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wo es um Sprache geht (noch im Umbau)
Ich bin stolz

Freitag 4 März 2016

Auf die Frage, ob er diesen Staat denn nicht liebe, erwiderte Bundespräsident Gustav Heinemann: „Ich liebe meine Frau.“ Das überrascht manche Bürger bis heute. Dabei hatte der weise Mann recht, er achtete auf den Wortsinn.

Plattheiten sind im Deutschen nicht nötig, wir bezeichnen Dinge anders, die anders sind. „Ich liebe mein Land“, klingt als ob einer falsch singt. Mit Liebe meinen wir im Deutschen das Verhältnis von Menschen zueinander. Ich liebe meine Mutter, meine Enkel, meine Frau, möglicherweise auch meine heimliche Geliebte. Die Behauptung, dass ich meine Balkonnachbarin liebe, wie sie da nackt sonnenbadet, klingt schon einen Halbton zu hoch.

Noch Verliebtheit oder schon Liebe? (Bild ©Baer)

Wir sind pingelig, von der Liebe unterscheiden wir die Verliebtheit. Diese verliert sich, es kann Jahre dauern, aber irgendwann ist Schluss mit lustig. Jene hingegen schlägt nicht ein wie der Blitz. Liebe wird erarbeitet, erneuert, genossen, vor allem wird sie gepflegt, täglich.

In der englischen Sprache ist der Umgang mit dieser Lebensaufgabe anscheinend frivoler. Englisch erlaubt einen freien Gebrauch des Wortes, auf die Gefahr des platten Umgangs mit seiner Bedeutung. Wenn McDonalds sagt: „I love it!“, ist das nach unserem Sprachgefühl Quatsch mit Soße. Eine Boulette lieben, wie denn das? Umso schwieriger wird es für den Engländer zu klären, was er meint: Liebt er die Nachbarin wie einen Hot Dog, oder wie Pippa Middleton in der Ferne des Internets, oder liebt er sie weniger als die Frau im Ehebett? Das ist im Englischen schwieriger auseinander zu halten als im Deutschen, außer in Hollywoodfilmen, da wird alles geloved.

Auf dünnes Eis lockt der Patriot: „Ich bin stolz auf mein Land.“ Halt mal, Stolz worauf? Stolz auf die Dichter und Denker, auf die Erfinder und Unternehmer? Ich für meinen Teil habe dazu nicht viel beigetragen und bei dem bisschen etwas bin ich genau darauf stolz, mehr nicht. Wird Jogi Löws Truppe Weltmeister, brülle ich Juhu, ich gebe auch einen aus, aber Stolz? Der steht dem Jogi zu, er hat etwas dafür getan, dass „unsere Jungs“ wussten, was zu tun ist.

Falls es dennoch Stolz auf die Leistung anderer gibt, dann nur im Bündel. Zum Beispiel wäre ich nicht, wer ich bin, ohne Schillers Briefe zur Ästhetischen Erziehung, ohne Bismarcks Diplomatie, ohne Schumanns Klavierquintett, ohne die Farben Emil Noldes, ohne Wilhelm Busch und Loriot. So bewege ich mich in der Kultur der Deutschen. Als Franzose stünde mir Marcel Pagnol näher, als Engländer Henry Fielding. In eben dem Maße, wie ich ein Miteigentum am kulturellen Erbe der Deutschen beanspruche, mag sich Stolz in mir regen. Zugleich aber zählt zu diesem Erbe ein früherer Bundesminister, der angesichts des sauren Regens verkündete, dann werde man eben „säureresistente Bäume“ züchten; zum Erbe zählt ein General Falkenhayn, der ohne den geringsten militärischen Sinn das Massaker um Verdun entfesselte, und dazu zählt ein Postkartenmaler aus Braunau am Inn, der eines Tages beschloss Politiker zu werden.

„Also Herr Notar, dann machen wir es doch so: Ich nehme das Erbe an, diesen Teil mit Schiller und Schumann, nur den Rest, mit dem Hitler und Verdun, den können sie entsorgen!“ – Kann er nicht. Der Versuch sich aus der Geschichte davonzustehlen, käme einer Amputation der Wirbelsäule gleich. Geht nicht.

Also, den Stolz auf Deutschland gibt es nicht wie am kalten Buffet: beim Lachs nachfassen, die Gürkchen weglassen. Da verdirbt mir nicht nur der Falkenhayn den Appetit. Aber ich habe einen Vorschlag zur Güte: Hängen wir die Sache um vom falschen Nagel auf den Haken, wo sie hingehört: Seien wir stolz auf unseren Umgang mit der Muttersprache, indem wir sie mit Umsicht und Zartgefühl, mit Freude und Geist anwenden, also nicht zum Herumgrölen. Das wäre eine Leistung, alle Achtung. Aber stolz sein auf die Leistungen anderer, da sollte sich mal selber zuhören, wer solchen Unfug redet.


  1.  
    7. März 2016 | 09:02
     

    Danke für die Korrektur. Offenbar nehme ich Nolde zuerst durch die Deutschstunde von Lenz wahr. Ist das nicht ein Beispiel für die Grenzüberschreitungen im europäischen Kunst- und Geistesleben – was Europa so vielfältig und schätzenswert macht?

  2.  
    Magnus Embe
    7. März 2016 | 06:05
     

    Stolz auf Dänemark

    Wer die Farben „Emil Noldes“ schätzt – und wer täte das nicht? -, bewegt sich nur indirekt „in der Kultur der Deutschen“. Emil Nolde (Hansen) war bis zum Ende seines Lebens dänischer Staatsbürger. Er fühlte sich allerdings der deutschen Kultur zugehörig. Die dänischen Besucher, die in der Nolde-Stiftung in Seebüll die Ausstellung seiner Bilder besuchen, scheinen in der Mehrheit zu sein. Kaum einer von ihnen käme auf die Idee, dass Nolde ein deutscher Maler sei.

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