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Die Leere der Lücke

Dienstag 14 Februar 2012

Shitstorm lautet der Anglizismus des Jahres. Keine üble Wahl, vorausgesetzt ein Wort verdiente einen Preis – statt eines Menschen (was fängt das Wort mit dem Preis an, reißt es sich nun zusammen?). Ein Mensch hat nach zäher Bemühung des Geistes einen Begriff erfunden, entwickelt und ausgebaut und ihm schließlich ein Wort zugeordnet. Den Redaktionskater und mich stört am Anglizismus des Jahres nur die Begründung, mit der ihm diese Ehre verpasst wird:

„Shitstorm füllt eine Lücke im deutschen Wortschatz, die sich durch Veränderungen in der öffentlichen Diskussionskultur aufgetan hat,“ begründet die Jury ihre Entscheidung.

Das liest sich plausibel, diese Begründung hat schon oft funktioniert, gilt sogar manchem Sprachschützer als hinnehmbar. Trotzdem ist die Leere der Lücke unter allen denkbaren genau jenes Argument, das nicht infrage kommt. Es ist doch klar: Fremdwörter füllen jede Lücke, sobald man der Muttersprache nicht mehr zutraut, sie könnte die Lücke aus dem bereits vorhandenen Wortschatz schließen, sei es durch Neuschöpfung oder durch Bedeutungsverschiebung.

Kolbenluftpumpe zur Herstellung eines Vakuums (Bild Grobe)

Mithin könnte die Begründung noch durchgehen, wenn sie von Dieter Bohlen käme – aber von Linguisten? Denen fällt dieser logische Fehler nicht auf? Beziehen diese Leute Professorengehälter? Schade. Manches Fremdwort verdient es, dass man ihm eine Lücke geradezu andient: Hereinspaziert, herzlich willkommen! Bitte bereichere unsere Sprache wie es die Küchen vom Mittelmeer der deutschen angetan haben!

Aber bei Begründungen wie dieser unterliegt jeder Anglizismus erst einmal dem Generalverdacht, dass er schon deshalb überflüssig ist, weil er der Schöpfung eines witzigeren, verständlicheren und daher überlegenen Wortes aus dem vertrauten Wortschatz dermaßen gründlich im Wege steht, dass die Leute gar nicht mehr im eigenen Schatz zu kramen beginnen. Sie greifen zum Lehnwort wie der Eilige zum Junkfood: Toll, aus der amerikanischen Cuisine nichts als das Beste!

Dafür, dass sich lauter Wissenschaftler in der Jury tummeln, fehlt es ihrer Begründung am Zwingenden und ihrer Methodik am Überzeugenden. Wenn ich mich schon mit der Gefahr abfinden muss, dass den Deutschen bald nicht mehr der Geisterfahrer einfällt, die grüne Minna oder die Trachtengruppe, die LKW-Fahrern auf Autobahnparkplätzen auflauert, dann doch bitte, bitte auf Grundlage von etwas Geist, oder wenigstens Wissenschaft, die mit den Regeln der Logik noch zurechtkommt. Kurzum, der Anglizismus des Jahres nützt so wenig wie das Wort des Jahres und das Unwort des Jahres: Ab in die Tonne, da wird sie keiner vermissen!

(Die Beispiele Geisterfahrer usw. entstammen dem Buch Von Babylon nach Globylon). Da gibt’s noch mehr von der Sorte)

Nachtrag: In der Wikipedia wird Shitstorm mit Empörungswelle übersetzt. Nicht übel. Es muss ja nicht gleich an „the shit hits the fan“ erinnert werden. Mehr zum Thema gibt es hier: Die Tigerente und der Computer.


Bildnachweis: Hannes Grobe

Dieser Beitrag wurde auch in den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache veröffentlicht (Seite 17).


  1.  
    15. Februar 2012 | 14:50
     

    Nachtrag: Gleich noch so einer ist Professor Wilhelm Schellenberg:

    „… Es geht darum, diese Begriffe zu verstehen und vor allem zu verstehen, warum wir im deutschsprachigen Raum auch englische Wörter verwenden.
    … Kurz gesagt, weil der deutsche Wortschatz Lücken aufweist, die sich durch Anglizismen wunderbar schließen lassen.“

    Aus welchem Selbstverständnis plappert er nach, was schon seine Kollegen wenig überzeugend dargebracht haben?

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