrn

Gendermäßig total neutral aufgestellt (Bild Behland)

Gegen junge Leute habe ich nichts, wirklich nichts. Aber wie Sie mich hier sehen, bin ich ein Oldtimer. Kein altes Auto. Ein alter Mann, und ich kann Englisch. Deshalb nerven mich viele der Anglizismen, und gegenderte Sprache geht mir auf den Keks. Dieses vorweg geschickt, verrate ich Ihnen was zur Alterspyramide des Vereins Deutsche Sprache. In einem Verein, wo die „unter 55“ als junge Leute gelten, haben die Alten ein Rad ab.

Die reden, der Verein solle im Internet um die Jungen werben, dafür müsse man eben Geld in die Hand nehmen. Zum Ausgeben vermutlich. Nicht zum Ausdemfensterwerfen, sag ich mal. Keine Ahnung haben die. Egal wie viel Kohle für die Werbung verbrannt wird: Wenn die heiß Umworbenen kein zweites Mal zur Regionalversammlung antreten, war alle Werbung für die Katz.

Na klar doch, die Jungen bleiben nicht bei der Stange. Da habe ich meine Enkelin angeworben, hab sie zu einem dieser sprachwahrenden Stammtische gelockt, und was passiert? Sie sagt was ganz Böses, nämlich „E-Mail“, und schon zischen die Oldtimer: „Hier wird Deutsch gesprochen, merken Sie sich das!“ Das Mädel steht gleich zweimal mit dem Rücken zur Wand: das erste und das letzte Mal! Nichts gegen Altersstarrsinn, den habe ich auch, aber die Kleine kommt nie wieder, können Sie vergessen! Oder hier, der Junge von nebenan, ist an der Uni. Wenn der seine Arbeit nicht gegendert schreibt, kriegt er eine Note tiefer verpasst. Das haben die ihm klargemacht.

Was ich damit sagen will? Das sage ich Ihnen: Die jungen Leute wachsen in einer Welt auf, da wurden die Studenten von Studierenden abgelöst, denen ist der Unterschied schon längst egal; sie schreiben E-Mails, und bevor sie ihre Laufbahn aufs Spiel setzen, schreiben sie die Bachelor-Arbeit geschlechtsneutral. Ganz normale Alltagsschikane, was denn sonst! Was der Junge nebenan nicht braucht, sind Greise wie mich, die beim Pöbeln gegen das Gendern nichts riskieren.

Was ich damit sagen will? Dass wir ausnahmsweise mal mitdenken müssen. Als erstes sollte in unsere Köpfe: Die jungen Leute finden uns so prickelnd wie eine rote Ampel. Und wenn die noch dazwischen quatscht oder gar mit dem Kopf wackelt, weil jemand „E-Mail“ oder meinetwegen „E-Mailin“ sagt; da soll mal keiner glauben, in einem Verein voller Ampelmännchen würden sich die jungen Leute wohlfühlen.

Ich sag Ihnen, das können Sie auch mitschreiben: Wir übrig gebliebenen Alten verschrecken die Jungen. Selber schuld. Aber vielleicht fällt Ihnen ja was ein.

Aufgezeichnet von Oliver Baer (die Quelle, der alte Mann, möchte anonym bleiben)


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